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Robert Feig er, Jahrgang 1962, ist seit 2013 Bundesvorsitzender der IG Bauen-Agrar-Umwelt und folgte damit auf Klaus Wiesehügel. Er gehört seit 2007 dem Bundesvorstand der IG BAU an und ist Mitglied der Mindestlohnkommission an. Feiger ist gelernter Industriekaufmann. Magazin Mitbestimmung

Das Gespräch führte SUSANNE KAILITZ: "Da wird der Rückschritt zum Fortschritt erklärt"

Ausgabe 12/2018

Interview Der wachsende Wohnungsmangel in deutschen Städten entwickelt sich immer mehr zu einem der drängendsten politischen und gesellschaftlichen Themen unserer Zeit. Wieso trotzdem eine Baulethargie herrscht, wer die politische Verantwortung für den Notstand trägt und was jetzt zu tun wäre, erklärt Robert Feiger, Vorsitzender der IG BAU.

Das Gespräch führte SUSANNE KAILITZ

Robert Feiger, dass es für die Bauwirtschaft enorm viel zu tun gibt, weil zigtausende Wohnungen fehlen: Ist das für den Vorsitzenden der IG BAU ein Grund zur Freude?

Wohnungsmangel oder Wohnungskrisen sind nie eine gute Nachricht, auch nicht für den Chef einer Baugewerkschaft. Wir haben natürlich großes Interesse, das verstetigt gebaut wird. Aber wir haben keinerlei Interesse daran, dass Mangel an Wohnungen herrscht. Den aktuellen Wohnungsmangel zu beheben, ist nach meiner Prognose das dringendste Problem mindestens der nächsten Jahre.

Schauen wir das Problem genauer an. Worum geht es konkret?

Uns fehlen mindestens eine Million Wohnungen, insbesondere im Sozialwohnungsbau und im bezahlbaren Bereich. Besonders betroffen sind die Ballungszentren, die großen Wirtschaftszentren und Universitätsstädte, weil dort auch die Nachfrage am höchsten ist.

Wen trifft das besonders?

Der Wohnungsnotstand bricht mit voller Wucht bis in die Mitte der Gesellschaft herein. Bis vor sieben oder acht Jahren war es eher so, dass Geringverdiener oder prekär Beschäftigte sich in einigen großen Städten keinen Wohnraum mehr leisten können. Man muss jetzt aber leider feststellen, dass heute davon auch der klassische Mittelstand betroffen ist. Dort kann teilweise von der eigenen Hände Arbeit die Wohnung nicht mehr bezahlt werden.

Obwohl es in den letzten Jahren viel Bautätigkeit gab, sprechen Sie von einer „Baulethargie“. Wie geht das zusammen?

In der Tat ist in den letzten Jahren in den Städten viel gebaut worden. Wir müssen aber feststellen, dass der Markt die Segmente sozialer Wohnungsbau und bezahlbarer Wohnraum nicht zufriedenstellend regelt. Ganz im Gegenteil: Wenn Sie in die Großstädte schauen, finden Sie Luxuswohnungen, die im süddeutschen Raum oder in Köln oder Hamburg beim Kauf pro Quadratmeter teilweise über 10.000 Euro liegen, bei der Nettokaltmiete werden über 20 Euro verlangt. Das kann sich der normale Beschäftigte überhaupt nicht leisten.

Wer hat hier versagt?

Man muss ehrlich sagen: mindestens die Bundes- und Landesregierungen, die im letzten Vierteljahrhundert zuließen, dass sich solche Zustände entwickelt haben. Wir sagen als IG BAU seit mehr als zehn Jahren, dass wir auf eine Wohnungskrise und auf Wohnungsnotstand in den großen Städten zurasen.

Seit der Föderalismusreform 2007 liegt die Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau allein bei den Ländern.

