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Magazin Mitbestimmung

Hochschulen: Steinige Karrierewege

Ausgabe 01/2015

Die Juniorprofessur ist besser als ihr Ruf. Das attestiert eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie. Doch nach wie vor braucht einen langen Atem, wer eine Karriere in der Wissenschaft anstrebt. Von Jeanette Goddar

Geplant war der ganz große Wurf: Bundesweit hatte Bildungsministerin Edelgard Bulmahn im Jahr 2002 den Weg zur Professur reformieren wollen. Anstatt Hunderte Seiten lange Habilitationsschriften zu verfassen, sollte, wer berufen werden wollte, zunächst sechs Jahre auf einer Juniorprofessur selbstständig lehren und forschen. Mit dem radikalen Umbau sollte die wissenschaftliche Laufbahn in Deutschland attraktiver werden; Nachwuchswissenschaftler sollten schneller und weniger abhängig von Professoren zum Ziel kommen. 

Aus dem großen Wurf wurde dann doch nur ein kleiner: Die Länder klagten gegen die Einmischung des Bundes und bekamen recht. Die Habilitation blieb bestehen und wurde in den Hochschulrahmengesetzen der Länder ergänzt – durch „habilitationsadäquate Leistungen“, die seitdem ebenso zum Ziel führen. Eine solche ist die Juniorprofessur, andere sind Laufbahnen in wissenschaftlichen Nachwuchsgruppen, wie sie ebenfalls auf Initiative Bulmahns unter anderen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingerichtet wurden.

Seit seinem holprigen Start hat das Projekt Juniorprofessur eine Reihe Abgesänge erlebt: Schlechte Arbeitsbedingungen, unsichere Karriereaussichten, wenig Akzeptanz im Vergleich zur Habilitation – so lauten die häufigsten Vorwürfe. Es gibt auch Zahlen, die dies untermauern. Statt den geplanten 6000 Juniorprofessuren richteten Deutschlands Universitäten bis 2010 nur 1200 ein. Auf jeden einzelnen Juniorprofessor, der erfolgreich abschließt, kommen sechs klassische Habilitationen. 

ES GEHT AUCH OHNE HABILITATION

Aber ist deswegen alles an der Juniorprofessur schlecht? Die kurze Antwort der von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie des Instituts für Hochschulforschung (HoF) lautet: Nein; die die Stellen innehaben, sind überwiegend zufrieden. Um herauszubekommen, wie es um sie steht, hat ein Team um die Hochschulforscherin Anke Burkhardt die Antworten von 600 Juniorprofessoren ausgewertet (1200 wurden angeschrieben). Neun von zehn lobten ihre Forschungsfreiheit, acht von zehn zeigten sich mit ihrer Arbeitsplatzbeschreibung zufrieden. 85 Prozent sagten: Ich würde den Weg noch einmal gehen. Auch nebenbei eine Habilitation zu verfassen hat längst nicht jeder vor: Vier von zehn lehnen das ab, je drei sind unentschieden oder planen, sich nicht zu habilitieren. Insgesamt zeige sich, „der Weg zur Professur gelingt auch ohne Habilitation“, erklärt Michaela Kuhnhenne, die für Bildung zuständige Referatsleiterin in der Abteilung Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung. Das sei für die Stiftung mit ihren rund 450 Promotionsstipendiaten, unter ihnen auch potenzielle Professoren, eine wesentliche Erkenntnis. 

Die Studie macht aber auch die Achillesferse des deutschen Wissenschaftssystems deutlich: die mangelnde Planbarkeit und Perspektive von hoch qualifizierten und gar nicht mehr so jungen Menschen. Anders als in den USA und zunehmend auch in Österreich, wo vergleichbare Stellen häufig mit einer Laufbahnzusage, dem sogenannten Tenure Track, einhergehen, ist das in Deutschland immer noch die Ausnahme. Von den Befragten gaben 23 Prozent an, eine Laufbahnzusage zu haben; bisherige Zahlen gingen von nicht mehr als zehn bis 15 Prozent aus. Zudem hängt die Chance auf ein planbares Leben stark von der Uni ab: Während einige sich früh engagierten, dauerhafte Perspektiven zu schaffen, ist das in anderen bis heute kein Thema. Von den 600 befragten Juniorprofessoren zeigten sich drei von vier unzufrieden mit der Planbarkeit; jeder Zweite bemängelte die fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Dazu passt, dass die Zufriedenheit im Lauf der Zeit abnimmt. „In den ersten Jahren schätzen viele ihre Lage positiver ein als kurz vor dem Ende“, erklärt Hochschulforscherin Burkhardt. 

