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Magazin Mitbestimmung

Porträt: Auch der Vorstand wird geduzt

Ausgabe 04/2016

Yvonne Siebert zog 2015 in den Aufsichtsrat des TecDAX-Unternehmens SMA Solar Technology AG ein. Das Unternehmen ist keine Gewerkschaftsbastion, Siebert aber ließ sich von einer Mitgliedschaft überzeugen. Von Joachim F. Tornau

Yvonne Siebert wählt einen überraschenden Vergleich. „Eine Aufsichtsratssitzung ist wie eine Betriebsratssitzung“, erklärt die 37-Jährige mit leisem Lächeln. „Nur besser vorbereitet und besser strukturiert.“ Und natürlich sitzen die Vertreter der Anteilseigner mit am Tisch. Ansonsten aber: nichts, was eine erfahrene Arbeitnehmervertreterin überfordern könnte.

Falsche Ehrfurcht ist Siebert fremd. Mit 29 Jahren wurde sie Betriebsratsvorsitzende beim Solartechnikhersteller SMA Solar Technology AG in Niestetal bei Kassel. Sechs Jahre leitete sie die Arbeitnehmervertretung – als Frau in einem männerdominierten Unternehmen. Freundlich und souverän präsentiert sie sich, mit Humor und angenehm frei von Eitelkeit. Man nimmt ihr sofort ab, dass sie sich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt. Auch nicht im Aufsichtsrat, dem sie seit gut einem Jahr angehört. 

Sie ist eine von nur zwei Frauen in dem zwölfköpfigen, paritätisch mit Vertretern von Anteilseignern und Arbeitnehmern besetzten Gremium. Und die einzige Gewerkschafterin unter den betrieblichen Aufsichtsratsmitgliedern. „SMA ist keine IG-Metall-Bastion“, sagt Siebert. „Der Organisationsgrad liegt unter fünf Prozent.“ 

Auch sie selbst trat erst 2012 in die Gewerkschaft ein. „Das Unternehmen ist von sich aus schon sehr sozial eingestellt“, berichtet sie. Die Gehälter seien gut, es gebe Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Gewinnbeteiligung und eine betriebliche Altersvorsorge. Dass eine Gewerkschaftsmitgliedschaft trotzdem notwendig ist, davon sei sie erst durch die Kompetenz und das Engagement von Oliver Dietzel überzeugt worden. Der Erste Bevollmächtigte der IG Metall in Nordhessen ist heute ihr Kollege im Aufsichtsrat. 

Ihn und andere altgediente Aufsichtsratsmitglieder habe sie vor ihrem Amtsantritt natürlich ausgefragt, erzählt Siebert. Ein Sprung ins kalte Wasser war es trotzdem. Zumal sich die zur Hälfte neu gewählte Arbeitnehmerbank auch gleich neu organisierte: Erst seither treffen sich die sechs Beschäftigtenvertreter vor den Aufsichtsratssitzungen, um sich abzustimmen. „Kritischere Themen“, sagt Siebert, „werden bei dieser Vorbesprechung intensiver diskutiert als später im Aufsichtsrat.“ 

Als Beispiel nennt sie den im April beschlossenen Einstieg von SMA beim kalifornischen Solarunternehmen Tigo Energy. Ein bedeutsamer Schritt, zweifellos. 

Doch kein Vergleich zu den schmerzhaften Entscheidungen, die in den Jahren vor Sieberts Wahl anstanden. Auf die Krise der deutschen Solarindustrie hatte der Weltmarktführer bei Solarwechselrichtern mit massiven Stellenstreichungen reagiert: Von weltweit 5700 Beschäftigten 2012 sind heute nur noch gut 3000 übrig. Mittlerweile schreibt das TecDAX-Unternehmen wieder schwarze Zahlen. 

Dass es im Aufsichtsrat entspannt zugeht, liegt aber nicht nur an der Rückkehr des Erfolgs. „Bei uns ist eine Aufsichtsratssitzung bis auf die Kleiderordnung eher locker“, sagt Siebert. Nur mit den Anteilseignern ist man per Sie, ansonsten duzt im Unternehmen jeder jeden, bis hinauf in den Vorstand. Die Zusammenarbeit im Aufsichtsrat sei kooperativ, die Perspektive der Arbeitnehmer werde wahrgenommen, es werde offen diskutiert. „Wir bekommen alle Informationen, die wir wollen – auch in sehr hohem Detaillierungsgrad“, sagt Siebert. „Und man hat jederzeit die Möglichkeit, Rückfragen zu stellen.“ Wobei sie das mitunter gar nicht mehr tun muss: Pierre-Pascal Urbon, der Sprecher des Vorstands, kenne sie aus ihrer Zeit als Betriebsratsvorsitzende gut genug, erklärt sie. „Er beantwortet meine Fragen, bevor ich sie gestellt habe – er weiß schon, was ich wissen will.“

Zur Person

Yvonne Siebert, 37, begann 1999 als Auszubildende bei dem Niestetaler Solartechnikhersteller SMA Solar Technology AG. Seit 2002 hat sie ein Mandat im Betriebsrat, den sie von 2008 bis 2014 als Vorsitzende leitete. Weil sie Zeit haben wollte für ihr erstes Kind, wurde sie danach wieder zur einfachen Betriebsrätin und kehrte an ihren Arbeitsplatz zurück, wo sie als technische Redakteurin Bedienungsanleitungen verfasst. 2015 wurde sie in den Aufsichtsrat gewählt.

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