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Magazin Mitbestimmung

Vorwerk: Ideenreiche Belegschaft

Ausgabe 04/2015

Als es kriselte, sammelte der Betriebsrat des Haushaltsgeräteherstellers Vorwerk Erfahrungen, wie man Beschäftigte beteiligt und hat nun Freude daran, das weiterzuentwickeln. Von Gunnar Hinck

Der Vorwerk-Laden in der Wuppertaler Fußgängerzone ist sparsam bestückt mit Ausstellungsware. Viel Licht, modernes Mobiliar, es dominiert die Unternehmensfarbe Grün. So einen Shop, in dem vor allem die „Kobold“-Staubsauger des Haushaltsgeräteherstellers vorgeführt und verkauft werden, haben sicherlich externe Berater konzipiert, denkt man. Tatsächlich aber war es der Betriebsrat von Vorwerk Deutschland, ohne den es die inzwischen 30 Shops in Deutschland nicht geben würde.

2010 hatte der Vorstand von Vorwerk beschlossen, die damaligen Servicecenter für die Staubsauger bundesweit zu schließen und die Mitarbeiter zu entlassen. Die Läden seien wirtschaftlich nicht tragfähig, hieß es. Der 13köpfige Betriebsrat weigerte sich, den üblichen Weg zu gehen: erst Proteste, dann Verhandlungen, um die Zahl der Kündigungen möglichst gering zu halten, schließlich ein Sozialplan, der den Schließungskurs der Geschäftsführung letztlich gebilligt hätte. Stattdessen startete der Betriebsrat eine Gegenoffensive. Er mobilisierte die 800köpfige Belegschaft per E-Mail, fragte nach alternativen Ideen und lud zu Treffen in einer Gaststätte ein. Zunächst war die Resonanz mit 20 Teilnehmern übersichtlich. Beim nächsten Mal waren es schon 60 – und schließlich 100 Beschäftigte aus der Wuppertaler Unternehmenszentrale. 

„Ein gutes Argument für uns war, dass wir exklusive Informationen anbieten konnten“, sagt Heidrun Schenk, die Betriebsratsvorsitzende. Danach erhielt jeder Teilnehmer ein Protokoll des Abends. Eingeladen waren auch Sachverständige einer Beratungsfirma, die die geschäftliche Situation für den Betriebsrat analysiert hatten. Zwei Mängel der Servicecenter kamen schnell zur Sprache: Sie waren oft in Randlagen gelegen und befanden sich in einem unansehnlichen Zustand. Und sie dienten nur als Reparaturannahmestellen – außer Zubehör durften sie keine Waren verkaufen. „Woran es hakte, war auch uns im Betriebsrat klar“, sagt die 58-jährige Heidrun Schenk. Wichtig sei aber die Einbindung der Beschäftigten gewesen: „Die hatte vorher keiner nach ihrer Meinung gefragt.“ Mit der Belegschaft im Rücken konnte der Betriebsrat seine Verhandlungsposition stärken. Zusätzlicher Druck wurde aufgebaut, indem der Vorstand auf einer Betriebsversammlung mit den teils niederschmetternden Befunden konfrontiert wurde.

Die alten Servicecenter wurden zwar geschlossen, aber der Betriebsrat konnte in den Verhandlungen über einen Sozialplan durchsetzen, dass im Gegenzug eigene Shops in besseren Lagen eröffnet wurden. Die Zahl der Kündigungen konnte durch die neu geschaffenen Stellen stark gesenkt werden. Ein Personalwechsel an der Spitze beförderte den Kurswechsel: Ein neuer Vorstand setzte auch auf Verkaufsstellen in den Innenstädten.

GEWERKSCHAFTLICHES POTENZIAL

Umzug in bessere Lagen und die Möglichkeit, zu verkaufen – das klingt nach einer naheliegenden Lösung. Warum haben erst Betriebsrat und Belegschaft das so Offensichtliche durchsetzen können? Vorwerk hatte über Jahrzehnte ausschließlich auf den Direktvertrieb gesetzt: Freiberufliche Handelsvertreter kamen nach Hause zu den Kunden. Der Direktvertrieb gehörte zum Selbstverständnis des Unternehmens und ist bis heute bei Vorwerk der wichtigste Weg zum Kunden. Mit zusätzlichen Vertriebsformen tat sich das Management des laut Betriebsrat sehr hierarchisch strukturierten Familienunternehmens schwer, auch noch als die Umsätze beim Kobold stagnierten. Gleichzeitig ist der bei der IG Metall organisierte Betriebsrat bei Vorwerk traditionell stark; das Gremium um Heidrun Schenk und ihre Stellvertreterin Anna Yiakoumi hatte somit das Potenzial, um offensiv vorzugehen.

Der ungewöhnliche Verhandlungserfolg hat das Vertrauen der Belegschaft in den Betriebsrat enorm gesteigert. „Die Angestellten haben gesehen, dass wir sie nicht hängen gelassen und unsere Ziele durchgezogen haben“, sagt Anna Yiakoumi. Die Beteiligung der Belegschaft förderte aber auch Ergebnisse zutage, mit denen der Betriebsrat nicht gerechnet hatte. „Arbeitszeit wollte fast niemand reduzieren“, sagt Heidrun Schenk. Mit diesem Plan wollte der Betriebsrat Arbeitsplätze retten – die Mitarbeiter machten aber klar, dass Einkommenseinbußen für sie nicht infrage kämen. Der Plan wurde fallen gelassen.

ONLINE-CHATROOM KOMMT ZUM EINSATZ

Zwei Jahre später, 2012, kam eine neue Herausforderung auf den Betriebsrat zu. Der neue Vorstand prüfte die Möglichkeit, die Läden in eine eigenständige Retail-Gesellschaft auszugliedern und den Reparaturservice komplett ins Ausland zu verlagern, was wieder Stellenstreichungen bedeutet hätte. Erneut mobilisierte der Betriebsrat die Belegschaft, diesmal mithilfe eines Online-Chatrooms, für den der Betriebsrat die Verantwortung trug. „Da ging es ordentlich zur Sache, die Pläne des Vorstands wurden von der Belegschaft stark kritisiert.“ In diesem Chatroom mussten die Nutzer ihren richtigen Namen angeben, gleichzeitig hatte aber die Führungsebene zumindest offiziell keinen Zugang, sodass Kritik relativ offen geäußert werden konnte.

Der Betriebsrat schuf in beiden Phasen ein Forum für die Mitarbeiter, ging aber bewusst nicht den Schritt in die Öffentlichkeit. Genau diese Konstellation ist für Heidrun Schenk der Grund, warum der Druck der Arbeitnehmervertretung wirkte: „Der Vorstand hätte es ungern gesehen, wenn wir an die Öffentlichkeit gegangen wären.“ Die Betriebskultur bei Vorwerk sei auf interne Konfliktlösung ausgerichtet. Jörg Körfer war damals Vertriebsvorstand für Kobold Deutschland und bestätigt diese Konstellation: „Ich schätzte sehr, dass der Betriebsrat nicht wirklich an die Öffentlichkeit ging. Das ganz große Programm mit Informationsweitergaben an die Medien oder Demonstrationen fand nicht statt.“ Für die Aktionen des Betriebsrates hat er Verständnis. „Er zeigte uns die Zähne dort, wo er sie zeigen musste. Am Ende war er konstruktiv am Weiterkommen des Unternehmens interessiert“, sagt Körfer, der heute weltweit für die Kobold-Sparte verantwortlich ist.

Der Reparaturservice wird heute zentral in der Nähe von Wuppertal erledigt und nicht, wie ursprünglich angedacht, im Ausland. Auch wurde die Ausgliederung der Shops nicht umgesetzt. Körfer sagt, dass der Vorstand letztlich keine Vorteile darin sah. Der Widerstand von Arbeitnehmerseite habe aber auch eine Rolle gespielt: „Der Betriebsrat hatte ein riesiges Problem damit. Wir sahen dessen Argumente.“ 

Durch die Erfolge hat sich die Beziehung zwischen Belegschaft und Betriebsrat verändert. „Der Draht ist noch enger als früher“, sagt Heidrun Schenk. Auch die mittlere Führungsebene suche jetzt regelmäßig den Kontakt. Spektakuläre Aktionen hat es seit den Krisenphasen nicht mehr gegeben, aber es sind die vermeintlichen Kleinigkeiten, die Teil der Betriebsratsarbeit geworden sind: So kommen auf Betriebsversammlungen bei kontroversen Fragen regelmäßig Abstimmungskarten zum Einsatz, um zu Entscheidungen zu kommen. 

PS: Für diese Leistung in Sachen Beteiligung wurde der Vorwerk-Betriebsrat 2012 mit dem Betriebsräte-Preis in Gold ausgezeichnet 

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