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Magazin Mitbestimmung

: Offen sein für Kompromisse

Ausgabe 07/2005

Heinz Klinkhammer, Arbeitsdirektor der Telekom AG, warnt vor "faulen Kompromissen" im Aufsichtsrat, mahnt Reformen auf der Arbeitnehmerbank an und zeigt sich dennoch "optimistisch, dass es gelingen wird, die Mitbestimmung zukunftsfähig zu machen".

Die Deutsche Telekom AG hat seit 1995 einen beispiellosen Wandel von der Behörde zum international agierenden Dienstleistungsunternehmen vollzogen. Eine derart anspruchsvolle Transformation konnte nur gelingen, wenn sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Engagement, Offenheit und der Bereitschaft, neue Wege zu gehen, aktiv in den Veränderungsprozess einbringen würden. Dass die Telekom diese Herausforderung erfolgreich hat meistern können, ist in besonderem Maße ein Verdienst der vertrauensvollen Sozialpartnerschaft.

Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den nationalen Betriebsräten, im Europäischen Betriebsrat und im Aufsichtsrat waren dabei wichtige Voraussetzungen, um diese Kooperation zu verwirklichen. Es hat sich sehr bewährt, die gewählten Arbeitnehmervertreter in alle wesentlichen Gestaltungsprozessen einzubeziehen. Dies ist aus meiner Sicht eine zwingende Voraussetzung für den erfolgreichen Marktauftritt der Deutschen Telekom im In- und Ausland.

Gelebte soziale Verantwortung

Soziale Verantwortung für unsere Beschäftigten und gegenüber der Gesellschaft ist elementarer Bestandteil der bei der Deutschen Telekom gelebten Unternehmenskultur. Umstrukturierungen innerhalb des Unternehmens nach der Privatisierung sowie der Personalabbau aufgrund der technologischen Entwicklung haben der Belegschaft viel abverlangt. Die Arbeitnehmervertreter bei der Telekom haben aktiv mitgeholfen, diesen schwierigen Prozess durch intelligente Personalabbauinstrumente sozialverträglich mitzugestalten und somit betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Vermeiden konnten wir damit auch eine Externalisierung der Kosten des Personalabbaus zu Lasten der Gesellschaft.

Eine Erfolgsgeschichte ist hier vor allem Vivento, die konzerninterne Agentur, die tätig wird auf dem Gebiet des Personalüberhang- und Vermittlungsmanagements. Von den ursprünglich 31 100 zu Vivento transferierten Beschäftigten der Deutschen Telekom AG haben inzwischen 12 900 die Agentur wieder verlassen. 10 000 Mitarbeiter haben durch Zeitarbeitseinsätze oder über Projekte eine neue Beschäftigung gefunden. Alternative Beschäftigungsmöglichkeiten schafft Vivento durch den Aufbau eigener Geschäftsideen wie zum Beispiel Customer-Servicedienstleistungen. Rund 4600 Mitarbeiter sind in diesen so genannten "Business Lines" beschäftigt. Vivento ist es somit gelungen, die Beschäftigungsquote konsequent zu steigern. Ende 2004 waren von den rund 18 300 Vivento-Mitarbeitern 84 Prozent in Beschäftigung bzw. Qualifizierung.

Weiterhin konnten wir durch das im März 2004 mit den Sozialpartnern beschlossene Beschäftigungsbündnis und die damit verbundene Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 34 Stunden bei Teillohnausgleich und tariflicher "Nullrunde" die Beschäftigung von rund 9800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sichern. Durch das Beschäftigungsbündnis konnte zudem der Personalaufwand um rund 300 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr gesenkt werden. Damit wurde ein wichtiger Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der Telekom und für die Sicherheit der Arbeitsplätze geleistet.

Der Aufsichtsrat bei Telekom

Die aktuelle Debatte um die Zukunft der Mitbestimmung konzentriert sich vor allem auf die Mitbestimmung im Aufsichtsrat. Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften haben laut Aktiengesetz die Aufgabe, den Vorstand der Gesellschaft zu berufen, zu überwachen und zu beraten.

Er ist bei Unternehmen, die wie die Deutsche Telekom AG dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 unterliegen, paritätisch besetzt mit Vertretern der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite. Alle Entscheidungen im Aufsichtsrat müssen mit der Mehrheit der Mitglieder gefällt werden. Nur wenn keine Mehrheit zustande kommt, steht bei einer weiteren Abstimmung dem von der Kapitalseite bestimmten Vorsitzenden des Aufsichtsrats ein Doppelstimmrecht zu. Der Grundgedanke hinter diesem System ist, dass Entscheidungen gegen die Vertreter der Arbeitnehmer immer erst ein Prozess der Güterabwägung vorangehen soll.

