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Magazin Mitbestimmung

Interessenvertretung: Rückenwind für Mitbestimmung

Ausgabe 03/2015

Enercon wollte einem Betriebsratsvorsitzenden kündigen, weil er sich für Leiharbeiter eingesetzt hat. Dafür gab es jetzt vom Arbeitsgericht Magdeburg eine Abfuhr. Eine wichtige Etappe im Kampf um gewerkschaftliche Strukturen in Deutschlands Windenergiebranche. Von Jörn Boewe und Johannes Schulten

Es war ein langer Kampf. Ein Dreivierteljahr lang musste sich Nils-Holger Böttger gegen den Versuch seines Arbeitgebers wehren, ihm zu kündigen, ihn als Betriebsratsvorsitzenden abzusetzen und aus dem Betrieb zu drängen. Aber Böttger ist Ausdauersportler, Triathlet, er kann durchhalten. „Jetzt“, sagt der hochgewachsene Windkraftanlagenmonteur nach der Urteilsverkündung, „haben wir es endlich schriftlich, dass die deutschen Gesetze auch in der Windkraftbranche gelten.“

Böttger ist Betriebsratsvorsitzender der Windenergieanlagen Service GmbH Ost, einer von Hunderten Tochterfirmen von Deutschlands größtem Windkraftanlagenbauer Enercon. Weil er sich für die Rechte von Leiharbeitern einsetzte, hatte ihm Enercon im Juni 2014 gekündigt. Am 11. Februar erklärte das Arbeitsgericht Magdeburg die Kündigung für unwirksam.

Böttger hatte darauf gedrungen, dass Leiharbeiter eine vorgeschriebene Sicherheitsschulung regulär als Arbeitszeit bezahlt bekommen – eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen. Nicht so bei Enercon: Nach dem Willen von Verleihfirma und Auftraggeber sollten sie den Lehrgang unentgeltlich am Wochenende absolvieren. Böttger intervenierte bei seinem Arbeitgeber, sprach mit der Leiharbeitsfirma – umsonst. Nachdem er die Belegschaft in einer Rundmail über den Vorgang informierte, erhielt er den blauen Brief. Begründung: Böttger habe seine Kompetenzen überschritten und sich geschäftsschädigend verhalten. Weil das Betriebsratsgremium die Zustimmung zur Kündigung geschlossen verweigerte, zog Enercon vor das Arbeitsgericht Magdeburg. Das wies den Windkraftanlagenbauer jetzt in die Schranken.

„Das Gericht hat klargemacht, dass die Meinungsfreiheit ein Grundrecht ist, das nicht am Betriebstor endet“, kommentiert Daniel Weidmann, einer der beiden Rechtsanwälte Böttgers, die Entscheidung. Anfang März hat die Enercon-Geschäftsführung den Richterspruch akzeptiert, und erklärt, keine Revision anzustreben.

DER WIND HAT SICH GEDREHT

Keine Frage: Enercon hat Pionierarbeit geleistet für die Energiewende und die Zukunftsbranche Windkraftindustrie insgesamt. Was den Respekt gegenüber Arbeitnehmerrechten betrifft, herrschen im Unternehmen jedoch eher vordemokratische Zustände. Betriebsräte gab es bis Ende 2013 nur vereinzelt in wenigen Tochterunternehmen, Tarifverträge sind unbekannt. Seit den späten 90ern gibt es immer wieder Berichte über Anfeindungen gegen gewerkschaftlich engagierte Mitarbeiter und Betriebsräte bis hin zu Kündigungen. Das Unternehmen gehört keinem Arbeitgeberverband an, und trotz seines wirtschaftlichen Erfolgs zahlt es deutlich unter Tarifniveau.

Seit etwa zwei Jahren wenden sich Enercon-Beschäftigte aus dem ganzen Bundesgebiet verstärkt an die IG Metall und bitten um Unterstützung bei der Gründung von Betriebsräten. Die Gewerkschaft begann im Herbst 2013, mit einer groß angelegten Organizing-Kampagne die Wahl von Betriebsräten in verschiedenen Enercon-Tochtergesellschaften einzuleiten und zu unterstützen. Bis einschließlich August 2014 wurden 14 Betriebsratsgremien neu gewählt.

Seither ist das Klima im Unternehmen noch rauer geworden. Die meisten der neu gewählten Betriebsräte stehen unter erheblichem Druck. Gewerkschaftlich engagierte Kollegen werden abgemahnt und eingeschüchtert. In der Enercon-Tochter Gusszentrum Ostfriesland in Georgsheil bei Aurich wurden gleich zehn von zwölf Kandidaten der IG-Metall-nahen Betriebsratsliste strafversetzt. Für die Kollegen bedeutet das eine Herabstufung mit finanziellen Einbußen. Seit Januar müssen sie mit dem Schneidbrenner vor der Halle arbeiten – bei Wind und Wetter. Um sie herum wurde ein „Sichtschutz“ errichtet, der sie vom Rest der Belegschaft abtrennt. „Wir sind da völlig isoliert“, berichtet ein Betroffener.

