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IMK-Jahresausblick 2015: Deutschland macht Fortschritte auf dem Arbeitsmarkt – bei Investitionen viel zu zögerlich

07.01.2015

Der neue gesetzliche Mindestlohn dürfte die Funktionsfähigkeit des deutschen Arbeitsmarktes verbessern und die Lohnentwicklung stabilisieren. Die Bundesregierung hat damit zu Beginn des Jahres 2015 eine wichtige Voraussetzung geschaffen, um künftig ein balancierteres und nachhaltigeres Wachstum in Deutschland zu erreichen. Einer zweiten zentralen wirtschaftspolitischen Herausforderung sind Deutschland und seine europäischen Partner dagegen noch nicht gerecht geworden: Die Notwendigkeit, die öffentlichen Investitionen deutlich auszuweiten, ist zwar weitgehend erkannt. Die bislang geplanten nationalen und europäischen Investitionsprogramme sind jedoch viel zu klein und oft nicht gut konstruiert. „Die Investitionsschwäche zu überwinden, muss für Europa in diesem Jahr Ziel Nummer eins sein. Ob es erreicht wird, ist für die wirtschaftliche Zukunft von EU und Euroraum weitaus bedeutsamer als etwa die Entwicklung in Griechenland“, sagt Prof. Dr. Gustav A. Horn, der Wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. Für eine erfolgversprechende Investitionsoffensive müssten im Euroraum in den kommenden drei Jahren jährlich mindestens 100 Milliarden Euro aus öffentlichen Mitteln ausgegeben werden. Damit ließen sich spürbare Zuwächse bei Wachstum und Beschäftigung erzielen, so dass sich die zusätzlichen Ausgaben zu einem beträchtlichen Teil selbst finanzieren würden. Zu diesen Ergebnissen kommt das IMK bei seiner Analyse der wichtigsten wirtschaftspolitischen Herausforderungen. Der Jahresausblick erscheint heute als IMK Report Nr. 102 und wird auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt.

Das IMK geht in seiner aktuellen Konjunkturprognose davon aus, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2015 um durchschnittlich 1,6 Prozent wachsen wird. Dazu trägt neben dem stabilen privaten Konsum im Inland, der auf einer positiven Entwicklung am Arbeitsmarkt und steigenden Löhnen fußt, ein stärkerer Export und eine moderate Belebung der Investitionen bei. Doch ein selbsttragender Aufschwung ist nach Einschätzung der Forscher derzeit nicht in Sicht. Wesentlicher Grund dafür ist die weiterhin fragile Lage in weiten Teilen Europas. Während die USA und die großen Schwellenländer außer Russland solide wachsen, kommen wichtige deutsche Handelspartner in Euroraum und EU wirtschaftlich nur langsam voran.

Ein BIP-Wachstum von 1,4 Prozent im Durchschnitt der Euro-Länder, mit dem das IMK in diesem Jahr rechnet, „darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Krise des Euroraums damit noch keinesfalls überwunden ist“, schreiben die Wissenschaftler. „So haben die meisten Mitgliedsstaaten bislang weder das Produktions- noch das Beschäftigungsniveau von vor der Krise wieder erreicht. Der Euroraum insgesamt wird auch 2015 ärmer sein als 2008.“ Zumal bei der schleppenden wirtschaftlichen Entwicklung die Gefahr einer Deflation sehr real bleibe. Die Forscher verweisen auf beunruhigende Signale der Europäischen Zentralbank (EZB), die ihre Inflationsprognose in den vergangenen zwei Jahren bereits sechs Mal gesenkt hat. Die extrem schwache Preisentwicklung führe dazu, dass selbst die niedrigen Zinsen, die die EZB mit einem Leitzins nahe Null massiv gefördert hat, eigentlich noch zu hoch sind: Das Niveau der Realzinsen dämpfe die Wirtschaft, statt sie zu stimulieren, bekräftigt das IMK gleichlautende Berechnungen der Industrieländerorganisation OECD. Es sei unverständlich, warum der Sachverständigenrat – die sogenannten „Wirtschaftsweisen“ – diese alarmierende Entwicklung ignoriere.

