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Magazin Mitbestimmung

Vorbild: Das Copyright hat die Montanmitbestimmung

Ausgabe 09/2015

Die Kultur der Montanmitbestimmung hat Instrumente hervorgebracht, die die Beschäftigten vor dem schützt, was alle Arbeitnehmer fürchten: Arbeitslosigkeit und der freie Fall ins soziale Aus. Von Dirk Schäfer

Am 1. Januar 2015 war es so weit: Die rund 2700 Beschäftigten des Andernacher Weißblechwerks von ThyssenKrupp Rasselstein reduzierten freiwillig ihre Arbeitszeit um 1,5 oder eine halbe Stunde – und retten damit die Arbeitsplätze ihrer Kollegen im Schwesterwerk Neuwied. „Auf Basis langjähriger Erfahrungen mit Teilzeitmodellen war die Belegschaft bereit, eine bis 2018 reichende Vereinbarung zur Reduzierung der Arbeitszeit auf teilweise nur noch 30,5 Wochenstunden mitzutragen. Die solidarische Aktion der Gesamtbelegschaft schließt die Bereitschaft zu einem gedeckelten Entgeltverzicht ein“, erläutert Carsten Laakmann, Vorstand Personal und Soziales bei TK Rasselstein. Rund 400 Jobs standen in Neuwied auf dem Spiel. Das dort produzierte Feinblech wird von der Autoindustrie immer weniger nachgefragt, bereits 2013 beschloss man die Schließung. Mit einem Sozialplan, dessen Kern die tariflich verkürzte Arbeitszeit ist, wird es möglich, dass die meisten Beschäftigten nach einer Qualifizierung im Stammwerk in Andernach Arbeit finden. Das Paket enthält darüber hinaus freiwillige Teilzeitarbeits- und Aufhebungsverträge, Altersteilzeitangebote, Hilfen für Befristete bei der Jobvermittlung sowie Insourcing von bisher extern erbrachten Dienstleistungen, darunter auch von Leiharbeit. Ziel: Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen.

Trotz der schwierigen Situation wurde die bisherige Ausbildungsquote beibehalten. „Andere Unternehmen hätten um das Werk Neuwied wohl einen Zaun gezogen und es abgewickelt“, verdeutlicht Arbeitsdirektor Laakmann den Unterschied zu einer Personalarbeit, die nicht von der Mitbestimmung geprägt ist. „Mit der frühzeitigen Einbeziehung der Betriebsräte und der IG Metall konnten wir im Konsens ein Maßnahmenpaket schnüren“, sagt Laakmann.

NIEMAND SOLL INS BERGFREIE FALLEN

So wie bei Rasselstein haben Personaler in montanmitbestimmten Unternehmen im Verbund mit Betriebsräten immer wieder Instrumente ersonnen, die ihre Unternehmen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten flexibler machten oder mit denen sich Personalanpassungen sozial abfedern ließen. „Das Zusammenwirken von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern auf gleicher Augenhöhe stabilisiert ein Unternehmen“, bilanziert Peter Schrimpf, seit elf Jahren Vorstand Belegschaft bei der RAG. „Die Montanmitbestimmung mit ihren Gremien hat viel Positives für den sozialen Frieden in den Unternehmen und in der Region bewirkt. Trotz schmerzhafter Anpassungen fiel kein Beschäftigter ins Bergfreie“, so Schrimpf.

In der Stahlbranche agieren die Referenten der Arbeitsdirektoren, die sich in der „Arbeitsgemeinschaft Engere Mitarbeiter Stahl“ vernetzten, als Bindeglied zwischen Unternehmensführung und Betriebsräten und produzieren seit mehr als 50 Jahren Ideen für die soziale Personalarbeit. So etwa nach der Wende. „Insbesondere die Anpassungsprozesse in der ostdeutschen Stahlindustrie wurden über Kurzarbeit abgefedert. Für viele war dies jedoch wenig mehr als der Übergang in den Vorruhestand“, sagt Klaus-Peter Otto, einst Personaler bei der Dillinger Hütte und lange Jahre Sprecher der AG.