Dieser muss aber auch von allen Beteiligten konsequent betrieben werden. "Faule" Kompromisse mögen zwar vordergründig und kurzfristig Wirkung erzielen. Sie dürfen aber im Interesse aller Beteiligten nicht eingegangen werden. Dafür ist eben notfalls das Zweitstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden vorgesehen, das sicher nicht leichtfertig, wohl aber konsequent eingesetzt werden muss. Übrigens bei der Deutschen Telekom AG auch schon so praktiziert

Das Mitbestimmungsgesetz von 1976 schreibt außerdem vor, dass der Aufsichtsrat einen Arbeitsdirektor als gleichberechtigtes Vorstandsmitglied bestellen muss. Dem Arbeitsdirektor kommt dabei eine gewisse Sonderrolle zu, da er dem Faktor Arbeit traditionell in besonderer Weise verpflichtet ist. Er darf dabei aber niemals aus den Augen verlieren, dass er im Rahmen einer Gesamtverantwortung Teil des Vorstands ist und gleiche Rechte und Pflichten wie seine Kolleginnen und Kollegen im Vorstand hat. Meine persönliche Meinung ist: Wer sich als Arbeitsdirektor auf die Themen Personal und Soziales beschränkt, wird seinen Pflichten nicht gerecht!

Mitbestimmung aus Überzeugung und als Konfliktlösung

Seit der Einführung des Mitbestimmungsgesetzes vor knapp 30 Jahren hat sich die Arbeitsweise der Aufsichtsräte stark gewandelt. Die Aufsichtsratsarbeit ist wesentlich intensiver und anspruchsvoller geworden. Der Aufsichtsrat der Deutschen Telekom AG hat neben dem gesetzlich vorgeschriebenen Vermittlungsausschuss vier weitere Ausschüsse gebildet, um seiner Aufgabe gerecht zu werden. Diese sind der Präsidialausschuss, der Personalausschuss sowie Finanzausschuss und das Audit-Committee. Alle Ausschüsse sind paritätisch mit Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmerseite besetzt, obwohl dazu keine gesetzliche Verpflichtung besteht. Dies macht deutlich, dass die Telekom Mitbestimmung aus Überzeugung lebt.

Professionelle Arbeit erfordert den Profi. Deshalb ist der Reformdiskussion um die Kompetenz der Aufsichtsräte beider Bänke ein breites Feld einzuräumen. Das betrifft auch die Diskussion um die Größe und Zusammensetzung des Aufsichtsrates. Ich bin der Meinung, dass Gewerkschaften in Aufsichtsräten vertreten sein müssen, denn sie tragen nach meinen Erfahrungen zur Konfliktlösung bei. Eine Diskussion über die Anzahl der Aufsichtsratsmandate insgesamt sowie der Gewerkschaftsmitglieder und die Vergütung von Aufsichtsratsmitgliedern halte ich aber für zielführend.

Die paritätische Mitbestimmung steht vor allem für Partnerschaft und Konsensstreben. Mitbestimmung ist allerdings keine Einbahnstraße. Es gibt nicht selten Situationen, in denen Anteilseigner und/oder Management gegen kurzfristige Interessen der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter entscheiden müssen. Auch bei der Deutschen Telekom AG sind solche Situationen aufgetreten und werden auch wieder auftreten. Die Erfahrung bei der Telekom hat jedoch auch gezeigt, dass beide Seiten gut damit fahren, wenn sie bei strittigen Fragen zunächst eine einvernehmliche Lösung anstreben. Die beachtlichen Erfolge, die im Zuge des Beschäftigungsbündnisses im Konsens erzielt wurden, unterstreichen dies.

Mitbestimmung im Aufsichtsrat trägt dazu bei, dass die Vertreter der Arbeitnehmer von Beginn an in strategische Unternehmensentscheidungen eingebunden sind. Dies bringt jene nicht selten in Verlegenheit gegenüber ihren eigenen Wählern, da sie auch für Entscheidungen Verantwortung tragen, die für die Belegschaft schmerzhaft sind. Gerade wenn es um den Abbau von Arbeitsplätzen geht, können die Arbeitnehmervertreter eine wichtige Brücke sein, um in der Belegschaft Verständnis für solche Maßnahmen zu wecken und Vertrauen zu erhalten. Auch hier haben Gewerkschaften nach meiner Erfahrung eine ausgleichende Funktion.