Schuldenbremse und „Schwarze Null“ behindern Investitionen
„Die Geldpolitik der EZB hat in den vergangenen zwei Jahren verhindern können, dass die akute Krise im Euroraum wieder aufflackert“, sagt Gustav A. Horn. „Doch alleine kann die Zentralbank keine Deflation verhindern und den wirtschaftlichen Trend auch nicht zum Positiven drehen. Sie braucht Unterstützung durch eine investitionsorientierte Finanzpolitik der Euro-Länder mit finanziellen Spielräumen. Da passiert noch viel zu wenig, insbesondere in Deutschland.“

Das IMK konstatiert zwar einen „allmählichen Kurswechsel“ in Europa, weg vom strengen Sparkurs ohne Rücksicht auf die Konjunktur. Die finanzpolitischen Impulse, die die Euro-Staaten durch ihre Staatsausgaben setzen, seien 2015 erstmals seit Jahren nicht deutlich restriktiv, sondern „mehr oder minder neutral“. Zudem zeigten Initiativen wie der „Juncker-Plan“ ein verstärktes Bewusstsein für die Notwendigkeit höherer Investitionen. Allerdings zeige sich in dieser Situation auch, wie stark der europäische Fiskalpakt und die deutsche Schuldenbremse den Spielraum für notwendige Investitionen einengen. Diese Selbstbindung werde in Deutschland noch einmal verschärft durch die Fixierung auf eine „schwarze Null“ im Haushalt.

Im Ergebnis seien viele der bislang präsentierten Investitionsvorschläge „nichts anderes als mehr oder minder überzeugende Versuche, die institutionellen Hindernisse zu umgehen“, schreiben die Wissenschaftler. Das führe zu Konstruktionen, die kaum nennenswerte positive Konjunkturwirkungen entfalten dürften. Insbesondere sei es sehr unwahrscheinlich, dass der „Juncker-Plan“ mit dem überschaubaren Impuls von 21 Milliarden Euro, die zum Teil lediglich umgeschichtete Mittel sind, Investitionen von insgesamt 315 Milliarden Euro anstoßen kann.

Öffentlich finanzierte Investitionsprogramme können Wachstum deutlich erhöhen
Außerdem halten es die Forscher für problematisch, dass sowohl EU- als auch deutsche Politiker bei Investitionsinitiativen sehr stark auf Projekte in „Öffentlich-Privater-Partnerschaft“ (ÖPP) setzen. Da die öffentliche Hand deutlich günstiger Kredite aufnehmen könne als private Unternehmen sei es wahrscheinlich, dass ÖPP-Projekte unter dem Strich für den Steuerzahler teurer würden, betont das IMK. Das werde durch Untersuchungen des Bundes- und mehrerer Landesrechnungshöfe unterstützt: Die Studien ergaben, dass private Auftraggeber Infrastrukturprojekte meist nicht günstiger abwickeln können als staatliche.

„Am sinnvollsten wäre es, man würde die gesetzlichen und institutionellen Beschränkungen wieder abschaffen, um die notwendige fiskalische Flexibilität zu ermöglichen und gleichzeitig intransparente und teure Umgehungsstrategien zu verhindern“, folgert das IMK. Zumindest sei die Politik gut beraten, bestehende Spielräume zugunsten von Investitionen konsequent zu nutzen. Die gebe es in der deutschen Schuldenbremse ebenso wie im europäischen Fiskalpakt. Dort habe der EU-Ministerrat die Möglichkeit, die Konsolidierungsvorgaben zu lockern. Die Euroländer könnten beispielsweise gemeinsame Eurobonds auflegen, um gezielt öffentliche Investitionen zu finanzieren.

Mit einem nennenswerten öffentlich finanzierten Investitionsprogramm ließen sich zwei Ziele erreichen, betont IMK-Direktor Horn: „Erstens könnte gerade Deutschland endlich ernsthaft beginnen, den wachstumsschädlichen Investitionsstau in seiner Infrastruktur aufzulösen. Zweitens zieht das Wachstum in Europa kurzfristig spürbar an – das beste Mittel, um die Deflationsgefahr zu reduzieren.“

Berechnungen, die das IMK mit einer Variante des „New Area Wide Model“, das die EZB für ihre Prognosen einsetzt, angestellt hat, demonstrieren den Effekt: Wenn die öffentlichen Investitionen im gesamten Euroraum zwischen 2015 und 2017 um 1 Prozent des BIP (insgesamt 300 Mrd. Euro verteilt auf 3 Jahre) erhöht würden, läge das Bruttoinlandsprodukt im Euroraum in diesem Zeitraum um durchschnittlich 1,6 Prozent höher. Weil die Investitionsoffensive Beschäftigung, privaten Konsum und Unternehmensinvestitionen stärkt, falle die Wachstumswirkung also deutlich höher aus als der gesetzte Impuls. Da das höhere Wachstum für mehr Steuereinnahmen sorgt und die Inflation antreibt, prognostizieren die Ökonomen eine „weitgehende Selbstfinanzierung des Programms.“

Mindestlohn: Empirische Forschung lässt neutrale Wirkung auf dem Arbeitsmarkt erwarten
Die Wissenschaftler setzen sich erneut mit dem Forschungsstand zu Mindestlöhnen auseinander. Für 2015 und die Folgejahre prognostiziert das IMK durch die Einführung der allgemeinen Lohnuntergrenze eine positive Wirkung auf die Entwicklung der Bruttolohn- und -gehaltssumme. Relevante negative Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Beschäftigung halten die Forscher für unwahrscheinlich.

Das lassen nach Analyse des IMK unter anderem aktuelle Studien zum deutschen Arbeitsmarkt erwarten, die eine erhebliche „monopsonistische“ Marktmacht von Arbeitgebern erkennen. Diese Marktmacht führe dazu, dass Arbeitgeber Beschäftigten deutlich niedrigere Löhne zahlen können als aufgrund der betrieblichen Wertschöpfung dieser Beschäftigten angemessen wäre. Eine Lohnerhöhung würde daher die Beschäftigung nicht unrentabel machen, sondern nur die Gewinnmarge des Unternehmers reduzieren. Angesichts der niedrigen Tarifbindung in Ostdeutschland dürfte dieser Effekt dort stärker ausgeprägt sein als im Westen, so das IMK. Die empirische Forschung zu Mindestlöhnen im Ausland weise in dieselbe Richtung, ebenso wie die umfangreiche Evaluation von Branchenmindestlöhnen in Deutschland, die keine negativen Beschäftigungswirkungen festgestellt hat. Auch zu mikroökonomischen Simulationsstudien, wie sie beispielsweise im Auftrag der arbeitgeberfinanzierten „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ angestellt wurden, gebe es Evidenz aus dem Ausland: „Die Erfahrungen aus dem Vereinigten Königreich in den 1990er Jahren vor der Einführung des dortigen Mindestlohns haben gezeigt, dass diese Simulationsstudien wenig aussagekräftig sind und dazu neigen, sehr große negative Beschäftigungseffekte vorherzusagen“, konstatiert das IMK.

Weitere Informationen:

Gustav Horn, Sebastian Gechert, Alexander Herzog-Stein, Ansgar Rannenberg, Katja Rietzler, Silke Tober: Wirtschaftspolitik unter Zwängen. Wirtschaftspolitische Herausforderungen 2015 (pdf). IMK Report Nr. 102, Januar 2015.

Kontakt:

Prof. Dr. Gustav A. Horn
Wissenschaftlicher Direktor IMK

Rainer Jung
Leiter Pressestelle

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