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Magazin Mitbestimmung

Porträt: Im Kreis der Familie

Ausgabe 03/2016

Martin Röll, IG-Metall-Geschäftsführer in Stuttgart, ist Aufsichtsrat beim schwäbischen Maschinenbauer Trumpf. Von Stefan Scheytt

Am Vormittag ist bei Martin Röll, dem Zweiten Bevollmächtigten der IG Metall in Stuttgart, eine E-Mail eingegangen. Absenderin ist Nicola Leibinger-Kammüller, Vorsitzende der Geschäftsführung des Maschinenbauunternehmens Trumpf, in dessen Aufsichtsrat Martin Röll sitzt. In der E-Mail gratuliert die Unternehmerin dem Gewerkschafter zum anstehenden 53. Geburtstag, sie hat die E-Mail nicht nur selber verfasst, sondern gratuliert auch auf eine sehr persönliche Weise. Für Martin Röll kommt in dieser scheinbaren Kleinigkeit zum Ausdruck, wie Trumpf tickt: Wiewohl ein weltweit führender Hersteller von Lasertechnik und Werkzeugmaschinen mit gut 11 000 Mitarbeitern, spielen bei Trumpf persönliche Beziehungen unverändert eine überragende Rolle. Familienunternehmen eben.

Diese Tatsache prägt auch die Arbeit im Aufsichtsrat, dem der Arbeitsrechtler Röll seit 2012 angehört. Im zwölfköpfigen, paritätisch besetzten Gremium sitzen auf der Seite der Anteilseigner entweder Familienmitglieder oder enge Vertraute der Familie, die drei der fünf Geschäftsführer stellt. „Die Familie beherrscht das Unternehmen in jeder Hinsicht“, sagt Martin Röll. Sie allein trifft strategische Entscheidungen, etwa jüngst die Gründung des IT-Dienstleisters Axoom, in dem Trumpf seine Aktivitäten rund ums Thema Industrie 4.0 vorantreibt.

„Solche Entscheidungen werden im Aufsichtsrat zwar besprochen, sind da aber im Grunde weitgehend gefallen“, sagt Röll. „Bis dato konnten wir sie mittragen, weil sie im Kern immer gut begründet und nachvollziehbar waren.“ Die Rolle der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat beschreibt Röll deshalb als die eines „Ratgebers“: „Ich erlebe es so, dass die andere Seite ernsthaft an unserer Sicht der Dinge interessiert ist, sie wollen explizit unsere Wahrnehmung aus Arbeitnehmersicht.“ Nicht nur bei Trumpf genieße die IG Metall als Organisation inzwischen ein hohes Ansehen: „Man respektiert unsere Professionalität, Sachkunde und Seriosität. Wenn das mit persönlicher Integrität verknüpft ist, kann man auch in Familienunternehmen wie Trumpf ein Einflussfaktor sein“, sagt Röll. Und wo es nur selten zu Abstimmungen kommt und schon gar nicht zu Kampfabstimmungen, spielt das persönliche Verhältnis eine umso wichtigere Rolle, ist Martin Röll überzeugt. Man schicke sich schon mal E-Mails (und nicht nur zum Geburtstag) oder telefoniere, auch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden, dem ehemaligen BASF-Chef Jürgen Hambrecht – ein mitbestimmungserprobter Firmenlenker.

Prägend für die Firmenkultur sei eine „pietistische Arbeitsmoral“ mit hohen Ansprüchen, die die Führungskräfte an sich selbst, aber eben auch an die Mitarbeiter stellen, sagt Röll. Zum Ausdruck kommt dies auch im alle fünf Jahre erneuerten „Bündnis für Arbeit“, mit dem Trumpf immer wieder positive Schlagzeilen macht (siehe auch Magazin Mitbestimmung 12/2015). Es ist ein Vertrag zwischen Firmenleitung und Belegschaft, der den Mitarbeitern zwar ungewöhnlich viele individuelle Möglichkeiten zur flexiblen Gestaltung ihrer (Lebens-)Arbeitszeit gibt, ihnen aber auch 70 unbezahlte Arbeitsstunden pro Jahr abverlangt. Aus gewerkschaftlicher Sicht seien diese „Bündnisstunden“ äußerst problematisch, meint Martin Röll: „Das zeugt nicht von Augenhöhe.“ 

„Trumpf ist ein seit Jahrzehnten gut geführtes, erfolgreiches Unternehmen mit in weiten Teilen guten Arbeitsbedingungen; die meisten Arbeitnehmer fühlen sich sehr anständig behandelt“, findet Röll. Dieses Urteil spiegle sich in der konsensorientierten Kultur von Trumpf wider, wie sie sowohl im Betriebsrat als auch im Aufsichtsrat gelebt werde. Eine Begleiterscheinung dieser Kultur ist ein aus Gewerkschaftssicht unbefriedigender Organisationsgrad. „Das macht unsere Rolle im Aufsichts- und im Betriebsrat nicht gerade einfacher“, räumt Martin Röll ein. Allerdings wisse die andere Seite auch, „dass wir sehr schnell sehr viele Arbeitnehmer organisieren können, wenn der Eindruck entsteht, dass Arbeitnehmerinteressen nicht mehr ausreichend berücksichtigt werden.“

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Zur Person

Der 53-jährige Jurist Martin Röll ist seit 2012 Geschäftsführer der IG Metall Stuttgart. Er war Fachanwalt für Arbeitsrecht in Tübingen, ehe er 2006 als Leiter des Rechtsschutzzentrums zur IG Metall Stuttgart kam. Röll ist auch IG-Metall-Betriebsbetreuer für den schwäbischen Global Player Trumpf. 

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