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Leistungsbilanzüberschuss auf Höchststand: Neue Prognose des IMK: Deutsche Wirtschaft wächst in diesem Jahr um 1,9 und 2017 um 1,3 Prozent

29.09.2016

Trotz Unsicherheit durch die Brexit-Entscheidung und schleppender weltwirtschaftlicher Entwicklung wächst die deutsche Wirtschaft 2016 um fast zwei (1,9) Prozent. Getragen wird der fortgesetzte moderate Aufschwung in zunehmendem Maße von der Binnennachfrage, insbesondere von einem kräftig wachsenden privaten Konsum. 2017 schwächt sich das Wachstum des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf 1,3 Prozent ab, wozu allerdings auch die geringere Zahl der Arbeitstage (drei weniger als 2016) wesentlich beiträgt. Schwachstelle der insgesamt aufwärtsgerichteten wirtschaftlichen Entwicklung bleiben in beiden Jahren die Investitionen. Zu diesem Ergebnis kommt die neue Konjunkturprognose, die das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung heute auf einer Pressekonferenz in Berlin vorstellt. Die Wissenschaftler prognostizieren einen erneuten Höchststand beim deutschen Leistungsbilanzüberschuss. Dieser wird 2016 auf 9,3 Prozent des BIPs steigen und im kommenden Jahr nur etwas sinken. Das sei „deutlich größer als mit einem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht zu vereinbaren“, warnen die Forscher – und ein weiteres Argument für deutlich höhere staatliche Investitionen.

Gegenüber seiner Vorhersage vom Juni erhöht das IMK die Wachstumsprognose für 2016 um 0,3 Prozentpunkte. Für 2017 bleibt sie unverändert. Das recht robuste Wachstum sorgt, im Zusammenspiel mit einer sinnvollen Ausweitung von öffentlichen Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen dafür, dass die Trends auf dem deutschen Arbeitsmarkt überwiegend positiv bleiben: Obwohl sich das Arbeitskräfteangebot in Folge der starken Flüchtlingszuwanderung beträchtlich erhöht hat, sinkt die Zahl der Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt 2016 noch einmal um gut 100.000 Personen. 2017 nimmt sie bei weiter steigender Beschäftigung um lediglich rund 36.000 Personen zu und liegt dann im Jahresdurchschnitt bei 2,73 Millionen Personen.

„Der Aufschwung geht weiter, weil er ein stabiles Standbein im Inland hat“, sagt Prof. Dr. Gustav A. Horn, der wissenschaftliche Direktor des IMK. „Mehr Beschäftigung, höhere Löhne und steigende private Ausgaben halten unsere Wirtschaft auf Aufwärtskurs. Und davon profitieren auch die öffentlichen Kassen. Dazu kommt in diesem Jahr der Export als Spielbein. Was uns dagegen große Sorge macht, ist die hartnäckige Investitionsschwäche. Die Daten zeigen: Viele deutsche Unternehmen fahren ihre Produktion auf Hochtouren. Eigentlich müssten sie ihren Maschinenpark ausbauen und modernisieren. Aber nichts dergleichen geschieht, weil die Unsicherheit über die weitere Entwicklung im Euroraum, in Großbritannien und den Schwellenländern die Entscheidung lähmt. Dabei sind die Aussichten gar nicht mal durchgehend schlecht. Der Staat wäre daher gut beraten, ein positives Signal für Investitionen zu setzen, eine Art Startschuss.“

Das IMK plädiert dafür, dass die öffentliche Hand in Deutschland und anderen Euro-Ländern den Stau bei den öffentlichen Investitionen beschleunigt auflöst. Das Zukunftsinvestitionsprogramm des Bundes, der Kommunalinvestitionsfonds und zusätzliche Mittel für Breitbandausbau oder Mikroelektronik seien zwar Schritte in die richtige Richtung, aber längst nicht ausreichend: „Dennoch steigt die Investitionsquote im Prognosezeitraum nur geringfügig und der Investitionsstau verringert sich kaum“, schreiben die Forscher. Stärkere staatliche Investitionen könnten auch den Unternehmensinvestitionen dringend benötigte Impulse verleihen. Investitionsbedarf in eine modernere Infrastruktur, digitale Techniken und Bildung sei ebenso vorhanden wie finanzieller Spielraum: Für 2016 prognostiziert das IMK einen gesamtstaatlichen Budgetüberschuss von gut 19 und 2017 von knapp 22 Milliarden Euro. Darüber hinaus sei es dem Bund aktuell möglich, auch langfristige Kredite praktisch umsonst aufzunehmen.