WER IST ENERCON?

Warum fährt das Unternehmen diesen gewerkschafts- und mitbestimmungsfeindlichen Kurs? Die Entwicklung des Windkraftanlagenbauers Enercon ist eine Erfolgsgeschichte. Sie begann 1984 in einer Garage im Auricher Stadtteil Extum. Zusammen mit zwei Gleichgesinnten konstruierte der Ingenieur Aloys Wobben damals seine ersten Windräder mit Elektrogeneratoren. Heute ist Enercon Marktführer in Deutschland, gehört international zu den drei wichtigsten Windkraftanlagenbauern. Weltweit beschäftigt das Unternehmen rund 13 000 Mitarbeiter, davon 11 000 in Deutschland. Produziert wird vor allem in Aurich und Magdeburg. Wobben, der einstige Garagenunternehmer, ist mittlerweile im Ruhestand und mit einem geschätzten Privatvermögen von 5,6 Milliarden Euro der reichste Mann Niedersachsens. 

Mehrere Hundert Firmen weltweit gehören zur Enercon-Gruppe, den Kern bilden rund 45 GmbHs in Deutschland, die alle formal unabhängig und über verschiedene Holdings verflochten sind. Die meisten haben weniger als 500 Beschäftigte und müssen deshalb weder Aufsichtsräte bilden noch unterliegen sie der Unternehmensmitbestimmung. Alleiniger Gesellschafter des Gesamtkonstrukts ist laut Selbstdarstellung des Unternehmens die Aloys-Wobben-Stiftung, in die der Firmengründer seine Anteile eingebracht hat.

Vielleicht ist die elitär-arrogante Haltung, die die Unternehmensleitung zur Schau stellt, ein Erbteil des alten Wobben, der vielen als eigenbrötlerischer Tüftler galt, der sich von niemandem hineinreden lassen wollte. „Enercon ist ja erst seit zehn Jahren ein Weltunternehmen, vorher war alles überschaubar“, erzählt Helge Mannott, 27, der bis 2012 als technischer Angestellter bei Enercon Service Deutschland in Aurich gearbeitet hat. „Wobben hat eine ganze Generation von Mitarbeitern geprägt, die jetzt in mittleren und hohen Führungspositionen sitzen.“ Das mittlere Management bei Enercon besteht fast vollständig aus Leuten der ersten Stunde. Viele Abteilungsleiter haben als Facharbeiter angefangen und sind der Firma zutiefst verpflichtet. 

DIE BRANCHE IM FOKUS

Daran hat sich bis heute wenig geändert. Nur lassen es sich die Beschäftigten nicht mehr so einfach gefallen. Die Zeiten, in denen es ausreichte, ein paar versprengte Gewerkschafter herauszuwerfen, um den Laden wieder unter Kontrolle zu bringen, sind definitiv vorbei. Auch deshalb markiert das Verfahren vor dem Arbeitsgericht einen Wendepunkt. Wer die Augen aufgemacht hat, konnte zur Verhandlungseröffnung am 21. Januar in Magdeburg eine beeindruckende Demonstration von „Enerconisten“ unter den Fahnen der IG Metall erleben. Gut 200 Beschäftigte aus etlichen Tochterfirmen hatten sich vor dem Justizgebäude versammelt, um ihrem bedrohten Kollegen den Rücken zu stärken – überwiegend Betriebsräte, die 2013 und 2014 gewählt wurden. In ihren Redebeiträgen, auf ihren Transparenten, in ihrem ganzen Auftreten wurde deutlich: Das sind nicht mehr dieselben Leute wie vor ein, zwei Jahren.

Für die IG Metall ist Enercon von strategischer Bedeutung, weiß IG-Metall-Vorstand Irene Schulz, die zuständig ist für den Fachbereich Mitglieder und Erschließung. Mittelfristig geht es darum, in der Branche Tarifverträge durchzusetzen, damit Entgelte sowie Arbeits- und Leistungsbedingungen sich verbessern und zugleich ein Rahmen für faire Wettbewerbsbedingungen in der Windkraftindustrie insgesamt etabliert wird. „Deshalb fordere ich Enercon auf, mit uns in den Dialog einzutreten, anstatt auf Abgrenzung zu setzen“, betont Schulz. Bekommt man jetzt beim Marktführer nicht den Fuß in die Tür, droht der deutsche Windkraftanlagenbau auf Jahre hinaus eine weitgehend deregulierte Branche zu bleiben.

ÖFFENTLICHE FÖRDERMITTEL KÜNFTIG ALS HEBEL?