In einer zweiten, ebenfalls von der Stiftung geförderten Befragung erhob das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh das Ansehen des neuen Karrierewegs unter Professoren. Deren Antworten ergeben ein skeptisches Bild: Rund jeder Zweite, der sich selbst habilitiert hat, hält das immer noch für den geeignetsten Weg; unter den ehemaligen Juniorprofessuren, die heute eine Professur haben, hält nur jeder Vierte diesen eingeschlagenen Weg zur Berufung für den besten. Insgesamt ist die Juniorprofessur stark mit dem „Risiko des Scheiterns“ verknüpft. 

MEHR UNBEFRISTETE STELLEN

Im Oktober wurden die beiden Studien bei einer Fachtagung der Hans-Böckler-Stiftung in Berlin vor etwa 150 Teilnehmern zur Diskussion gestellt. Auf Skepsis stieß dabei vor allem die Mitteilung, 85 Prozent der ehemaligen Juniorprofessoren – diese wurden in der CHE-Studie ebenfalls angeschrieben – hätten heute eine reguläre Professur inne. „Unsere Wahrnehmung kommt nicht im Entferntesten an diese Zahl heran“, erklärte David Groß von der Deutschen Gesellschaft Juniorprofessur.

Dass die hohe Zahl auch auf die Erhebungsmethode zurückzuführen sei, attestierte auch CHE-Studienleiterin Sigrun Nickel: Weil „ehemalige Juniorprofessoren“ nirgends registriert sind, wurden diese vor allem über Websites der Universitäten und akademische Fachzeitschriften gebeten, teilzunehmen. Folglich hätten vermutlich überdurchschnittlich viele geantwortet, die noch im Wissenschaftssystem sind. 

Zum Abschluss der Tagung stellte Sabine Behrenbeck für den Wissenschaftsrat – das höchste bildungspolitische Beratungsgremium von Bund und Ländern – dessen im Juli veröffentlichtes Reformmodell vor: Das fordert, erstens, einen „signifikanten Anteil“ aller Professuren mit Tenure Track auszustatten, und zweitens, unbefristete Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter und Lehrkräfte zu schaffen. Die Zahl der Professoren soll in den kommenden zehn Jahren um 7500 erhöht werden; die Zahl der unbefristeten Mitarbeiter etwa gleich stark steigen. Für den DGB unterstützte die Referatsleiterin für Hochschul- und Wissenschaftspolitik, Sonja Bolenius, den Vorstoß. Sie forderte zudem die Hochschulen auf, ihrer personalpolitischen Verantwortung stärker gerecht zu werden: „Es kann nicht sein, dass immer mehr Menschen auf den wissenschaftlichen Arbeitsmarkt kommen und dort nichts finden.“

Juniorprofs im O-Ton

UTA HERBST, 33, hat Kommunikationswissenschaften studiert, in Betriebswirtschaft promoviert und hatte anschließend an der Uni Tübingen eine Juniorprofessur in Marketing inne. Heute ist sie Professorin für 
Marketing an der Universität Potsdam. Sie sagt über ihren Karriereweg: „Meine Juniorprofessur war nur dem Namen nach eine. Tatsächlich geriet ich an einen sogenannten verwahrlosten Lehrstuhl – der Professor, der ihn innehatte, war kaum präsent. Also ersetzte ich ihn, so gut ich konnte, und übernahm als 27-Jährige aus dem Stand einen Lehrstuhl mit vier Mitarbeitern, zehn Semesterwochenstunden Lehrverpflichtung und voller personeller und finanzieller Verantwortung, auch für die Einwerbung von Drittmitteln. Als ich 2012 in Potsdam meine jetzige, „richtige“ Professur antrat, brauchte ich kaum eine Woche, um mich einzugewöhnen: Ich kannte das ja alles schon. Im Nachhinein würde ich sagen: Es war die Hölle – aber ich würde alles wieder genau so machen.

Eine sichere Laufbahn hatte ich nicht; ich hatte aber auch nicht damit gerechnet. Ehrlich gesagt ist mein Eindruck, dass auch die klassische Habilitation mit enormen Unwägbarkeiten verbunden ist: Werde ich publiziert? Werde ich eingeladen? Bin ich richtig vernetzt? Und ob es mir in einem Unternehmen schneller geglückt wäre, Karriere zu machen, sei dahingestellt. Ich fürchte, die Hürden dort wären noch höher gewesen.

Tatsächlich habe ich mich während meiner Juniorprofessur auf den verwahrlosten Lehrstuhl, den ich ohnehin ersetzte, beworben – und wurde nicht genommen. Ich hatte viele Unterstützer, auch Preise bekommen, für Forschung wie für Lehre, meine Studierenden mochten mich. In der Fakultät aber waren schlicht die Beharrungskräfte unter denen, die nur das alte System kennen und kennen wollten, zu groß: Ich war die Einzige, die gesiezt wurde; ich wurde wie eine Forscherin zweiter Klasse behandelt. Ich bin über die Juniorprofessur zwar ordentliche Professorin geworden, aber ich werde nie sagen können: Ich bin eine habilitierte Professorin. Und es wird weiterhin Leute geben, die das nicht ernst nehmen. 

