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IMK Forum 2019: Germany first? Wie geht es weiter mit der europäischen Integration?

Veranstalter: IMK
Ort: Berlin, Französischer Dom
vom: 27.03.2019, 15:00 Uhr
bis: 27.03.2019, 20:00 Uhr

Nationalistische Handels- und Politikstrategien gewinnen in der öffentlichen wie politischen Debatte zunehmend an Raum. Dabei stellt sich die Frage, wie groß der Handlungsspielraum des Nationalstaates eigentlich noch ist? Wie stark sind multilaterale Konzepte im Hier und Jetzt? Und wie wirken sich diese veränderten Politikstrategien auf den Integrationsprozess in der EU aus? Ist er zu verstärken oder soll ein Rückbau mit Blick auf nationale Kompetenzen erfolgen? Über diese Fragen wird im Rahmen des IMK Forums mit anerkannten Expertinnen und Experten diskutiert.
 

Programm (pdf)

Emotionen für Europa

Zum Schluss gab es Standing Ovations für Gustav Horn. Das IMK-Forum im Berliner Französischen Dom war die letzte Veranstaltung, die er als Wissenschaftlicher Direktor des Instituts verantwortete. Als Horn seinem Nachfolger Sebastian Dullien auf der Bühne das Mikrofon überreichte, war er sichtlich gerührt, als sich die rund 250 Gäste erhoben. Foto (von Gustav Horn und Sebastian Dullien) von Peter Himsel

Das diesjährige IMK-Forum zum Thema Europa war prominent besetzt: Neben dem DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann sprachen unter anderem die SPD-Europawahl-Spitzenkandidatin Katarina Barley, im Hauptberuf Bundesjustizministerin, und Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz. Das Motto der Tagung gab die Richtung vor: „Germany first? Wie geht es weiter mit der europäischen Integration?“

Die bohrenden Fragen des Tagesspiegel-­Redakteurs und Investigativjournalisten Harald Schumann, der die Moderation übernahm, entlockten Olaf Scholz und den anderen Teilnehmern der Podiumsdiskussion Nachdenkliches: „Was läuft schief?“, fragte Schumann mit Blick auf den Widerspruch, dass die EU die Lebenssituation von Millionen Menschen zwar objektiv verbessert hat, aber dennoch in weiten Teil Europas nicht sehr beliebt ist. „Wir führen 28 Monologe über die EU. Wir verstehen uns noch zu national. Richtig spannend wäre Europa erst, wenn ein schwedischer Sozialdemokrat und ein spanischer Sozialdemokrat gemeinsame Positionen gegenüber den anderen Parteienfamilien vertreten würden“, sagte Scholz. Er kritisierte, dass in der Öffentlichkeit zu sehr „administrative Konflikte“ der EU-Institutionen dominieren. Sein eindringlicher Appell: „Wir Deutschen müssen verstehen, dass unser Interesse eine gelingende europäische Integration ist.“ Horn kritisierte den „Überlegenheitsgestus“ der damaligen Bundesregierung bei der griechischen Finanzkrise, der weiterhin nachwirke: „Eine andere Erzählung – dass wir gemeinsam Fehler gemacht haben – hätte bei der Bewältigung der Krise weniger wirtschaftliche und politische Opfer gefordert.“

Reiner Hoffmann sagte in seinem Eingangsstatement, dass man die Kritik von rechts und von links an der EU ernst nehmen müsse: „Das Konvergenzversprechen der Währungsunion wurde nicht eingelöst.“ Er legte vier Forderungen vor, mit denen die EU reformiert und die „Webfehler der Währungsunion“ behoben werden könnten: Erstens müsse es eine „goldene Regel“ für öffentliche Investitionen beim Fiskalpakt geben. Durch den Pakt sind die Staaten verpflichtet, die Defizitkriterien einzuhalten und ihren Haushaltsplan der EU vorzulegen. Zweitens forderte er ein gemeinsames Eurozonen-Budget als Stabilisator, das Not leidenden Mitgliedstaaten als Investitionshilfe zugutekommen soll. Eine gemeinsame Arbeitslosenrückversicherung, die Defizite zwischen den Ländern ausgleicht, müsse diskutiert werden. Außerdem müssten die sozialen Mindeststandards breiter angelegt werden und die EZB dauerhaft Staatsanleihen kaufen und Eurobonds ausgeben können.

Katarina Barley betonte, ähnlich wie Hoffmann, die Bedeutung der sozialen Dimension der EU und sprach sich erneut für einen europäischen Mindestlohn aus. Richtschnur könne 60 Prozent des jeweiligen nationalen Median-Einkommens sein. Sie schränkte aber gleichzeitig ein: „Wir lösen mit Zahlen allein nicht die nötige Begeisterung aus. Wir müssen Emotionen für Europa wecken.“

(Gunnar Hinck)

Prof. Dr. Gustav Horn, der scheidende Wissenschaftliche Direktor des IMK, begrüßt die Gäste und weist auf die aktuelle Relevanz der Thematik hin. Er beschreibt, dass Europa sich in einer prägenden Zeit befindet. Vor allem im Hinblick auf die kommende Europawahl werden in Europa gerade die Weichen gestellt für mehr Integration oder aber eine langsame Auflösung. Das IMK Forum soll hier einen Beitrag zur Diskussion über die Zukunft Europas und speziell über die aktuellen politischen Tendenzen zum Nationalen leisten.

