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Magazin Mitbestimmung

Crowdwork: Wie sich Klickarbeiter organisieren

Ausgabe 12/2014

Die Amazon-Plattform „Mechanical Turk“ ist das prominenteste Beispiel für Crowdwork. Das einzige ist es nicht. Auch in Deutschland verdienen Hunderttausende ihr Geld auf Plattformen im Netz. Ein Buch bringt jetzt die Debatte voran. Von Jeannette Goddar

Am Anfang war ein Jahrmarkt-Gag. Bereits 1769 führte ein ungarisch-österreichischer Hofbeamter den verblüfften Passanten einen vermeintlichen Schachroboter vor, eine auf einem Tisch sitzende Puppe mit Schnauzer und Turban, die angeblich von selbst Schach spielte. Was natürlich nicht stimmte: Unter dem Tisch zog ein echter Mensch die Strippen. Ein „Schach-Türke“, wie er genannt wurde, oder im Englischen „Mechanical Turk“.

Es ist zu vermuten, dass es schon auf dem Jahrmarkt um Geld ging. Ganz sicher ist das heute so. Im Jahr 2006 adaptierte der Milliardenkonzern Amazon den Mechanical Turk für seine Zwecke in Form einer Plattform, auf der echte Menschen für ein paar Dollar die Stunde all die Dinge erledigen, die Computer heute noch nicht können: CD-Cover auf sexuelle Inhalte überprüfen, automatisierte Übersetzungen überprüfen, Fotos beschriften oder Adressen übertragen zum Beispiel. Human Intelligence Tasks heißen diese Aufgaben, kurz HIT. Eine halbe Million Menschen hat sich auf der Website www.mturk.com ihrer Erledigung verschrieben.

Die Bedingungen, unter denen sie das tun, lehren nicht nur klassische Arbeitnehmer das Gruseln. Weder gibt es eine Garantie, dass die Arbeit abgenommen wird, noch bekommen alle Klickarbeiter alles angezeigt – nur jene mit guten Bewertungen von den Auftraggebern bekommen besser bezahlte Angebote überhaupt auf ihrem Bildschirm zu sehen. Persönliche Kontaktaufnahme zwecks Klärung im Konfliktfall ist nicht vorgesehen, die Bezahlung aus deutscher wie US-amerikanischer Sicht auf Niedrigstniveau: Zwei bis acht Dollar pro Stunde sind die Regel. Nicht so wenig ist das zwar für Menschen in anderen Teilen der Welt, die diese Arbeit auch erledigen könnten, in Indien, Afrika oder Südostasien zum Beispiel. Aufgenommen werden ausländische Arbeiter aber seit einiger Zeit nicht mehr. Auf der anderen Seite sind die „Turker“, wie sie sich selbst nennen, schon deshalb nicht schutzlos, weil sie sich vernetzen: Mit „Turker Nation“ haben sie ein Forum gegründet, auf dem sie sich zu fairer Entlohnung, fairer Behandlung und respektvoller Kommunikation austauschen – und vor allem vor unfairen oder ausbeuterischen Arbeitgebern warnen. Wer einen Blick in das Forum wirft, stellt fest: Die meisten, die hier schreiben, sind sogenannte „Power-Turker“, die einen wesentlichen Teil ihres Lebensunterhalts mit mturk-Jobs bestreiten. Und: Abschaffen wollen sie die Plattform ebenso wenig wie grundlegende Veränderungen, feste Arbeitsverträge zum Beispiel. Auch einen Mindestlohn fordert nur eine Minderheit. Ein wichtiges Instrument zur Unterscheidung zwischen seriösen und unseriösen Auftraggebern haben den Turkern zwei kalifornische Wissenschaftler in die Hand gegeben: Turkopticon ist ein kostenloses Tool, das Klickarbeitern ermöglicht, selbst Bewertungen ihrer Auftraggeber abzugeben und zu veröffentlichen. Wichtigste Kriterien sind: Wie viel und wie zeitnah wird bezahlt? Werden erteilte Aufträge auch abgenommen? Antwortet das Unternehmen, wenn man sich beschwert? Gibt es überhaupt die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme? 

Mechanical Turk ist das prominenteste Beispiel für Crowdwork. Das einzige ist es nicht. Auch in Deutschland verdienen Hunderttausende Geld auf Plattformen – für Dumpingentgelte ebenso wie für gut dotierte Tagessätze. Wissenschaftler, darunter der Kasseler Wirtschaftsinformatiker Jan Marco Leimeister, unterscheiden zwischen vier Typen von Aufträgen: von Mikroaufgaben, die meist stark standardisiert sind und niedrig entlohnt werden, über etwas komplexere und besser bezahlte Makroaufgaben bis zu einfachen und komplexen Projekten. Zu den einfachen Projekten gehören zum Beispiel Produktdesign und das Erstellen von Softwarecodes, zu den komplexen Wettbewerbe, bei denen nach umfangreichen Lösungen in Produktentwicklung oder Wissenschaft gesucht wird. Anders als Aufgaben werden Projekte in der Regel auch entsprechend bezahlt. Für alle vier gilt: Die Forschung ist noch ganz am Anfang.

In Deutschland bringt die Debatte nun ein Buch voran: „Crowdwork – zurück in die Zukunft? Perspektiven digitaler Arbeit“, herausgegeben von Christiane Benner, Vorstandsmitglied der IG Metall. Auf 420 Seiten stellen Autoren aus Deutschland und den USA den Stand der Wissenschaft sowie wesentliche Aspekte der politischen und rechtlichen Debatte dar. So erörtert SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi den Auftrag der Politik und stellt zudem einen Zusammenhang zur „Kolonialisierung der Arbeit“ durch die digitale Verfügbarkeit von Mitarbeitern her. Der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler macht die Herausforderungen deutlich, vor die Crowdwork die Verteidiger von Arbeitnehmer- oder Auftragnehmerrechten stellt. Und Christiane Benner legt gleich eine ganze Reihe von Gründen dar, warum Gewerkschaften sich all dem nicht verschließen dürfen.

MEHR INFORMATIONEN

 Christiane Benner (Hrsg.): Crowdwork – zurück in die Zukunft? Perspektiven digitaler Arbeit. Frankfurt a.M., BUND-Verlag 2015. 420 Seiten

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