zurück
Pressemitteilungen

Von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie: Wer viel verdient, erhält auch viel aus Erbschaften und Schenkungen – Besteuerung setzt Polarisierung wenig entgegen

27.04.2016

Menschen mit hohem Einkommen erhalten besonders oft und besonders viel Geld aus Schenkungen und Erbschaften, zeigt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). So konzentriert sich Reichtum über die Generationen in zunehmendem Maße. Vermögensbezogene Steuern, die dem entgegenwirken könnten, werden kaum noch erhoben.

„Erbschaften und Schenkungen können als Kanal angesehen werden, durch den bestehende Chancenungleichheit und die resultierende ökonomische Ungleichheit verstärkt werden“, konstatieren die DIW-Forscher Christian Westermeier und Dr. Markus M. Grabka sowie Anita Tiefensee von der Hertie School of Governance im Fazit ihrer Studie. Der Staat trage das Seine dazu bei: Nach zwei Jahrzehnten, die in Deutschland vor allem durch Entlastungen für Wohlhabende geprägt waren, sei „die Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen derzeit nicht geeignet, der Kluft zwischen Arm und Reich entgegenzuwirken“, schreiben die Wissenschaftler.

Wer hat, dem wird gegeben – dieses Muster beobachten die Forscher nicht nur in Deutschland, sondern mit kleinen Unterschieden in allen acht Euroländern, für die aussagekräftige Daten aus dem repräsentativen Household Finance and Consumption Survey der europäischen Notenbanken vorliegen. Bis zum Untersuchungsjahr 2010 hatten je nach Land zwischen 27 und 40 Prozent der Haushalte mindestens einmal geerbt oder eine Schenkung erhalten. In die Analyse flossen nur Geldtransfers zwischen Haushalten ein. Übertragungen unter Eheleuten oder an Kinder, die noch bei ihren Eltern wohnen, blieben also außen vor. Daher dürfte das Transfervolumen unterschätzt sein, vor allem in Südeuropa, wo mehr Menschen unter einem Dach leben. Trotzdem ist der Wert aller erfassten Erbschaften und Schenkungen sehr groß. In Westdeutschland – die neuen Länder konnten in die Studie nicht einbezogen werden, weil Erbschaften aus DDR-Zeiten schwer zu bewerten sind – entspricht er fast einem Drittel der aktuellen Haushaltsnettovermögen. Dabei zeigt sich eine hohe soziale Ungleichheit, häufig sogar in zwei wesentlichen Dimensionen:

Wer viel verdient, erbt häufiger. Das konstatieren die Forscher für Westdeutschland, Frankreich, Österreich und Belgien. So haben in Deutschland und Österreich Haushalte, die beim Einkommen zu den obersten 20 Prozent zählen, doppelt so häufig geerbt oder Schenkungen empfangen wie Haushalte aus dem untersten Fünftel. Die Forscher erklären das mit einer besonders niedrigen sozialen Mobilität in diesen Ländern: Bei Bildung und Einkommen ähnelten sich Eltern- und Kindergeneration stärker als in den untersuchten südeuropäischen Ländern Spanien, Portugal, Griechenland und Zypern. Nicht nur Vermögen, auch der soziale Status werde also in hohem Maße „vererbt“.

Hohes Einkommen, höhere Transfers. Dieser Zusammenhang zeigt sich in allen untersuchten Ländern. Westdeutsche Haushalte, die bereits geerbt haben oder beschenkt wurden, erhielten im Durchschnitt 193.000 Euro, zeigen die Berechnungen der Forscher. Mit diesem Wert liegen die Deutschen auf Platz drei – nach Zyprioten und Österreichern. In allen untersuchten Ländern ist der Durchschnitt weitaus höher als der Median. Dies weist den Forschern zufolge „auf die hohe Ungleichheit der empfangenen Transfers“ hin.

In Westdeutschland heißt das konkret, dass erbende oder beschenkte Haushalte, die zum bestverdienenden Fünftel zählen, im Schnitt 304.000 Euro bekommen haben. Im mittleren dritten Fünftel waren es durchschnittlich 158.000 Euro. Die – relativ wenigen – Empfänger von Erbschaften oder Schenkungen im untersten Fünftel bekamen im Schnitt lediglich 97.000 Euro. Eine deutsche Besonderheit: Hier erhalten bereits Menschen in der Altersklasse von 35 bis 44 hohe Transfers. Das ist früher als in den meisten anderen Ländern und deutet nach Ansicht der Forscher auf eine besondere Bedeutung von Schenkungen hin.

Dass Gutverdiener-Haushalte besonders häufig große Erbschaften und Schenkungen erhalten, bedeutet laut der Studie aber nicht, dass solche Transfers für ihre Vermögensbildung besonders wichtig sind. Im Gegenteil: Im Verhältnis zum Gesamtbesitz ist in den meisten untersuchten Ländern der Anteil, der aus Erbschaften und Schenkungen stammt, über die Einkommensklassen hinweg sehr ähnlich. In Westdeutschland ist er beim wohlhabendsten Fünftel etwa 15 Prozent niedriger als beim Rest. „Wer aus vermögendem Hause kommt, erzielt überdurchschnittlich oft selbst ein hohes Einkommen und kann sich darüber hinaus öfter über hohe Erbschaften und Schenkungen freuen“, erklären Westermeier, Grabka und Tiefensee.

In fast allen untersuchten Ländern setzt die Steuerpolitik der Vermögenspolarisierung beim Übergang auf die nächste Generation wenig bis fast nichts entgegen. Das zeigen die Forscher in einer kurzen Analyse der rechtlichen Entwicklung in den vergangenen Jahren. So schafften Österreich, Zypern und Portugal die Erbschaftsteuer weitgehend ab. In Deutschland könnten „durch hohe Freibeträge, die sich nach zehn Jahren erneuern“ auch Privatvermögen „fast steuerfrei an die nächste Generation übertragen werden“, so die Forscher. Das komme vor allem Wohlhabenden zugute, ebenso wie die Aussetzung der Vermögensteuer und Absenkungen bei der Besteuerung von Unternehmen, Kapitalerträgen und hohen Einkommen. Dabei, betonen die Wissenschaftler, ließen sich „mit zusätzlichen Mitteln aus vermögensbezogenen Steuern auch Instrumente finanzieren, die die Chancengleichheit erhöhen“ – beispielsweise ein besseres, durchlässigeres Bildungssystem.

Weitere Informationen:

Christian Westermeier, Anita Tiefensee, Markus Grabka: Erbschaften in Europa: Wer viel verdient, bekommt am meisten (pdf). DIW-Wochenbericht 17/2016.

Kontakt:

Dr. Dorothea Voss
Leitung Abteilung Forschungsförderung

Rainer Jung
Leiter Pressestelle

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen