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Magazin Mitbestimmung

Interview: "Trend zur Trennung sozialer Gruppen"

Ausgabe 04/2015

Armin Schäfer, Politikwissenschaftler an der Universität Osnabrück, über Gefahren für die Demokratie, wenn soziale Ungleichheit die politische Gleichheit aushebelt. Die Fragen stellte Gunnar Hinck

Ihrer jüngsten Publikation, „Der Verlust politischer Gleichheit“, zeigen Sie einen Zusammenhang zwischen sozialem Status und Wahlbeteiligung auf. Warum schadet das der Demokratie?

Diejenigen, die politische Entscheidungen treffen, werden viel häufiger mit der Meinung der sozial Bessergestellten konfrontiert und hören wenig von benachteiligten Gruppen. Politik wird vor allem für die Aktiven gemacht, während die Anliegen der anderen weniger beachtet werden. 

Kann eine Gesellschaft Ungleichheit aushalten, wenn es wenigstens eine soziale Durchmischung gibt?

Das Problem räumlicher Segregation ist, dass sie den ohnehin bestehenden Trend zur Trennung sozialer Gruppen verstärkt. Freundeskreise und Wohngegenden werden homogener. Nichtwähler sprechen viel häufiger mit anderen Nichtwählern über Politik, Wähler dagegen mit anderen Wählern. Umgekehrt heißt dies, dass eine sozial durchlässigere und insgesamt egalitärere Gesellschaft weniger mit einer niedrigen und ungleichen Wahlbeteiligung zu kämpfen hat. Dänemark ist dafür ein gutes Beispiel.

Auch Formen direkter Demokratie und Bürgerbeteiligung werden eher von den sowieso schon engagierten Bürgern genutzt. Verstärkt direkte Demokratie die politische Ungleichheit?

Die Gefahr besteht. An einer Wahl teilzunehmen ist relativ einfach. Die Mitarbeit in einer Bürgerbewegung oder an einem runden Tisch ist aufwendiger. Typische Nichtwähler nutzen diese Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren, häufig nicht. Zwischen eher konventionellen und alternativen Beteiligungsformen besteht kein Gegensatz, sondern sie verstärken sich gegenseitig.

SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi hat vorgeschlagen, Wahlwochen und mobile Wahlkabinen einzuführen. Eine sinnvolle Idee?

Ich fürchte, es trifft den Kern des Problems nicht. Menschen verzichten auf die Stimmabgabe nicht, weil der Aufwand untragbar hoch ist, sondern – neben den genannten Gründen – aus Unzufriedenheit, mangelndem Interesse und einer geringen Erwartung, dass sich durch Politik etwas an den eigenen Lebensumständen ändert.

Sie schlagen eine Wahlpflicht vor – denn sie wirke egalisierend und vermindere die politische ungleichheit. Diese Überzeugung teilen in Deutschland nur wenige. Warum eigentlich?

Wer auch nur die Diskussion über eine Wahlpflicht fordert, macht sich extrem unbeliebt. Denn sie widerspricht der Auffassung, dass Wählen ein Recht, aber eben keine Pflicht ist. Zur Wahl gezwungen zu werden wird als undemokratisch angesehen. Natürlich wäre es besser, auf dieses höchst umstrittene Instrument verzichten zu können und stattdessen die soziale Ungleichheit auf dänisches Niveau zu senken, damit die Wahlbeteiligung wieder steigt – doch die Wahrscheinlichkeit, „dänischer“ zu werden, ist unter der Bedingung einer sinkenden und ungleichen Wahlbeteiligung gering.

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