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Magazin Mitbestimmung

Studie: Stabiler Ankeraktionär

Ausgabe 04/2015

Stiftungsbeteiligte Unternehmen wirtschaften nachhaltiger und investieren mehr in Beschäftigung als andere Firmen, doch die dort praktizierte Mitbestimmung ist nicht ausgeprägter – so das Ergebnis einer Böckler-Studie. Von Michaela Namuth

Bislang waren sie eine Art UFO der Wissenschaft: Über Unternehmen, die ganz oder teilweise von Stiftungen kontrolliert werden, gab es bislang kaum Forschungsarbeiten. Dabei existieren sie in Deutschland in einer überraschenden Vielzahl und auch in einer großen Vielfalt. Zu ihnen gehören Großkonzerne wie die Robert Bosch GmbH und die ThyssenKrupp AG, aber auch viele kleinere Firmen. Es sind insgesamt 650 Unternehmen, die sich alle mit einer Stiftungssatzung und deren besonderen Zielen konfrontieren, aber bezüglich ihres Wirtschaftsmodells und der Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten oft wenig Gemeinsamkeiten haben. Marc Eulerich, Professor für Corporate Governance an der Mercator School of Management der Universität Duisburg-Essen, und sein Forschungsteam haben jetzt die Besonderheiten dieses unbekannten Universums herausgearbeitet. „Das wichtigste Ergebnis ist, dass diese Unternehmen durch den Investor Stiftung sozusagen für die Ewigkeit angelegt sind. Deshalb agieren sie langfristiger und investieren mehr in Personal und Innovationen als Shareholder-Firmen, bei denen die Dividende alle drei Monate abgerechnet wird“, so Eulerich.

Sein Forschungsteam hat 480 Fragebögen an Entscheidungsträger in Stiftungen und stiftungsverbundenen Unternehmen verschickt und 139 zurückbekommen. „Ein guter Rücklauf“, kommentiert Eulerich. Neben der quantitativen schriftlichen Befragung hat sein Team aber noch zwei weitere methodische Ansätze angewendet. Zum einen vergleicht eine Analyse ökonomischer Daten die Situation von 27 stiftungsbeteiligten und 352 nicht stiftungsverbundenen Unternehmen, die zwischen 2006 und 2011 im Aktienindex CDAX notiert waren.

Zum anderen werden zehn Stiftungen und ihre Unternehmen in Fallstudien näher beleuchtet: Robert Bosch, Carl Zeiss, Mahle GmbH, Körber AG, Software AG, ThyssenKrupp AG, Bertelsmann, Zeppelin-ZF Friedrichshafen, RAG und Fresenius SE. Eine der zentralen Fragen der Studie und somit auch der Interviews bezieht sich auf die Mitbestimmungspraxis in den Unternehmen. Hier ergab sich, wie auch bei den quantitativen Vergleichen, kein einheitliches Bild. Bei dem Autozulieferer Mahle, dessen Stiftungsgründer Anhänger der anthroposophischen Lehre von Rudolf Steiner waren, sind Mitbestimmungsrechte in der Satzung und deshalb auch stark im Unternehmen verankert. In anderen Fällen, wie bei der Körber AG, „konnten keine Auswirkungen der Stiftungsverbundenheit auf die Mitbestimmung identifiziert werden“, so die Studie. Insgesamt können in den stiftungsbeteiligten Unternehmen generell keine größeren Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer, die über die gesetzlichen Regelungen hinausgehen, beobachtet werden.

Eulerich sieht gleichzeitig aber ein signifikantes Ergebnis, was die wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung der stiftungsverbundenen Unternehmen betrifft. „Es geht letztendlich um die Verteilungsfrage, und diesbezüglich schneiden diese Unternehmen eindeutig besser ab. Die Stiftung als Aktionär will Geld erwirtschaften, sie gibt aber auch einen Teil an die Gesellschaft und somit auch an die Arbeitnehmer zurück“, so der Wirtschaftsprofessor. Er nennt die Finanzierung von Kindergärten, Bildungseinrichtungen und Forschungsinstituten oder andere gemeinnützige Ziele, die in der Stiftungssatzung festgelegt sind. In Dänemark seien aus eben diesem Grund 80 Prozent der Großunternehmen in Stiftungshand. Der Aspekt des gesellschaftlichen Nutzens von Wirtschaftskonzernen stehe dabei im Vordergrund.

KRISENFESTER ALS ANDERE

Im Hinblick auf die Situation der Beschäftigten kommt die Studie hingegen zu zwei wichtigen Ergebnissen. Sie betreffen zum einen die Arbeitsplatzsicherheit und zum anderen die besondere Zusammensetzung des Aufsichtsrats. Stiftungsunternehmen geben im Verhältnis zum Umsatz durchschnittlich mehr für Personal aus als andere Firmen. Die Beschäftigungsdauer liegt mehrheitlich zwischen zehn und 25 Jahren. 93 Prozent der Befragten gaben an, auch während der Finanz- und Wirtschaftskrise ihre Beschäftigtenzahl nicht gesenkt zu haben. Die Studie wertet dies als eindeutigen Indikator für die Krisensicherheit stiftungsverbundener Unternehmen.

Das zweite wichtige Ergebnis betrifft die Rolle der Aktionäre und des Aufsichtsrats. Es geht um die Frage, ob stiftungsbeteiligte Unternehmen und ihre Beschäftigten genauso den Angriffen aggressiver Investoren und dem Globalisierungsdruck ausgesetzt sind wie andere Firmen. „Dreh- und Angelpunkt des Forschungsprojekts ist die Funktion der Stiftung als Ankeraktionär“, erklärt Sebastian Campagna, Wirtschaftsexperte in der Abteilung Mitbestimmung der Hans-Böckler-Stiftung. Er hat die Forschungen drei Jahre lang begleitet. Nach den Ergebnissen der Studie macht es einen deutlichen Unterschied, ob im Aufsichtsrat ein Stiftungsvertreter oder ein Finanzmanager sitzt. Verfügt die Stiftung über eine Mehrheitsbeteiligung oder eine Sperrminorität, bedeutet dies in den meisten Fällen einen wirksamen Schutz gegen feindliche Übernahmen oder den ungewollten Einstieg von Finanzinvestoren.

In welchem Maße sich die Stiftung für den dauerhaften Erhalt des Unternehmens und der Arbeitsplätze einsetzt, hängt stark von den Zielen der Satzung und somit von ihrer Entstehungsgeschichte ab. „In vielen Fällen soll die Gründung einer Stiftung den Erhalt einer Firma sichern, wenn durch die Erbfolge der Besitzer eine Zersplitterung droht. In diesem Fall ist die Stiftung sozusagen die Hüterin des Familienunternehmens“, sagt Campagna. Aus diesem Grund agieren Stiftungen auch oft wie Familienunternehmen. Sie setzen auf langfristige Investitionen und Unabhängigkeit vom Kapitalmarkt. „Diese Indizien lassen den Schluss zu, dass die Arbeitsplatzsicherheit höher ist, und dies bietet eine gute Basis für Beteiligung und Mitbestimmung“, erklärt Campagna das Ergebnis der Studie. Als Wirtschaftsexperte hat Sebastian Campagna auch einen anderen Aspekt im Blick. Dieser bezieht sich auf die gegenwärtige Debatte um alternative Unternehmensformen. Vor allem in Spanien und Italien, aber in Einzelfällen auch in Deutschland entstehen neue Genossenschaften durch Arbeitnehmer, die gemeinsam ihre von Schließung oder Verkauf bedrohte Firma übernehmen. Auch die Form der Stiftung ist seiner Meinung nach unter diesem Aspekt der Unternehmensnachfolge eine interessante Alternative. In Zukunft soll zu dem Thema „Stiftungsbeteiligte Unternehmen“ auf der Basis des Eulerich-Projekts weitergeforscht werden. Die Ergebnisse der Studie bieten interessante Ansätze: eine erweiterte Analyse der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit dieser besonderen Unternehmen und die Diskussion der Frage, ob und wie man die Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten in den Stiftungssatzungen verankern kann. Sicher ist, dass stiftungsbeteiligte Unternehmen in den Zeiten des Shareholder-Kapitalismus ein aktuelles Thema bleiben.

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