Es war eindeutig ein Fehler, die Zuständigkeit dafür vom Bund zu den Ländern zu verlagern. Der Bund hat zwar in bescheidener und überschaubarer Weise den sozialen Wohnungsbau gefördert, hat aber von den Ländern nicht verlangt, dieses Geld auch zweckgebunden einzusetzen. Für die Länder hieß das übersetzt: Gerne nehmen wir die Finanzmittel in Anspruch, wollen aber nicht garantieren, dass wir sie auch im sozialen Wohnungsbau einsetzen. Zudem haben viele Kommunen, Städte, aber auch Länder den gemeinnützigen und den genossenschaftlichen Wohnungsbau komplett eingestellt. Damit ist dieses marktregulierende Segment ziemlich stark eingebrochen. Wir brauchen wieder eine dauerhafte Zuständigkeit beim Bund für den sozialen Wohnungsbau. Dafür ist eine Grundgesetzänderung nötig. Im Grunde steht das übersetzt auch im Koalitionsvertrag, wir gehen davon aus, dass das in dieser Legislatur kommen wird.

Die Wohnungspolitik der letzten Jahre lässt sich mit den Worten Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung beschreiben. War dort etwas Gutes dabei?

Wir haben vor 15 Jahren schon vor Deregulierung gewarnt. Wenn sich der Staat, die Länder, Kommunen und Städte aus der Verantwortung zurückziehen, geht es nur um marktwirtschaftliche Ansätze. Wenn dann der Bedarf an Wohnraum in den Städten immer größer wird, wirkt sich das in ganz brutaler Weise auf die Preise aus. Insofern ist Deregulierung ein klassisches Beispiel dafür, wie man bezahlbaren Wohnraum faktisch verhindert. So entsteht durch die Neoliberalisierung die Situation, dass die, die am dringendsten Unterstützung und Förderung für Wohnraum bräuchten, komplett hinten runterfallen.

Dresden hat vor einigen Jahren Schlagzeilen gemacht, weil die Stadt mit dem Verkauf des kommunalen Wohnungsbestands schuldenfrei wurde. War das ein Einzelbeispiel?

Man kann sagen, dass das in fast allen großen Städten und Kommunen stattgefunden hat. Nehmen Sie das Beispiel Bayern: Die ehemalige Landeswohnungsbaugesellschaft wurde mit weit über 30.000 Wohnungen verkauft und ist dann relativ schnell aus der Mietpreisbindung herausgefallen. Gleichzeitig lobt sich der Freistaat Bayern dafür, dass er regelmäßig schuldenfreie Haushaltsplanungen vorlegt. Nur: Er nimmt seine soziale Verantwortung für bezahlbaren Wohnraum nicht mehr wahr. Genauso kann man das auch bei anderen Städten und Kommunen sehen; die Beispiele sind unzählig.

Nun ist das Thema Wohnungsmangel in aller Munde. Das ist doch gut!

Natürlich gilt: besser später als gar nicht. Aber die Erkenntnis kommt ein gutes Jahrzehnt zu spät. Es ist gut, dass die Bundesregierung bis 2021 1,5 Millionen Wohnungen schaffen will. Nur sehen wir nicht, dass das auch mit den entsprechenden Mitteln hinterlegt wird. Gegen Wohnungsnot hilft nur bauen. Darüber muss man sich im Klaren sein. Alleine mit Verdichtung oder damit, in den Städten vielleicht noch ein oder zwei Stockwerke drauf zu setzen, ist es nicht getan. Bund, Länder und Kommunen müssen günstiges Bauland zur Verfügung stellen und nicht im sogenannten Höchstpreisbieter-Verfahren mit Blick auf den Staatshaushalt auf den höchsten Gewinn schielen. Wir brauchen im Jahr mindestens 80.000 Sozialwohnungen und weitere rund 60.000 im bezahlbaren Bereich. Um das zu schaffen, muss sich Herr Seehofer nicht nur mit Masterplänen für Geflüchtete, sondern mit einem Masterplan für bezahlbaren Wohnraum beschäftigen.