Auch die Politik trägt eine Mitverantwortung dafür, dass die Geschäftsführung sich bislang wenig um Betriebsverfassungsgesetz und soziale Verantwortung schert. Enercon wäre heute kein erfolgreicher internationaler Konzern und Firmengründer Wobben nicht auf Platz 16 der Liste der reichsten Deutschen, wenn der Staat nicht den Markt für Windkraftanlagen geschaffen hätte. Dies beginnt bei der EEG-Umlage, jener Kostenbeteiligung, die die große Masse der Stromkunden zahlt, um den Preis für grünen Strom zu stützen, und hört bei Investitionszuschüssen, günstigen Finanzierungen für Windparks und Bürgschaften der öffentlichen Hand noch lange nicht auf. In Sachsen-Anhalt wurden nach Auskunft der Landesregierung seit der Jahrtausendwende Investitionen in die Windenergie mit mindestens 14 Millionen Euro gefördert. Größter Produzent im Land ist mit Abstand Enercon mit rund 5000 Beschäftigten in Magdeburg. Dass das Unternehmen Gewerkschaftsrechte und Betriebsverfassung missachtet, spielte bei der Vergabe öffentlicher Fördermittel bislang keine Rolle.

Einer, der das ändern will, ist DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. Er sitzt im Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Die staatliche Bankengruppe ist einer der wichtigsten Finanziers für das expandierende Auslandsgeschäft von Enercon. Die KfW-Tochter IPEX gewährt in großem Stil Darlehen für die Finanzierung von Windparks – zuletzt einen 65-Millionen-Euro-Kredit für den kanadischen „Vents du Kempt“ im vergangenen Jahr. 

Für Körzell ist es „mehr als bedenklich, wenn ein weltbekanntes Unternehmen, das offensichtlich gegen Mitbestimmungsrechte verstößt, von Förderinstrumenten der KfW-Gruppe profitiert“. Eigentlich verfügt die KfW mit ihren Ethikrichtlinien über klare Bedingungen für Kreditvergaben. Doch kommen diese nur bei Förderungen außerhalb der OECD zum Einsatz. Körzell will sich nun im Verwaltungsrat dafür einsetzen, auch innerhalb Deutschlands die Einhaltung von Mitbestimmungsrechten zu einer Bedingung von Kreditvergaben zu machen.

Dabei geht es ihm nicht nur um Enercon. „Auch der Ruf der KfW ist in Gefahr“, so Körzell. Die Bankengruppe hat sich in der Vergangenheit sehr um ein nachhaltiges Image bemüht. Die Zusammenarbeit mit Windenergieunternehmen wie Enercon passt da gut ins Bild. In der Herbst-Winter-Ausgabe des KfW-Hausmagazins „Chancen“ posierte ein Enercon-Regionalleiter auf dem Titelblatt. Für Körzell macht sich die KfW damit „vollkommen unglaubwürdig“. Denn: „Nachhaltigkeit bedeutet auch Innovation und Beteiligung der Mitarbeiter. Das ist mehr, als einfach Windkraftwerke zu finanzieren.“ In die gleiche Richtung diskutiert man mittlerweile in Magdeburg: SPD und Linke im Landtag wollen die Vergabe von Fördermitteln künftig an die Akzeptanz von Betriebsräten knüpfen.

ERFOLGVERSPRECHENDE BEHARRLICHKEIT

Die „Enerconisten“ wissen, dass sie einen wichtigen Beitrag zur Energiewende des Industriestaats Deutschland leisten. Die meisten würden wohl dem Monteur Kai Hofmann, Betriebsratsvorsitzender der WEA Service Süd/Ost GmbH, zustimmen, wenn er sagt: „Ich arbeite gern bei Enercon und würde meinen Arbeitsplatz nicht eintauschen.“ Diese Mitarbeiter sind Enercons wichtigstes Kapital. Sie sind motiviert, hoch qualifiziert und wissen, was sie tun. Sie wollen in ihrem Unternehmen beteiligt werden, denn, wie es Hofmann ausdrückt: „Jetzt ist die Zeit reif für Mitbestimmung. Wir sind keine Garagenfirma mehr, wir sind ein global agierendes Unternehmen.“ 

Und so versuchen die IG-Metaller, der Unternehmensleitung klarzumachen, dass ein Kursschwenk hin zu einer Kultur der Mitbestimmung nicht zuletzt für das Unternehmen selbst eine kluge Entscheidung wäre. Enercon könnte „zeigen, was Federführung heißt, wenn es darum geht, wirtschaftlichen Erfolg mit sozialer Verantwortung und Innovation zu verbinden“, sagt IG-Metall-Vorstand Irene Schulz. „Erfolgreiche Mitbestimmung für beide Seiten ist möglich. Das stellen Arbeitgeberverbände und IG Metall, das stellen Betriebsräte und Geschäftsführungen in der Metall- und Elektroindustrie täglich unter Beweis.“ Aber klar ist auch: Ohne Druck bewegt sich gar nichts. Der Windkraftanlagenbauer wird seine Haltung zu Mitbestimmung und Gewerkschaften nur ändern, wenn eine organisierte Belegschaft für ihre Interessen einsteht.

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