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Magazin Mitbestimmung

: Ahnungslose Journalisten

Ausgabe 01+02/2005

Im Sommer 2004 steht DaimlerChrysler im Zentrum des Medieninteresses. Der Vorstand versucht, der Belegschaft tiefe Einschnitte in ihre Tarifverträge abzupressen. Der Betriebsrat muss professionelle Pressearbeit leisten.

Von Silke Ernst
Die Autorin leitet die externe Kommunikation beim Gesamtbetriebsrat der DaimlerChrysler AG.

Es ist Ende Juni 2004. Ein Konflikt tritt in seine heiße Phase, der zu einer Generalauseinandersetzung von nationaler Bedeutung hochstilisiert werden wird. Das DaimlerChryler-Werk Sindelfingen steht im Fokus der Auseinandersetzung. Neue Modellvarianten der C-Klasse von Mercedes sollen im Jahr 2007 nur dann auf den Markt gebracht werden, wenn die Kosten um 500 Euro pro Fahrzeug gesenkt werden. Geschieht das nicht, reichen künftig zwei der bisher drei Standorte für die C-Klassen-Produktion aus. Sindelfingen wäre aus dem Rennen, denn in Südafrika und in Bremen ist die Produktion aufgrund schlechterer tariflicher Bedingungen billiger. Zunächst wird örtlich verhandelt, doch dann reift beim Gesamtbetriebsrat die Erkenntnis, dass mehrere Standorte in einer ähnlich schwierigen Situation stecken:

In Untertürkheim und Mannheim wird um Investitionen für neue Motoren gestritten, in Wörth um die Kantine. Der Gesamtbetriebsrat ergreift die Flucht nach vorn und bietet als Kompromisslinie an, über die Umsetzung des gemeinsamen Entgeltrahmen-Tarifvertrags für Arbeiter und Angestellte (ERA) 200 Millionen Euro im Jahr einzusparen. Am 24. Juni 2004 soll dies auf einer gemeinsamen Pressekonferenz des Gesamtbetriebsrates und der IG Metall verkündet werden. Neben Erich Klemm, dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden, und Jörg Hofmann, dem Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg, werden die Vorsitzenden der DaimlerChrysler-Werke teilnehmen, die in den Wochen zuvor örtlich Verhandlungen über Investitionsentscheidungen zu führen hatten.

Die Presse ist da - kommt unsere Botschaft an?

Nachdem der Beschluss im Gesamtbetriebsrat gefasst ist, geht es Schlag auf Schlag. Die Rückfrage bei Frank Stroh, dem Pressesprecher der baden-württembergischen IG Metall, ist denkbar kurz: "Wer macht's?" Die Antwort: "Mach du's!" Zuerst rufe ich die wichtigsten Journalisten an. Die Sache ist ein reiner Selbstläufer: "DaimlerChrysler? Klar, ich komme!" Ich nehme für die schriftliche Einladung den E-Mail-Verteiler mit den wichtigsten regionalen Zeitungen, der überregionalen Wirtschaftspresse und den Nachrichtenagenturen. Radio und Fernsehen klammere ich aus, weil ich denke, die Sache müsse steigerungsfähig bleiben. Was ich nicht ahne, ist, dass die Nachrichtenagentur dpa am nächsten Morgen eine Vorabmeldung rausschickt.

Gegen Mittag flüchte ich vor den Anrufen aufgebrachter Journalisten, die nicht auf dem Verteiler standen. Ich buche einen größeren Raum. Auf dem Weg zum Veranstaltungsort, einem Hotel in Nürtingen, höre ich im Autoradio, dass sich bei Siemens die Unternehmensleitung mit ihren Forderungen soeben auf breiter Front durchgesetzt hat. Na klasse! Und wir wollen den Journalisten deutlich machen, dass die Daimler-Belegschaft ihre Tarifverträge gemeinsam verteidigen wird! Im Hotel angelangt treiben mir diverse Schwierigkeiten, wie falsch geschriebene Namensschilder und Computer aus den frühen 80er Jahren hektische Flecken ins Gesicht.

Es ist inzwischen 13.00 Uhr. Die ersten Journalisten stehen schon im Gang. In einer halben Stunde beginnt die Konferenz, und wir sollten unbedingt vorher noch die Kommunikationsstrategie festzurren. Tatsächlich gelingt es, alle Beteiligten noch in einen Nebenraum zu lotsen. Erich Klemm macht klar: Vermittelt werden muss, dass es nicht nur um Sindelfingen geht, sondern um 10000 Beschäftigte im gesamten Unternehmen. Transportiert werden muss außerdem der unbedingte Wille der Standorte, sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Jörg Hofmann ist das gemeinsame Bekenntnis zum Flächentarif wichtig, außerdem, dass die Arbeitnehmerseite ein Kompromissangebot macht.
 
