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HBS Böckler Impuls

VWL-Studium: Wenig reflektiert

Ausgabe 06/2016

Studierende der Wirtschaftswissenschaften lernen die herrschende Theorie vor allem auswendig. Sie lernen weniger, sie zu hinterfragen. Dieses Phänomen ist in Deutschland besonders ausgeprägt.

Smith, Ricardo, Marx: Sie alle haben sich mit der Frage gequält, was den Wert der Arbeit ausmacht – und in welchem Verhältnis der tatsächlich gezahlte Lohn dazu steht. Das ist theoretisch diffizil und hochgradig politisch. Denn in den klassischen ökonomischen Theoriegebäuden stehen sich Arbeit und Kapital unversöhnlich gegenüber und konkurrieren um die wirtschaftlichen Überschüsse. Einfacher und mathematisch eleganter – wenn auch nicht sonderlich realitätsnah – haben die neoklassischen Ökonomen das Problem gelöst, indem sie den Klassenkonflikt per Definition beseitigten: In der perfekt ­flexiblen Wettbewerbswirtschaft wird jeder Produktionsfaktor entsprechend seinem Beitrag zum Gesamtprodukt entlohnt. Folglich sind die am Markt gezahlten Löhne leistungsgerecht.

Die überwältigende Mehrheit derer, die sich für ein Studium der Volkswirtschaftslehre (VWL) entschieden haben, lernt an der Uni nur die neoklassische Version. Teilfächer wie ökonomische Dogmengeschichte, die den Rahmen für eine kritisch reflektierende Auseinandersetzung mit verschiedenen Wirtschaftstheorien bilden könnten, spielen in den Curricula fast keine Rolle. Das zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Untersuchung des Netzwerks Plurale Ökonomik. Das VWL-Bachelorstudium besteht demnach lediglich zu 1,3 Prozent aus „reflexiven Fächern“ wie der Geschichte des ökonomischen Denkens oder Wirtschaftsethik. Auf Wirtschaftsgeschichte entfällt gerade ein halbes Prozent der Studienzeit. Die Untersuchung basiert auf einer Auswertung von Lehrplänen an 54 Universitäten.

Nach denselben Kriterien haben Mitglieder des internationalen Studierendennetzwerks in elf weiteren Ländern die Lehrpläne ausgewertet. Dabei zeigen sich keine grundsätzlich anderen Tendenzen als in Deutschland. Allerdings räumen andere Länder den reflexiven Fächern wenigstens etwas mehr Platz ein. Im internationalen Durchschnitt liegt der Wert bei 2,5 Prozent. Dementsprechend dürfte den Studierenden anderswo zumindest eher bewusst sein, dass ihre Dozenten ihnen keine letzten Wahrheiten präsentieren können, sondern nur eine Theorie unter vielen.

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