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HBS Böckler Impuls

Arbeitsbedingungen: Leistungslohn geht auf die Knochen

Ausgabe 16/2016

Arbeiten bis der Arzt kommt: Wenn Betriebe erfolgsabhängige Gehälter zahlen, steigt der Krankenstand.

Adam Smith hat bereits 1776 davor gewarnt, dass Akkordlöhne zu Überarbeitung führen und letztlich die Gesundheit der Arbeiterschaft ruinieren. Das hindert heutige Wirtschaftswissenschaftler und Manager, die sich ansonsten gern auf den Vater der klassischen Nationalökonomie berufen, nicht daran, leistungsbezogene Vergütung für eine großartige Idee zu halten. Jed DeVaro von der California State University East Bay und John Heywood von der University of Wisconsin-Milwaukee haben Smiths These empirisch überprüft. Sie können zeigen, dass Leistungslöhne tatsächlich der Gesundheit von Beschäftigten schaden. Das wirkt sich auch betriebswirtschaftlich aus.

Dass Bezahlung nach Leistung ungesundes Verhalten provoziert, halten DeVaro und Heywood schon aus theoretischer Sicht für sehr plausibel: Mit Rücksicht auf ihr Einkommen dürften betroffene Beschäftigte eher bereit sein, exzessive Risiken einzugehen, das Arbeitstempo zu erhöhen, bis zur Erschöpfung zu schuften, auf Pausen oder Arztbesuche zu verzichten. Das mache Krankheiten und Unfälle wahrscheinlicher.

Gefahr für andere

Um entsprechende Effekte zu prüfen, hätten sich bisherige Untersuchungen stets auf die Ebene des einzelnen Arbeitsplatzes konzentriert, so die US-Forscher. Das sei methodisch problematisch, weil sich erfolgsabhängige Gehälter unter Umständen nicht nur auf die direkt Betroffenen, sondern auch auf Kollegen auswirken. Ein Beispiel: Für Staplerfahrer, deren Entgelt sich nach der Anzahl der transportierten Güter richtet, ist die Versuchung groß, einen möglichst rasanten Fahrstil zu pflegen. Dadurch wächst nicht nur die Gefahr, sich selbst zu verletzen – sondern auch die Gefahr von Unfällen mit anderen Beschäftigten. Und wenn Akkordarbeiter am Fließband ihren Output auf Kosten der Sorgfalt erhöhen, setzt das diejenigen Kollegen unter Stress, die die fehlerhaften Teile weiterverarbeiten müssen.

Um auch solche „externen Effekte“ zu erfassen, haben DeVaro und Heywood statt der individuellen die betriebliche Ebene ins Visier genommen. Dafür haben sie Ergebnisse zweier Befragungswellen ausgewertet, an der in den Jahren 2004 und 2011 Manager von fast 1.000 britischen Firmen teilgenommen haben. Die Befragten sollten unter anderem angeben, ob in ihrem Betrieb Beschäftigte abhängig von ihrer individuellen Leistung entlohnt werden. 18 Prozent antworteten mit Ja.

Zwischen den Vergütungsmodellen der Unternehmen und gesundheitlichen Problemen in der Belegschaft besteht ein messbarer Zusammenhang: Wenn Faktoren wie die Betriebsgröße, die Branche, die Altersstruktur oder der Frauenanteil herausgerechnet werden, geht leistungsorientierte Bezahlung mit signifikant mehr Erkrankungen im Bereich Knochen, Muskeln und Gelenken einher. Zu dieser Rubrik zählen Leiden wie Rückenschmerzen oder der „Mausarm“, die zu den häufigsten Berufskrankheiten sowohl unter Produktionsarbeitern als auch unter Büroangestellten gehören und allein in Großbritannien jedes Jahr 3,5 Millionen Arbeitstage kosten. Der Untersuchung zufolge steigt das Risiko solcher Beschwerden durch Leistungslöhne um 39 Prozent. Der Krankenstand – also die Zahl der Fehltage pro Jahr und Arbeitnehmer – erhöht sich im Schnitt um 53 Prozent.

Weniger Fehltage, mehr Gewinn

Auch mit wirtschaftlichen Aspekten haben sich die Wissenschaftler auseinandergesetzt. Nach ihrer Analyse wirken sich erfolgsabhängige Löhne ambivalent auf den finanziellen Erfolg von Unternehmen aus: Einerseits steigen die Profite wegen des erhöhten Leistungsdrucks, andererseits entstehen Verluste durch Fehltage. Den Berechnungen zufolge ist der Netto-Effekt aus betriebswirtschaftlicher Sicht zwar positiv, er würde allerdings 50 Prozent höher ausfallen, wenn es die Kosten durch gesundheitsbedingte Ausfälle nicht gäbe. Bei der Produktqualität sind nur die negativen Auswirkungen statistisch sig­nifikant. Hierfür dürfte nicht nur das erhöhte Krankheitsrisiko verantwortlich sein, sondern auch der starke Anreiz für Beschäftigte mit Stücklohn, eher auf Quantität als auf Qualität zu achten, so DeVaro und Heywood. Der Politik empfehlen die US-Forscher, die Einhaltung von Arbeitsschutznormen in Betrieben mit Leistungslöhnen besonders streng zu kontrollieren.

  • Erkrankungen von Knochen, Muskeln oder Gelenken gehören zu den häufigsten Berufskrankheiten. Zur Grafik

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