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Forscher: Sprachprobleme bremsen: Betriebliche Qualifizierung von Flüchtlingen: Erhebliches Engagement, aber oft noch im „Testbetrieb“

12.09.2016

Viele Unternehmen engagieren sich bei der Integration von Flüchtlingen – und zwar über ihr Eigeninteresse hinaus. Dazu trägt auch die Mitbestimmung bei. Große Unternehmen können zwar oft an bereits bestehenden Programmen anknüpfen, mit denen sie bereits seit Jahren Jugendlichen mit Qualifikationsdefiziten eine Brücke in Ausbildung oder Beschäftigung bauen. Die neue Zielgruppe der Flüchtlinge stellt sie aber vor besondere Herausforderungen, zeigt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie*. Das gilt insbesondere für die sprachlichen Fähigkeiten, bei denen die befragten betrieblichen Expertinnen und Experten ein grundsätzliches Problem konstatieren: Die staatlichen Integrationskurse – die zudem nur einem Teil der Flüchtlinge zugänglich sind – vermitteln Kenntnisse auf dem Sprachlevel B1. Das reicht aber nicht aus, um einen Aufnahmetest zu bestehen oder eine Ausbildung mit Aussicht auf Erfolg zu absolvieren. „Nicht zuletzt dieses Problem macht deutlich, dass viele Unternehmen bei ihrem Engagement für die Flüchtlingsintegration nach wie vor zwangsläufig in einer Art Testphase stecken, die sie nur mit überschaubaren Teilnehmerzahlen bewältigen können“, sagt Dr. Michaela Kuhnhenne, Bildungsexpertin der Stiftung.

Die Bürgerkriege im Nahen und Mittleren Osten haben Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Nach Deutschland kamen im vergangenen Jahr nach Angaben des Statistischen Bundesamts abzüglich der wieder Ausgereisten 298.000 Syrer, 80.000 Afghanen und 60.000 Iraker, die es nun zu integrieren gilt. Arbeitgeberverbände und Unternehmen haben zugesagt, sich an dieser Aufgabe zu beteiligen. Wie das in der Praxis aussieht, haben Andrea Müller und Dr. Werner Schmidt vom Forschungsinstitut für Arbeit, Technik und Kultur in Tübingen untersucht. Die Soziologen haben für ihre Studie Personalmanager, Arbeitsdirektoren, Ausbilder und Betriebsräte von zwölf großen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen interviewt sowie Dokumente analysiert.

Die untersuchten Konzerne stünden der Integration von Flüchtlingen aufgeschlossen gegenüber und hätten eine Reihe von Aktivitäten entwickelt, schreiben Müller und Schmidt. Dabei seien zwei Kategorien von Maßnahmen zu unterscheiden. Zum einen förderten die Unternehmen die gesellschaftliche Integration. Beispielsweise unterstützten sie die Arbeit von Verbänden, Kommunen und Initiativen durch Spendengelder, stellten Werkswohnungen für Flüchtlinge zur Verfügung oder Beschäftigte für ehrenamtliches Engagement frei. Zum anderen gebe es Angebote, die auf die berufliche Integration abzielen. Dazu gehören unter anderem Praktika, Sprachkurse und zusätzliche Ausbildungsplätze für Flüchtlinge.

Dass Flüchtlinge direkt einen regulären Job bekommen, sei eher die Ausnahme, so die Autoren. Der Grund: Die Zahl der Einfacharbeitsplätze mit geringen fachlichen und sprachlichen Anforderungen sei überschaubar – und dürfte langfristig wegen der Digitalisierung eher abnehmen. Für hochqualifizierte Tätigkeiten mit Englisch als Arbeitssprache seien dagegen nur wenige Flüchtlinge ausgebildet. Um ihnen berufliche Perspektiven zu eröffnen, sei es daher unumgänglich, für eine angemessene Qualifizierung zu sorgen.

