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Magazin Mitbestimmung

Mein Arbeitsplatz: Der Amann-Stil

Ausgabe 09/2015

Alexander Amann, 36, ist exklusiver Herrenschneider in Berlin-Kreuzberg. Seit fünf Jahren schneidert er in seiner Werkstatt Maßanzüge, Mäntel, Westen und bei Bedarf auch Smokings oder Fräcke.

Berlin, Reichenberger Straße 117 „Ich habe mal Philosophie studiert. Heute bin ich in sechster Generation Schneider. Meine Mutter ist Damenschneiderin, mein Großvater hatte ein Bekleidungsgeschäft. Von ihm stammt noch meine alte Nähmaschine, die nur geradeaus näht. Mit der arbeite ich manchmal noch. Nun bin ich Herrenschneider, und das ist etwas anderes als Philosophie. Das ist Handwerk. Heute kann ich jeden Abend auf mein Tagwerk blicken. Und das ist befriedigender. Zu mir kommen keine Jüngelchen, zu mir kommen Kerle. Mal abgesehen von einem nackten Mann ist ein Mann im Anzug das Männlichste, was es an Mann so gibt. Ich stelle mit so einem Maßanzug die besten und wertvollsten Eigenschaften eines Mannes dar. Meine Anzüge betonen seinen Charakter. Wenn Männer in einem echten Maßanzug einen Raum betreten, dann fühlen sie sich sicher, dann sind sie sie selbst.

Zu mir kommen vielfach Künstler, Musiker, die einen Anzug für die Bühne brauchen, wenige sind Businessmänner oder Banker. Meine Kunden kommen aus ganz Deutschland, aus Europa und sogar aus New York. Bevor ich bei einem Kunden Maß nehme, muss ich ihn erst mal kennenlernen und er mich. Da braucht es etwas Vertrauen, um sich zu entspannen. Wenn jemand stocksteif dasteht, wird auch der Anzug steif. Das ist kein Job, das ist ein Beruf mit 60 Stunden pro Woche – und mehr.

Inzwischen nehme ich mir zwei freie Tage im Monat. Ich arbeite im Schnitt etwa 100 Stunden an einem Zweiteiler. Der kostet dann rund 2800 Euro. Wer einen Anzug bei mir bestellt, kommt dreimal zur Anprobe. Da kann ich jedes Mal noch Kleinigkeiten ändern und neu gestalten. Schneiderei ist in erster Linie Bügeln, Zuschneiden und Nachmessen. Ich arbeite nur mit Wollstoffen, die kann ich in Form bügeln. Bei so einem Anzug muss alles sitzen, da arbeite ich auch das Hohlkreuz aus, den Po oder den Brustkorb. Ich nähe höchstens zehn Prozent aller Nähte mit einer meiner alten Maschinen. 90 Prozent meiner Anzüge sind handvernäht. Fünf Jahre habe ich gebraucht, um meinen Stil herauszuarbeiten. Jetzt gibt es den Amann-Stil, den meine Anzüge tragen.“

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