Die nächste Herausforderung für mich: lockere Stimmung im vollen Konferenzraum erzeugen. Um die 20 Journalisten sind gekommen. Ich versuche es mit einem dezenten Scherz: "Schön, dass Sie alle Nürtingen gefunden haben…" Am Ende sind dann doch alle zufrieden: Die Botschaft ist angekommen, und die Journalisten können die Welt mit einer echten Neuigkeit versorgen. Nur die Fernsehleute meckern, weil sie keine Kameras mitbringen durften.

Der Vorstand von DaimlerChrysler reagiert schnell auf den öffentlichen Vorstoß des Gesamtbetriebsrats und verlangt jetzt von der Gesamtbelegschaft Einsparungen von 500 Millionen Euro im Jahr. Die Medien starren ab diesem Zeitpunkt auf DaimlerChrysler. Die Frage, die alle bewegt, ist die: Wird es hier trotz einer hoch organisierten Belegschaft und einer starken Interessenvertretung gelingen, eine Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich und andere Tarifvertragsbrüche durchzusetzen? Gelingt die Erpressung? Wenn ja, ist die IG Metall am Ende - darin sind sich die Journalisten einig.

Wir sprechen mit einer Stimme - das kommt an

In den folgenden Wochen werde ich nicht mehr ohne Handy oder Telefonhörer am Ohr gesehen. Und das gilt nicht nur für Bürozeiten. Über weite Strecken der Auseinandersetzung überlässt die IG Metall den größten Teil der Pressearbeit mir. Inhaltlich gibt es ohnehin keine Differenzen - es wird nur mit einer Stimme gesprochen. Die Journalisten begrüßen dies ausdrücklich. Da sich die Sprecher des Unternehmens wie gewohnt bedeckt halten, bin ich in dieser Zeit die Einzige, die wirklich Verwertbares zum Verhandlungsstand und zu den Hintergründen sagen kann. Mit manchen Journalisten spreche ich in dieser Zeit häufiger und länger als mit meinem Kollegen am Schreibtisch gegenüber.

Der Kompromissvorschlag des Gesamtbetriebsrats besteht darin, ab dem Jahr 2006 die Entgeltlinie um 2,79 Prozent abzusenken und gleichzeitig Besitzstände der Beschäftigten so weit wie möglich abzusichern. Die im Detail komplizierten Regelungen lösen unzählige Anfragen in dieser Sache völlig ahnungsloser Journalisten aus der ganzen Welt aus, denen ich den ERA erklären muss. Das Glanzlicht dieser Tage ist mein Versuch, per Handy einem spanischen Journalisten, der gebrochen Englisch spricht, die Wirkung einer Absenkung der Entgeltlinie zu vermitteln.

Schließlich veranstalten wir eine weitere Pressekonferenz, auf der drei der vielleicht zwei Dutzend Menschen auf dieser Welt, die ERA wirklich verstanden haben - Erich Klemm, Jörg Hofmann und Helmut Lense, der Vorsitzende der Entgeltkommission des Gesamtbetriebsrats - sich erneut bemühen, der interessierten Wirtschaftspresse die Zusammenhänge zu erläutern.

Ich rede und rede, korrigiere Falschinformationen

Die Beschäftigten der großen Werke werden ab Ende Juni 2004 mehrfach in den Ausstand gerufen. Die Antwort ist harsch: Mercedes-Vorstand Jürgen Hubbert spricht auf einer einberufenen Pressekonferenz des Unternehmens von der "baden-württembergischen Krankheit". Gemeint sind damit die günstigeren tariflichen Bedingungen im Ländle wie die so genannte Steinkühler-Pause und höhere Spätschichtzuschläge. Er heizt damit die Stimmung in den Fabriken und Büros im Süden weiter auf.

Die stolzen Schwaben und Badener lassen sich ungern sagen, sie seien "krank" und faul. Auch in den Augen der Medien hat er damit überzogen. Ihre Sympathien gehören uns; selbst ein nicht unbedeutendes Boulevardblatt schlägt sich auf unsere Seite. Erich Klemm ist kurz vorher informiert worden, dass Jürgen Hubbert und Günther Fleig, der Personalvorstand, sich der Presse stellen werden. Oh, denke ich, spannend! Widerwillig stimmt Fleig zu, dass ich an der Pressekonferenz teilnehme.

Im Strom der Journalisten, der sich in der edlen Möhringer Zentrale in den Konferenzsaal bewegt, schwimme ich mit und drücke mich dort an die Wand. Es ist das erste Mal, dass ich eine reine Unternehmens-Pressekonferenz erlebe. Die Atmosphäre ist unterkühlt; die Fragen sind zum Teil böse, die Antworten entsprechend harsch.