Globalisierung verlangt Anpassung

Auch ein noch so positives Mitbestimmungsverständnis kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es durchaus Reformbedarf gibt. Die Gewerkschaften müssen sich wohl den Vorwurf gefallen lassen, dass sie lange Zeit die Reformdiskussion zu passiv begleitet haben, anstatt aktiv mit eigenen Vorschlägen zur Weiterentwicklung der Mitbestimmung im Aufsichtsrat die Diskussion zu bereichern. Es müssen Antworten gefunden werden, wie das deutsche Mitbestimmungsmodell den veränderten Rahmenbedingungen im Zuge von europäischer Einigung und Globalisierung angepasst werden kann.

Auf betrieblicher Ebene ist mit der Einführung des Europäischen Betriebsrates bereits ein bedeutender Schritt hin zu einer europäischen Mitbestimmungskultur gemacht worden. Der Europäische Betriebsrat der Telekom wurde vor einem Jahr ins Leben gerufen und arbeitet sehr konstruktiv mit dem Management zusammen. Eine erste Bewährungsprobe hat er beim Programm "Save for Growth" bestanden. Hier ging es darum, europaweit ein Einspar- und Investitionsprogramm umzusetzen, ohne "faule Kompromisse" wegen unterschiedlicher Sozialstandards in den einzelnen Ländern einzugehen. Auch wenn Personalreduzierungen möglicherweise in England "leichter" durchführbar sind, muss dort die Reduzierung eintreten, wo sie geschäftlich geboten ist. Möglicherweise auch in Deutschland.

Die Deutsche Telekom hat sich seit ihrer Privatisierung zu einem international agierenden Konzern entwickelt. Inzwischen arbeiten von den rund 248 000 Beschäftigten des Konzerns rund 77 000 im Ausland. Es war deshalb ein durchaus erfreuliches Signal, dass sich Gewerkschaftsvertreter von ver.di im Aufsichtsrat der T-Mobile International bemüht haben, für einen der drei Gewerkschaftssitze im Aufsichtsrat einen Vertreter einer ausländischen Gewerkschaft zu gewinnen. Die Vertreterin der amerikanischen Gewerkschaft CWA erhielt jedoch bei der Wahl am 24. Mai 2005 nicht die für ein Aufsichtsratsmandat erforderliche Stimmenanzahl.

Das Mitbestimmungsgesetz sieht allerdings für die im Ausland Beschäftigten keinerlei Wahlrecht zum Aufsichtsrat vor. Hier besteht dringend Reformbedarf, um den Herausforderungen der Globalisierung gerecht zu werden. Das Modell der so genannten "Europa AG" oder SE, das europaweit im Dezember 2004 eingeführt wurde, zeigt Möglichkeiten auf, wie eine internationale Ausrichtung der Unternehmensmitbestimmung erreicht werden kann.

Demnach bleibt es einem besonderen Verhandlungsgremium von Arbeitgebern und Arbeitnehmern vorbehalten, ein maßgeschneidertes Mitbestimmungsmodell für das Unternehmen zu entwickeln, das einen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Traditionen der Arbeitsbeziehungen in verschiedenen Ländern schafft. Für den Fall der Nichteinigung ist eine Auffanglösung vorgesehen.

Das Mitbestimmungsmodell der Europa AG könnte ein möglicher Weg sein, um auch die deutsche Mitbestimmung durch flexible Lösungen weiterzuentwickeln. Im Zuge einer Reform sollte auch das Wahlverfahren der Arbeitnehmervertreter entbürokratisiert werden und von der aufwändigen Delegiertenwahl auf eine Urwahl durch die Beschäftigten in den Betrieben umgestellt werden.

Das deutsche System der Mitbestimmung hat viele Vorzüge, die es zu bewahren gilt. Gleichzeitig ist es in seiner Form einzigartig in Europa. Andere Länder sind eigene Wege gegangen, die wir respektieren müssen. Deshalb sollten wir bei der Mitbestimmung offen sein für Kompromisse. Die Einbindung der Arbeitnehmer in die Unternehmensentscheidungen ist dort, wo sie verantwortungsvoll gelebt wird, ein wichtiger Beitrag, um nachhaltigen Unternehmenserfolg zu ermöglichen. Ich bin optimistisch, dass es gelingen wird, die Mitbestimmung zukunftsfähig zu machen.

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