Forschungsprojekt: Wandel gewerkschaftlicher Praxis im ostdeutschen Betrieb

Ostdeutsche Transformationsprozesse am Beispiel des Stahlwerks Hennigsdorf 1989/90 bis 1994

Projektziel

Die Studie untersuchte am Beispiel des Stahlwerks Hennigsdorf den Wandel gewerkschaftlicher Praxis im ostdeutschen Betrieb zwischen 1989 bis 1994. Konkret wurde die Etablierung westdeutscher Gewerkschaftspraxis, die Beziehung zwischen Gewerkschaft, Belegschaftsvertretung und Treuhand und die Entwicklung der betrieblichen Interessenvertretung untersucht.

Projektbeschreibung

Kontext

Das Stahlwerk in der brandenburgischen Kleinstadt Hennigsdorf war ein traditionsreicher Großbetrieb mit etwa 8.000 Mitarbeiter:innen Anfang 1990. Mit der Betriebs-„Wende“ 1989 erodierten die Machtverhältnisse im Betrieb und der Wandel der Gewerkschaft im Betrieb wurde vorangetrieben. Ab 1990 etablierte sich der Betriebsrat, gleichzeitig übernahm die Treuhand das Werk und es rückte der Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze auf betrieblicher Ebene in den Mittelpunkt gewerkschaftlicher Praxis. Die Privatisierung und unvermeidliche Schrumpfung des Werkes waren von Protesten der IG Metall und des Betriebsrates begleitet. Dem folgten 1992 brisante Aushandlungsprozesse zwischen dem neuen Eigentümer, dem Betriebsrat, der IG Metall und der Treuhand, wobei der Erhalt der Montanmitbestimmung ein zentraler Streitpunkt war.

Fragestellung

Gefragt wurde in diesem Kontext nach der Gestaltungskraft von Gewerkschaften in der ostdeutschen Transformation. Der Blick richtet sich auf die sich wandelnden Macht- und Herrschaftsverhältnisse im sozialen Handlungsfeld Betrieb und somit auf die sich ergebenden Handlungsspielräume einerseits und das tatsächliche Handeln der Akteur:innen andererseits. Konkrete Einzelfragen ließen sich in vier Themenbereiche: 1. die Aneignung gewerkschaftlicher Praxis im Betrieb, 2. Wandel des Betriebes und der Belegschaft, 3. Ebene von Streiks und Protesten und 4. Belegschaftsvertretung und die Gewerkschaft im Betrieb. Dabei wird versuchte, über die zugespitzten Transformationsnarrative hinauszugehen und sich auf das Uneindeutige und Widersprüchliche von komplexen historischen Zusammenhängen einzulassen.

Untersuchungsmethoden

Die Untersuchung bezog sich auf einen mikropolitischen Ansatz, um die sich wandelnden Machtverhältnisse im sozialen Handlungsfeld Betrieb in den Blick zu nehmen, und einen Transformationsbegriff, der auch ko-transformatorische Effekte berücksichtigte. Mit Rückgriff auf Methoden der Protestforschung wurden Proteste als Mittel der Politik, Formen und Repertoire und Deutungsstrategien (framing) analysiert. Der Ansatz der Oral History lotete die alltags- und erfahrungsgeschichtliche Dimension des Forschungsgegenstands aus. Neben diesen selbst geschaffenen Quellen erfolgte die Auswertung von Archivalien (u. a. Betriebsratsunterlagen, IG Metall, Treuhandakten, BStU, BLHA) sowie gedruckten Quellen. Damit nimmt die Studie eine Erzählperspektive „von unten“ ein und zeigt, wie sich die Transformation konkretisierte und erfahrbar wurde.

Darstellung der Ergebnisse

Die Arbeit der Betriebsrät:innen, die sich als Co-Management verstanden, richtete sich vor allem darauf, die krisenhafte Situation des Betriebes zu bewältigen. Gemeinsam mit der IG Metall entwickelten sie Strategien, um die Folgen des Umbaus für die Betroffenen abzumildern, und trieben Strukturentwicklungen mit voran. Das Verhältnis zwischen west- und ostdeutschen Gewerkschafter:innen wird variantenreich, aber überwiegend positiv beschrieben. Gegenüber der Treuhand erstritten sie sich mehr Handlungsspielraum, organisierten und kanalisierten die Proteste und behaupteten eine Gegenmachtposition, die letztlich die Bedingungen und Folgen der Privatisierung für die Belegschaft verbesserte. Dargestellt wurde, wie IG Metall und Betriebsrat zusammen mit der Landesregierung auf die THA einwirkten. Doch blieb nur ein kleiner Teil dauerhaft im Stahlwerk und die Belegschaftsstruktur änderte sich grundlegend. Der Frauenanteil ging im Zuge der Privatisierung stark zurück. Analysiert wurde auch die lokale gewerkschaftliche Erinnerungskultur hinsichtlich der Arbeitskämpfe 1991. Diese könnte eine Ressource für die Gewerkschaft der Gegenwart sein.

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