Ich höre in dieser Zeit niemals auf zu telefonieren. Ich "briefe" Fernsehjournalisten, kurz bevor sie auf Sendung gehen, erkläre immer wieder den ERA, korrigiere Falschinformationen, scherze, plaudere, werbe und erkläre ein weiteres Mal den ERA. Der Gesamtbetriebsrat beschließt, dass die Beschäftigten aller zwölf Werke und 35 Niederlassungen am 15. Juli 2004 gemeinsam gegen den Erpressungsversuch des Vorstands protestieren.

Presswerk 96? Das versteht niemand

Unsere Protestbewegung braucht einen Slogan. "Erpressung - nein danke"? Nee, völlig abgedroschen. "Wir wehren uns"? Abgelehnt - das war vielleicht in den 70er Jahren originell. Auf dem Weg von der Kantine ins Büro werfen der Grafiker und ich uns Wortbälle zu.

Beim Wort-Pingpong schließt sich der zuständige Gewerkschaftssekretär an. Unserem Grafiker fällt "Presswerk 96" ein. 96 ist die Werkskennziffer der Unternehmenszentrale in Stuttgart-Möhringen. Einhelliges Urteil: Das versteht niemand. Aber es ist der richtige Weg. Er hat noch einen Vorschlag: "Erpresswerk". Das ist es! Der Schriftzug auf schwarzem Grund unter einer stilisierten DaimlerChrysler-Presse prangt am Aktionstag auf T-Shirts, Plakaten und Spruchbändern.

Rund 60000 Beschäftigte gehen an diesem Tag auf die Straße. Per SMS melden mir die Standorte ihre Teilnehmerzahlen, noch auf dem Kundgebungsplatz in Sindelfingen improvisieren wir eine Pressekonferenz. Der "Erpresswerk"-Schriftzug flimmert über alle Sender und ziert am nächsten Tag die Titelseiten der großen, überregionalen Zeitungen.

Es wird 14, manchmal 17 Stunden verhandelt

Danach wird unter Hochdruck verhandelt. Mehrere Verhandlungskommissionen arbeiten gleichzeitig an den verschiedenen Elementen des Verhandlungspakets. Mal 14 Stunden, mal 17 Stunden am Stück verweilt auch die vielköpfige Hintergrundkommission im Bürotrakt des Gesamtbetriebsrats in der Möhringer Zentrale. Die Atmosphäre gleicht der in einem U-Boot: Es ist eng, die Anspannung groß - nur die Verpflegung ist besser. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Gesamtbetriebsrats puzzeln am Foliensatz für die Betriebsversammlungen und anderem internen Infomaterial für den Fall eines Abschlusses.

Immer wieder gehe ich gemeinsam mit dem Pressesprecher der IG Metall, Frank Stroh, raus zum Pulk der vor dem Tor wartenden Journalisten. Sie drücken uns ungeduldig ihre Mikrofone ins Gesicht. Jetzt macht sich die langjährige Erfahrung von Frank in Tarifrunden bezahlt. Er ist kameraerfahren, selbst zur vorgerückten Stunde ist er immer noch gut frisiert und spricht druckreife Sätze, die auf die richtige Fährte führen. Schließlich läuft auch im Bürotrakt des Vorstands der Fernseher.

Nachts um 4.00 Uhr werden schließlich die Unterschriften unter ein Vertragswerk mit dem Titel "Zukunftssicherung 2012" gesetzt. Ich lege letzte Hand an unsere Presseinformation. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz um 8.00 Uhr des gleichen Morgens verkündet der Vorstandsvorsitzende Jürgen Schrempp gemeinsam mit den Unterhändlern beider Seiten das Ergebnis. Alle zeigen sich zufrieden mit dem erzielten Kompromiss. Die Kosten werden um 500 Millionen Euro pro Jahr gesenkt, die notwendigen Investitionen zur Sicherung der Arbeitsplätze sind garantiert, in Tarifverträge wird nicht eingegriffen.

Die Einkommen der bestehenden Belegschaft sind bis ins Jahr 2012 gesichert. Veränderte Bedingungen in den Dienstleistungsbereichen des Unternehmens werden über Ergänzungs-Tarifvertrag geregelt und liegen immer noch über Branchenbedingungen. In der internen Kommunikation wird aus dem "Erpresswerk" ein "Zukunftswerk". Unser Grafiker setzt den Schriftzug auf einen hellblauen Himmel - damit wird die Kampagne "rund".

Das Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen berichten überwiegend wohlwollend. Auch der Kanzler applaudiert. Aber es mischen sich auch kritische Stimmen darunter, die mit einer gewissen Häme darauf verweisen, dass die Erpressung gelungen sei: Schließlich habe das Unternehmen sein Sparziel voll erreicht. Wir halten dagegen, dass auch wir unsere wichtigsten Ziele, nämlich die Arbeitsplätze, die Tarifverträge und die Einkommen der Beschäftigten zu sichern, erreicht haben. Die IG Metall ist nicht am Ende.

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