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HBS Böckler Impuls

Europa: Beschäftigte nur knapp im Plus

Ausgabe 13/2015

Bei den Löhnen geht es in Europa wieder zaghaft bergauf. Um die Krise zu überwinden, wären deutliche Steigerungen nötig.

Europas Arbeitnehmer haben eine lange Durststrecke hinter sich: Preisbereinigt sind die Löhne seit 2010 in elf EU-Staaten gesunken, in neun weiteren lagen die Zuwachsraten unter einem Prozent pro Jahr. Laut dem Europäischen Tarifbericht des WSI deutet sich mittlerweile zwar eine Trendwende an. Die leichten Zuwächse bei den Reallöhnen seien allerdings nicht einer expansiven Lohnpolitik, sondern in erster Linie der ex-trem niedrigen Inflation zu verdanken, so WSI-Experte Thorsten Schulten, der für seinen Bericht Daten der Europäischen Kommission ausgewertet hat.

Schultens Analyse zufolge ist die Position der Gewerkschaften in vielen Ländern nach wie vor durch hohe Arbeitslosigkeit geschwächt. EU-weit waren 2014 mehr als 24,8 Millionen Menschen ohne Job, was einer Arbeitslosenquote von 10,2 Prozent entspricht. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern sind dabei erheblich: In Griechenland war mehr als ein Viertel der Erwerbsbevölkerung arbeitslos, in Deutschland nur 5 Prozent. Für 2015 rechnet die Kommission mit 23,5 Millionen Erwerbslosen und einer Quote von 9,6 Prozent.

Die Tarifverdienste in der Eurozone sind nach Berechnungen der Europäischen Zentralbank 2014 nominal im Schnitt um 1,7 Prozent gestiegen, die Effektivlöhne – also die tatsächlich gezahlten Gehälter – nur um 1,3 Prozent. Der WSI-Forscher führt dies zum einen darauf zurück, dass viele Unternehmen angesichts der hohen Arbeitslosigkeit kaum noch übertarifliche Leistungen zahlen. Zum anderen habe die Politik der EU in vielen Ländern Änderungen erzwungen, die auf weniger Tarifbindung hinauslaufen. Insbesondere den Krisenstaaten werde „Flexibilität nach unten“ bei der Lohnfindung verordnet.

Realer Anstieg dank niedriger Inflation

Schwerpunktmäßig hat Schulten die Tariflohnentwicklung in Deutschland, Österreich und Spanien analysiert, wobei er auf umfangreiche nationale Datenbanken zurückgreifen konnte. Demnach konnten die deutschen Arbeitnehmer 2014 bei den Tariflöhnen ein Plus von nominal 3,1 und preisbereinigt 2,3 Prozent verbuchen. In Österreich waren es nominal 2,3 und real 0,8 Prozent, in Spanien lag der reale Zuwachs deflationsbedingt mit 0,8 Prozent über der nominalen Steigerung von 0,6 Prozent. Seit 2009 haben sich die Tariflöhne deutlich auseinanderentwickelt: Deutschland verzeichnete real ein vergleichsweise hohes Wachstum. Österreich hat dagegen erst 2014 wieder das Niveau von 2009 erreicht. In Spanien wurde der reale Rückgang bei den Tariflöhnen erst 2014 durch die negative Preisentwicklung gestoppt.

Das Wachstum der nominalen Effektivlöhne in der EU weist dem WSI-Bericht zufolge eine rückläufige Tendenz auf: 2012 betrug die Steigerung 2,0 Prozent, 2013 waren es 1,7 Prozent, 2014 nur noch 1,2 Prozent. Den höchsten Anstieg verzeichnete im vergangenen Jahr Lettland mit 8,7 Prozent, das Schlusslicht war Kroatien mit -5,3 Prozent. Für 2015 erwartet die EU-Kommission im Schnitt ein Plus von 1,6 Prozent, also eine geringfügig dynamischere Entwicklung.

Wegen der sehr niedrigen Inflationsraten sind die effektiven Reallöhne 2014 mit 0,6 Prozent dagegen stärker gestiegen als in den Vorjahren. Die höchsten Wachstumsraten weisen mit bis zu 8 Prozent die baltischen Staaten auf. In Deutschland, das 2009 als einziges EU-Land niedrigere Reallöhne hatte als 2001, betrug der Zuwachs 1,8 Prozent. In Griechenland, Portugal, Zypern, Kroatien, Polen und Slowenien sind die Verdienste real gesunken. Für 2015 prognostiziert die EU eine noch schwächere Preissteigerung und reale Zuwächse von durchschnittlich 1,5 Prozent bei den Arbeitseinkommen.

Dass sich die Inflation so verhalten entwickelt, dürfte laut Schulten zum einen an den niedrigen Energiepreisen liegen. Zum anderen mache sich die strikte Austeritätspolitik bemerkbar, die in vielen Ländern zu einem Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und damit zu stagnierenden oder sinkenden Preisen geführt hat. Damit Europa aus der Krise kommt, empfiehlt der Tarifexperte, die „Fixierung auf Wettbewerbsfähigkeit“ zugunsten eines inklusiven Wirtschaftsmodells aufzugeben, das die Bedeutung der Löhne für die Binnenwirtschaft wieder in den Mittelpunkt rückt.

  • Wegen der extrem niedrigen Inflation erwartet die EU für 2015 im Schnitt reale Lohnsteigerungen von 1,5 Prozent. Zur Grafik

Thorsten Schulten: Europäischer Tarifbericht des WSI – 2014/2015, in: WSI-Mitteilungen 6/2015

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