Gibt es denn überhaupt genug Bauland?

Nicht immer im Stadtkern. Das kann auch in Randlagen sein, solange es eine gute ÖPNV- oder Verkehrsanbindung gibt. Dort stehen ausreichend und große Grundstücke zur Verfügung. Wenn ich allerdings dieses Grundstücke auf den Markt werfe ohne ein Konzept, in welchen Anteilen auch sozialer Wohnungsbau und bezahlbarer Wohnraum entstehen müssen, dann entsteht über den Markt das, was wir jetzt haben: eine dramatische Wohnungssituation.

Ist das in den Amtsstuben inzwischen klar?

Rein intellektuell wohl schon. Allerdings gibt es da ganz unterschiedliche Interessenlagen – ein Stadtkämmerer schaut darauf, wie sein kommunaler Haushalt aussieht. Das ist auf der Bundesebene auch nicht viel anders. Deswegen sind die kommunalen, landes- und bundeseigenen Grundstücksbesitzer klar aufgefordert, ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden. Das bedeutet, die Vergabe ganz konkret an soziale Bindung und Mietpreisobergrenzen zu koppeln.

Angesichts der aktuellen Diskussion könnte man glauben, die Mietpreisbremse sei das Allheilmittel. Ist sie es?

Nein. Durch die Mietpreisbremse entsteht keine einzige neue Wohnung. Im Übrigen auch nicht durch das Baukindergeld, auch wenn ich dafür bin, dass Familien mit Kindern beim Erwerb oder Bau von Wohneigentum unterstützt werden. Aber man muss jetzt mindestens in gleicher Weise in den sozialen Wohnungsbau und ins bezahlbare Segment einsteigen. Dafür brauchen wir, um das ganz klar zu sagen, über mindestens einen Zeitraum von zehn Jahren circa sechs Milliarden Euro Förderung im Jahr, getragen durch Länder und den Bund. Wir verlieren jedes Jahr fast 60.000 Sozialwohnungen aus der sozialen Bindung – und die Bundesregierung schreibt sich auf die Fahnen, sie wolle pro Jahr 25.000 bauen. Da wird der Rückschritt zum Fortschritt erklärt.

Was muss getan werden?

Im Grunde geht es schon um die Bedingungen, die fürs Bauen geschaffen werden, um das auch für Wohnungsbaugesellschaften oder Wohnungsunternehmen interessant zu machen. Will man eine längere soziale Bindung, muss es einen längeren Förderungszeitraum geben. Die Bundesregierung und die Länder wären gut beraten, jetzt klar das Signal zu senden, dass sie nicht nur in den drei Jahren bis zur nächsten Wahl denken. Sie müssen sagen: Wir sind gewillt, über einen Zeitraum von 10, 15 Jahren ganz klar zu investieren. Die Bauwirtschaft muss die entsprechenden Kapazitäten schaffen, das passiert nicht von heute auf morgen. Die müssen ausbilden, und qualifizieren – und brauchen dabei die Sicherheit, dass das, was jetzt investiert wird, in fünf oder zehn Jahren noch gebraucht wird.

Wer kommt als Träger für den sozialen Wohnungsbau in Frage?

Wir wollen, dass der genossenschaftliche und gemeinnützige Wohnungsbau wieder gestärkt wird. Angesprochen sind da vor allem die kommunalen Träger – ich glaube, die Kommunen sind gut beraten, wenn sie das in der eigenen Verantwortung und mit eigenen Steuerungsmöglichkeiten tun. Im Blick haben wir da vor allem auch gemeinnützige Unternehmen, die im Sinne der Gemeinschaft agieren und deshalb steuerbefreit sind.

Gibt es Modelle, die Sie als beispielhaft ansehen?