Dagegen kam in der massiven Wirtschaftskrise 2008 der Kurzarbeit eine stärker vorwärtsweisende Rolle zu. Als die IG Metall auf eine Ausweitung der Kurzarbeit drängte, um eine Entlassungswelle zu vermeiden, war das Ziel, die Unternehmen ad hoc finanziell zu stabilisieren und Facharbeiter zu halten. Der Erfolg war groß. Kurzarbeit (und Arbeitszeitkonten) gelten heute als ein Allround-Instrument des arbeitsmarktpolitischen Werkzeugkastens.

Das andere arbeitszeitpolitische Instrument, die tariflich vereinbarte Verkürzung der Arbeitszeit, hat ebenfalls einen Vorläufer. Erstmals im großen Stil eingesetzt wurde sie in der Automobilkrise Anfang der 1990er bei Volkswagen, als ganze 30 000 Arbeitsplätze zur Disposition standen. Um Massenentlassungen zu vermeiden, setzte der aus der Saarländer Montanindustrie stammende VW-Personalvorstand Peter Hartz auf dort entwickelte Instrumente der Krisenbewältigung. Am 25. November 1993 einigten sich Unternehmen und IG Metall auf eine radikale Absenkung der Arbeitszeit – von damals 36 Stunden um satte 20 Prozent auf 28,8 Stunden. Im Gegenzug wurde eine Jobgarantie für alle VW-Beschäftigten vereinbart. Die Medien sprachen vom „Wunder von Wolfsburg“. Die Möglichkeit zur zeitlich befristeten Absenkung der Arbeitszeit wurde seitdem in zahlreiche Tarifverträge übernommen, zum Teil mit dem ausdrücklichen Ziel der Beschäftigungssicherung.

ERSTER SOZIALPLAN KOMMT AUS DEN ZECHEN

Neuland betreten 1956 auch die Betriebsräte der Steinkohlenzeche Barsinghausen bei Hannover, die von Schließung bedroht war, was für 2100 Mitarbeiter das Aus bedeutet hätte. „Nach dem damaligen Betriebsverfassungsgesetz waren die Unternehmensleitungen lediglich dazu verpflichtet, mit dem Betriebsrat Verhandlungen über einen Nachteilsausgleich einzugehen oder auch gar nichts zu zahlen. In Barsinghausen handelten die Partner einen Maßnahmenkatalog aus, der als erster Sozialplan der Geschichte gilt“, erläutert heute der Historiker Werner Milert. In der „Vereinbarung über Sozialhilfen“ wurden Abfindungen festgezurrt, Übergangsregelungen für in Rente gehende Bergleute sowie ein Verlegungsgeld für jene, die zu anderen Zechen wechselten. „Aufgrund der starken Mitbestimmung in den Montanunternehmen nahmen diese Betriebe eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung von Sozialplänen ein“, sagt Werner Milert. In der Rezession wenig später übernahmen auch andere Branchen das Instrument. 1972 dann wurde der Sozialplan ins Betriebsverfassungsgesetz aufgenommen.

Die andere Seite des sozialverträglichen Stellenabbaus war, dass die Lasten zunehmend auf die Sozialkassen abgewälzt wurden. Personaler bei der Dillinger Hütte fanden 1987 einen neuen Weg: Über eine von den Stahlunternehmen mitfinanzierte Stiftung wurden ehemalige Stahlwerker umgeschult und in neue Jobs gebracht – die erste Beschäftigungsgesellschaft war geboren. Nach diesem Vorbild fingen später auch die Stahlfirmen im Ruhrgebiet den massiven Personalabbau auf.

Im Steinkohlenbergbau hat die RAG über 20 Jahre lang Zehntausende Kumpel zu Tochterunternehmen transferiert, umgeschult, in den Vorruhestand verabschiedet, fit gemacht für Jobs im Handwerk. Mit dem Ende der Steinkohle fällt 2018 eine Säule der Montanmitbestimmung. Die Errungenschaften jedoch werden weiter Bestand haben und auch als Blaupause für andere Unternehmen dienen, ist RAG-Arbeitsdirektor Peter Schrimpf überzeugt. „Große Unternehmen mit anderen Mitbestimmungsstrukturen, die in Schieflage geraten sind, haben sich bei uns schon informiert.“

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