Kerndaten der Prognose (siehe auch Tabelle 5 im Prognose-Report):

Arbeitsmarkt
Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland nimmt 2016 und 2017 weiter zu – um gut 500.000 und 390.000 Personen bzw. 1,2 Prozent und 0,8 Prozent im Jahresdurchschnitt. Da durch die starke Zuwanderung gleichzeitig die Zahl der Erwerbspersonen steigt, entwickelt sich die Arbeitslosigkeit aber zunehmend gegenläufig: 2016 erwarten die Forscher einen Rückgang der Arbeitslosigkeit um 100.000 Personen, so dass im Jahresdurchschnitt rund 2,69 Millionen Menschen ohne Job sein werden. Für 2017 erwartet das IMK ein Wachstum der Arbeitslosenzahl um jahresdurchschnittlich 36.000 auf rund 2,73 Millionen Personen. Die Arbeitslosenquote beträgt in diesem Jahr 6,1 und im kommenden Jahr 6,2 Prozent. Spürbar stärker als die Arbeitslosigkeit steigt die Unterbeschäftigung, weil insbesondere mehr Zuwanderer in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen qualifiziert und beschäftigt werden.

Außenhandel
Das globale Wirtschaftswachstum ist im Prognosezeitraum insgesamt mäßig, die Entwicklung bei wichtigen Außenhandelspartnern verläuft uneinheitlich. Zwar hat sich die Situation in den meisten großen Schwellenländern stabilisiert. China dürfte das Wachstumsziel von 6,5 Prozent in diesem Jahr erreichen, Brasilien und Russland werden laut IMK mit einiger Wahrscheinlichkeit 2017 aus der Rezession kommen. Allerdings wird die US-Wirtschaft 2016 eher moderat um 1,6 und 2017 um 2,1 Prozent zulegen. Das japanische BIP stagniert nahezu. Beeinflusst durch die Unsicherheit nach dem Brexit-Votum geht das Wachstum in Großbritannien von 1,7 Prozent 2016 auf nur noch 0,9 Prozent im kommenden Jahr zurück. Die Erholung im Euroraum bleibt verhalten und das BIP-Wachstum fällt etwas geringer aus: 1,5 Prozent in diesem Jahr und 1,2 Prozent 2017.

Dementsprechend hat die Entwicklung der deutschen Ausfuhren nur wenig Schwung. Sie wachsen im Jahresdurchschnitt 2016 um 1,9 Prozent. 2017 hellen sich die Aussichten geringfügig auf, der Export legt um 2,2 Prozent im Jahresmittel zu. Die Importe wachsen infolge der stärkeren deutschen Binnennachfrage in beiden Jahren etwas kräftiger als die Ausfuhren, aber insbesondere in diesem Jahr ebenfalls insgesamt verhalten: jahresdurchschnittlich um 2,1 und 3,7 Prozent.

Investitionen
Trotz historisch niedriger Zinsen und einer hohen Kapazitätsauslastung vieler Unternehmen entwickeln sich die Investitionen mit sehr geringer Dynamik: 2016 dürften die Unternehmen ihre Ausrüstungsinvestitionen um 2,1 Prozent und 2017 um 1,9 Prozent ausweiten. Da die Nachfrage nach Wohnraum groß bleibt, entwickeln sich die Bauinvestitionen besser: 2016 legen sie im Jahresmittel um 3,1 Prozent zu, 2017 um 2,3 Prozent.

Einkommen und Konsum
Der private Konsum bleibt Motor der wirtschaftlichen Entwicklung, sein Zuwachs wird sich 2017 aber leicht abschwächen. Grund dafür ist, dass die Inflation nicht mehr ganz so niedrig sein wird wie 2016. Zudem ist die Sparquote gestiegen. Die verfügbaren Einkommen nehmen 2016 nominal um durchschnittlich 2,8 Prozent und real um 2,4 Prozent zu. 2017 legen die verfügbaren Einkommen erneut nominal um 2,8 Prozent zu, real allerdings nur um 1,8 Prozent. Die realen privaten Konsumausgaben wachsen 2016 um 2 Prozent, 2017 um 1,9 Prozent.

Inflation und öffentliche Finanzen
Die allgemeine Preisentwicklung in Deutschland ist in diesem Jahr extrem schwach und wird auch 2017 noch deutlich unter dem EZB-Inflationsziel bleiben. Im Jahresdurchschnitt 2016 liegt die Teuerungsrate laut IMK bei nur 0,4 Prozent. 2017 dann bei 1,2 Prozent.

Der moderate Aufschwung sorgt mit seiner Binnenfundierung für spürbar steigende Einnahmen bei Gebietskörperschaften und Sozialkassen. Das Staatsbudget wird daher 2016 einen Überschuss von 0,6 Prozent und 2017 von 0,7 Prozent des BIP aufweisen.

Weitere Informationen:

Gustav Horn, Jan Behringer, Alexander Herzog-Stein, Peter Hohlfeld, Katja Rietzler, Sabine Stephan, Thomas Theobald, Silke Tober: Aufschwung mit Schwächen. Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung 2016/2017 (pdf). IMK Report Nr. 118, September 2016.

Videostatement zur Prognose von Prof. Dr. Gustav A. Horn

Kontakt:

Prof. Dr. Gustav A. Horn
Wissenschaftlicher Direktor IMK

Peter Hohlfeld
IMK, Experte für Konjunkturprognosen

Rainer Jung
Leiter Pressestelle

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