Nehmen Sie den Main-Kinzig-Kreis, östlich von Frankfurt. Dort sagt der Landkreis: Wir stellen kostengünstig ein Grundstück zur Verfügung und legen als Voraussetzung fest, dass dort etwa 30 Prozent Sozialwohnungen entstehen müssen und rund 20 Prozent Wohnungen im bezahlbaren Bereich, bei einer Nettokaltmiete von 8 oder 9 Euro. Der Rest kann frei gebaut werden. Wer diese Voraussetzungen erfüllt und gleichzeitig das wirtschaftlich interessanteste Angebot macht, erhält den Auftrag. Vorzugsweise sind dann ordentliche Baufirmen beteiligt, die unter die Tarifbindung fallen und Mitglied im Arbeitgeberverband sind, die ordentlich ausbilden und, wenn es nach uns geht, auch einen Betriebsrat haben.

Sie fordern auch bessere Abschreibungsmöglichkeiten.

Ja. Wir brauchen eine Erhöhung der Abschreibung von aktuell zwei auf drei Prozent. Das entspricht dem heutigen Wertverlust von Wohngebäuden. Haustechnik wie etwa Heizungen müssen spätestens nach etwa 20 Jahren erneuert werden. Wer wirklich Investoren für einen Wohnungsbau, den sich auch Normalverdiener leisten können, gewinnen will, muss sich diesen Bedingungen stellen.

Werden Ihre Forderungen auf den diversen Wohngipfeln jetzt mit anderen Ohren gehört als noch vor ein paar Jahren?

Zumindest hat die Politik die soziale Dimension des Problems erkannt. Wohnen ist auch Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Das Problem ist realisiert, was uns fehlt, sind momentan die Taten, sprich: die Investitionen. Ich kann sagen: Wer dieses Problem unterschätzt, der übergeht ein Grundrecht der Menschen – nämlich bezahlbaren Wohnraum zu finden, vorzugsweise dort, wo sie arbeiten.

Kann die Branche denn das leisten, was jetzt gebraucht wird?

Die Bauwirtschaft baut seit etwa vier bis fünf Jahren wieder deutlich Kapazitäten auf – wir zählen in den letzten vier Jahren deutlich über 100.000 Beschäftigte mehr im Bauhauptgewerbe. Damit sind wir aktuell bei rund 800.000 Beschäftigten. Die Ausbildungszahlen steigen, wir haben attraktive Tarifabschlüsse und Rahmenbedingungen, die das Gewerbe attraktiver machen. Aber die Bauwirtschaft braucht die Sicherheit, dass auch dauerhaft investiert wird. Dann kann sie die nötigen Kapazitäten problemlos aufbauen.

Wie steht es denn aktuell um die Arbeitsbedingungen auf dem Bau?

Der Bau ist momentan in einer sehr guten konjunkturellen Situation. In solchen Hochphasen, da muss man ehrlich sein, müssen die Beschäftigten durchaus einen gewissen Arbeitsdruck hinnehmen. Deswegen müssen auch zügig Kapazitäten aufgebaut werden.

Wie optimistisch gehen Sie in die nächsten Tarifverhandlungen?

Wir haben ja im Frühsommer einen Tarifabschluss erzielt, der bei 5,7 Prozent liegt, mit ordentlichen Einmalzahlungen und einer guten Erhöhung des 13. Monatseinkommens sowohl im Westen als auch im Osten. Für einen Maurer sind das im Monat 200 Euro mehr brutto. Das ist ein hervorragendes Signal. Gleichzeitig wird es in der Bauwirtschaft bei dem Bedarf, über den wir gerade reden, die nächsten Jahre keine wirklichen Auftrags- und Beschäftigungsprobleme geben. Deswegen sehen Sie mich sehr optimistisch für die nächsten Tarifrunden.

Aufmacherfoto: Gaby Waldek

Robert Feiger ist ausgebildeter Industriekaufmann, seit 1982 Mitglied der IG BAU (Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt) und seit 2013 ihr Vorsitzender. Im Aufsichtsrat sitzt er beim süddeutschen Bauunternehmens Bauer AG und der Zusatzversorgungskassen für das Baugewerbe.

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