Der Studie zufolge bieten sich vor allem zwei „Einstiegspfade“ in die Arbeitswelt an: Zum einen der Weg zur klassischen Berufsausbildung über ein Berufsvorbereitungsjahr inklusive Sprachkursen. Zum anderen sollte älteren Flüchtlingen, die eine Familie versorgen müssen, die Möglichkeit geboten werden, regulär Geld zu verdienen und dabei an arbeitsbegleitender Sprachförderung, Weiterbildung und eine Berufsausbildung in Teilzeit absolvieren zu können.

Die Anstrengungen der untersuchten Konzerne halten Müller und Schmidt für durchaus bemerkenswert – zumal rein ökonomische Interessen kaum ausschlaggebend sein dürften. Schließlich hätten Großunternehmen in der Regel keine Schwierigkeiten, Bewerber für ihre vergleichsweise attraktiven Ausbildungsplätze zu finden. Dass sie sich trotzdem für Integration einsetzen und damit soziale Verantwortung übernehmen, dürfte nach Einschätzung der Wissenschaftler nicht nur Imagegründe haben, sondern auch mit „institutionalisierten Formen der Partizipation“ zusammenhängen: In die Entscheidungsfindung von mitbestimmten Unternehmen fließe die Perspektive von Beschäftigten und Gesellschaft ein. In den untersuchten Unternehmen erfolgen die Maßnahmen für Flüchtlinge in enger Abstimmung mit den Betriebsräten, zum Teil ging die erste Initiative für ein Engagement von Betriebsrat oder Jugendauszubildendenvertretung aus.

Unbegrenzt ist das Engagement der Unternehmen nicht: Beliebig viele Plätze für Integrationsmaßnahmen würden nicht angeboten, so die Sozialforscher. Das liege zum Teil auch an einem Mangel an geeigneten Interessenten: Der Prozess der Kompetenzerfassung komme nur schleppend voran, oft seien die Sprachkenntnisse auch nach dem Besuch von Integrationskursen unzureichend. Zudem seien die Konzerne bemüht, nicht ausschließlich Flüchtlinge, sondern auch andere benachteiligte Jugendliche zu fördern, um Akzeptanzprobleme zu vermeiden. Im Idealfall können nach Einschätzung einiger Experten beide Gruppen davon profitieren.

Die Studie zeigt auch, dass Betriebe, die sich für die Flüchtlingsintegration engagieren, in der Regel schon seit Längerem Einstiegsqualifizierungen und Brückenpraktika für Jugendliche anbieten, die vor dem erfolgreichen Bestehen einer Ausbildung bzw. eines Aufnahmetests für die Ausbildung noch Defizite abzubauen haben. Diese Maßnahmen, die vor allem in Großbetrieben umgesetzt werden können, werden um zusätzliche Plätze für Flüchtlinge und um zusätzliche Angebote zur Sprachförderung und zur Vermittlung interkultureller Kompetenzen erweitert. Dabei wird an die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit, der IHK, mit Berufsschulen und Sozialverbänden angeknüpft. So können die erweiterten Angebote erprobt und im Bedarfsfall modifiziert werden, ohne den Betrieb zu überfordern. Kleinere Betriebe wiederum, die eher von Fachkräftemangel betroffen sind, dürften kaum in der Lage sein, umfangreiche Berufsvorbereitungsmaßnahmen einschließlich Sprachkursen zu stemmen. Daher empfehlen die Experten neben finanzieller Förderung überbetriebliche Qualifizierungs- und Ausbildungsverbünde.

Weitere Informationen:

Andrea Müller, Werner Schmidt: Flüchtlinge in der Arbeitswelt. Qualifizierungsinitiativen in Großunternehmen. Working Paper Forschungsförderung Nr. 19, September 2016.

Kontakt:

Dr. Michaela Kuhnhenne
Bildungsexpertin, Abteilung Forschungsförderung

Rainer Jung
Leiter Pressestelle

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