Vom Irrweg der Desintegration: Gewerkschaftliche Positionen für ein solidarisches Europa

Der Vorsitzende des DGB, Rainer Hoffman, dankt zu Beginn Gustav Horn, der durch seine Arbeit am IMK zu einem heterodoxeren wirtschaftlichen Diskurs beigetragen hat.
Rainer Hoffmann betont, dass die aktuellen Herausforderungen europäische Antworten erfordern und ein „Germany First“ der falsche Weg für die Zukunft ist. Allerdings gilt dies ebenso für ein einfaches „weiter so“. Stattdessen seien eine kritische Auseinandersetzung mit der EU und politischer Mut für einen Kurswechsel notwendig. Die Rückbesinnung auf den Grundsatz, dass die EU Wohlstand für alle schaffen soll, sieht er dabei als zentral an. Um dies zu erreichen stellt er vier gewerkschaftliche Forderungen auf: Die Abschaffung des Fiskalpakts, soziale Mindeststandards und Grundsicherungssysteme in der EU, die Stärkung europäischer Strukturpolitik und die EZB als Kreditgeber letzter Instanz.
 

Germany first? Europa ist die Antwort!

Die Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl, Katarina Barley, plädiert dafür, über eine emotionale Herangehensweise an den Europawahlkampf, Begeisterung für Europa zu entfachen. Dabei ist für sie klar, dass Europa die Antwort für die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen ist. Um Europa als sozialen Raum zu stärken, fordert sie unter anderem europäische Mindeststandards für Mitbestimmung um ein „Race to the bottom“ bei Arbeitnehmerrechten zu verhindern sowie einen europäischen Mindestlohn von 60% des Medianeinkommens in allen Mitgliedsstaaten. Allerdings muss die Idee einer Europäischen Union als sozialer Raum zusätzlich in das Bewusstsein der Menschen gelangen, wofür es notwendig ist, mit der genannten Emotionalität Geschichten und Erlebnisse zu verbreiten.
 

Staaten und Banken in der Währungsunion

Martin Hellwig, Professor am Bonner Max Planck Institute for Research on Collective Goods, untersucht in seinem Vortrag den Nexus von Banken und Staaten. Dieser Nexus, der grob die Verflechtung von Staat(sschulden) und Banken beschreibt, hat sich in der Krise nach 2008 in vielfältiger Form ausgedrückt. Im Rahmen der Europäischen Währungsunion führt dieser Nexus letztendlich zu einer Erpressbarkeit der Mitgliedsstaaten durch die EZB und vice versa. Martin Hellwig regt daher dazu an, die Unabhängigkeit der Banken zur Zentralbank zu erhöhen und den Umgang mit großen Banken rechtlich zu reformieren. Dabei weist er auf die Ineffizienz nationalen Rechts hin. Um das Spannungsverhältnis im magischen Dreieck mit Staatsgewalt, Banken und EZB weiter zu mindern, ist ihm zufolge eine stärkere demokratische Legitimierung der Zentralbanken und eine Kompetenzverteilung auf supranationale Ebene notwendig.
 

Europa als wirtschaftswissenschaftliches Denkkonstrukt

Gustav Horn fordert in seinem Vortrag eine Erzählung von Europa zu fördern, das als Vielfalt interpretiert wird, die vor dem Schutz der Europäischen Union gedeihen kann.
Er beschreibt, dass nationale Perspektiven nicht dominieren dürfen, da sonst die Wahrnehmung von Kontrollverlust gefördert wird, die im Rückbau transnationaler Beziehungen endet. Dies zeigt er anhand der Leistungsbilanzüberschüsse, wo die deutsche Perspektive eines nicht vorhandenen Handlungsbedarfs die Wahrnehmung schlechter ökonomischer Leistungskompetenz auf europäischer Ebene förderte. So entstand Unsicherheit, die als Folge einer zu großen volkswirtschaftlichen Offenheit interpretiert wurde und eine Regression ins Nationale bedingte. Dieser Perspektive entgegen bietet die EU aber das Potenzial Kontrollverlust zu verhindern. Es ist nötig, diese Erzählung mit Reformen, die die Schutzfunktion ermöglichen, voranzutreiben. Vortrag zum Download (pdf)
 

Moderiert von Harald Schuhmann diskutieren Gustav Horn, Finanzminister Olaf Scholz, Galina Kolev vom Institut der deutschen Wirtschaft und Anke Hassel vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung über die Zukunft der Wirtschaft- und Währungsunion. Die Rolle der südlichen Mitgliedsstaaten, insbesondere die Italiens, die diese in der Vergangenheit einnahmen wird genauso thematisiert, wie deren Zukunftsperspektiven. Außerdem Teil der Debatte ist, wie das Image der EU verbessert werden könnte, inwieweit Demokratieprobleme bestehen und welche Schritte für deren Lösung dafür notwendig sind. Zuletzt wird auf Fragen aus dem Publikum eingegangen.

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