Dennoch ging alles gut. Nach fünf Jahren wurde ich auf eine ordentliche Professur berufen, da war ich 31, das ging also schnell. Ich habe mir aber auch wirklich überhaupt keine Auszeiten gegönnt, keine langen Reisen – und auch drei Kinder habe ich gleichsam nebenbei bekommen, ohne eine Woche Elternzeit. Ich hatte immer den Eindruck: Die Forschung schläft nicht. Und auch die Anforderungen an Mobilität sind tatsächlich enorm. Mein Mann arbeitet an einem Lehrstuhl in Stuttgart, ich bin mit den Kindern in Potsdam, er pendelt am Wochenende. Natürlich ist unser Ziel, unsere Familie wieder zusammenzuführen. Aber bei zwei in der Wissenschaft spezialisierten Menschen können Sie sich vorstellen, wie komplex das ist. 

Wichtig an der Juniorprofessur finde ich vor allem, dass damit ein Äquivalent zum Assistant Professor in den USA geschaffen wurde. Das hat zu mehr internationaler Vergleichbarkeit der Karrierewege geführt. In der Wissenschaft ist das enorm wichtig.“

DAVID GROSS, 35, ist Juniorprofessor für Quantenmechanik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft Juniorprofessur. Er sagt über sich: „ Ich bin äußerst privilegiert: An der Uni Freiburg wurden mit Geldern der Exzellenzinitiative einige Juniorprofessuren mit Tenure Track, also mit einer festen Laufbahnzusage, geschaffen. Wenn alles gut geht und ich positiv evaluiert werde, bekomme ich nach Ende der sechs Jahre also eine dauerhafte Professur. Schon jetzt kann ich mich über meine Ausstattung nicht beklagen: Die Uni finanziert zwei Postdocs; durch Drittmittel kommen bald drei weitere Stellen dazu.

Gut ausgestattet ist aber nicht gleich gut eingebunden. An meinem Institut werde ich nicht als vollwertiges Mitglied der Professorenschaft gesehen. Zur Versammlung der Professoren werde ich zum Beispiel ausdrücklich nicht eingeladen. Das kratzt nicht nur an meinem Ego, sondern führt auch zu praktischen Problemen. Immer wieder verschwende ich Zeit, weil Abläufe und Regeln geändert wurden und ich das nicht mitbekommen habe.

Dahinter steht eine mangelnde Akzeptanz der Juniorprofessur, die vor allem eines deutlich macht: Die Universität ist politisch kaum zu steuern. Bundesminister, Landesminister, Präsidenten – sie alle können gegen die Fakultäten, die letztlich eine disjunktive Vereinigung von Lehrstühlen sind, nur schwer Reformen durchsetzen. Will man etwas verändern, muss man jeden einzelnen „Herrn C4“ überzeugen – also all die immer noch vorwiegend männlichen Professoren, die seit 30 Jahren im System sind. Die Qualifizierungswege sind dafür ein gutes Beispiel. In der Politik, in der Forschung, in den Führungsetagen sind sich eigentlich alle längst einig: Es muss sich etwas ändern. Viele etablierte Professoren bekommen von der Diskussion aber kaum etwas mit. Und ohne sie erreicht man nur wenig.

Das größte Problem bleibt die mangelnde Planbarkeit. Die meisten Juniorprofessoren haben keine Perspektive auf Dauer. Und auch wenn die Lage bei anderen Nachwuchswissenschaftlern noch schlechter, ist, gilt: Auch mancher Juniorprofessor fällt nach sechs Jahren in die Prekarität zurück. Mindestens steht für viele die Entscheidung an, das Land oder auch ihre Partnerschaft zu verlassen. Nämlich mit Ende 30, Anfang 40 noch einmal ganz von vorn schauen, wo es weitergeht, in einer Lebensphase, in der viele längst Familie haben. 

Zualleroberst gilt: Wir brauchen ein Ende der Lotterie. Es muss möglich sein, die Entscheidung, ob jemand eine Chance im Wissenschaftssystem hat, zehn Jahre vorzuverlegen. Deswegen stehe ich auch all den Programmen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses skeptisch gegenüber. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht immer mehr Leute in die Perspektivlosigkeit schleusen. Am Ende gilt: Das Verhältnis von Leuten, die berufen werden wollen, und den verfügbaren Stellen liegt bei 3 : 1. Was wird aus den anderen?“

Dokumentation der Veranstaltung „Die Juniorprofessur zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ sowie Audiomitschnitte und Fotostrecke

Download der Studie

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