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Magazin Mitbestimmung

Interview: "Natürlich bietet die digitale Welt Potenziale"

Ausgabe 12/2014

IG-Metall-Vorstandsmitglied Christiane Benner ist sich sicher, dass Arbeitnehmerrechte in die digitale Arbeitswelt übertragen werden können, ohne die Kreativität zu ersticken. Die Fragen stellte Jeannette Goddar

Frau Benner, eine gewisse Überraschung kann ich nicht verbergen: Ausgerechnet die IG Metall bringt die Republik auf den Stand zum Thema Crowdwork? 

Die IG Metall ist eben ihrer Zeit voraus! Tatsächlich ist insbesondere internes Crowdsourcing in vielen Unternehmen – von der Automobil- bis zur Zulieferindustrie – längst Alltag. 

Was ist das genau? 

Vor allem IT- und Entwicklungsabteilungen rufen häufig in firmeninternen Netzwerken die gesamte Belegschaft – also eine Crowd – auf, zu einem Problem oder einer Kundenanforderung Ideen zu entwickeln. Je mehr mitmachen, so die Idee, desto schneller komme man zu einem maximal kreativen Ergebnis.

Solange Arbeitnehmerschutzrechte nicht angetastet werden, warum nicht? 

Für viele mag das eine Herausforderung sein, an die sie sonst gar nicht herankommen. So einfach ist es nicht. Denn erstens hebelt ein Verfahren, das alle linearen Strukturen außer Acht lässt, auch Mitbestimmungsrechte aus. Es gelten neue Spielregeln, die nirgends festgeschrieben sind. Zweitens: Was ist mit denen, die nicht teilnehmen wollen? Wie viel Druck übt die Teilnahme anderer aus – wie freiwillig ist das Mitmachen? Und: Viele Ingenieure leiden darunter, dass Arbeitsprozesse immer stärker standardisiert und zerteilt werden. Das geschieht auch, damit Arbeitspakete besser ausgelagert werden können, etwa in die Crowd. Und es entstehen Mischformen: etwa wenn neben den Mitarbeitern auch Externe teilnehmen. Nicht nur, was die Vergütung angeht, entsteht auch dort ein rechtsfreier Raum.

Dennoch: Von so etwas wie Mechanical Turk ist Deutschland noch weit entfernt, oder? 

Aber mindestens auf dem Weg dorthin. Von der halben Million Menschen, die auf der Plattform Clickworker.com registriert ist, lebt jeder Dritte in Deutschland. Das Prinzip unterscheidet sich von dem Amazons nicht: Fünf Cent werden für eine recherchierte E-Mail bezahlt, für einen kleinen Text fünf Euro. An Jobs mit acht bis zehn Euro pro Stunde kommen nur erfahrene Klickarbeiter heran.

Auf anderen Plattformen bieten digitale Selbstständige ihre kreativen Dienste für einen recht hohen Stundensatz an. Sie argumentieren: Das Internet biete ihnen ein Instrument zum Selbstmarketing, das sie früher nicht hatten. 

Natürlich bietet die digitale Welt Potenziale. Es geht uns auch nicht darum, sie zu verdammen. Vielmehr möchten wir sie zunächst verstehen. Dazu gehört auch, nachzuvollziehen, was Menschen motiviert, sich lieber der mobilen Arbeit, unabhängig von Raum und Zeit, zu verschreiben als traditionellen Modellen. Dass das auch freiwillig geschieht, erkennen wir an. Fragen stellen sich dennoch: Lässt sich nicht auch Festanstellung so organisieren, dass Menschen kreativ sein können? Gut bezahlte, aber langweilige Arbeitsplätze – das kann ja nicht die Zukunft sein! Und: Wie können wir diese Arbeitsformen organisatorisch unterstützen?

Die Turker organisieren sich auf Plattformen im Internet. Sich diese digitalen Nerds bei der IG Metall vorzustellen fällt schwer. 

Mir überhaupt nicht. Sie treten für ureigene Forderungen der Gewerkschaften ein: mehr Berechenbarkeit und Transparenz, höhere Entgelte. Das wollen wir in Deutschland auch anstoßen, Lösungen anbieten und dazu beitragen, einen faireren Arbeitnehmermarkt zu schaffen. Denkbar wäre ja zum Beispiel ein „Fair Crowd“-Label für Plattformen, die sich „guter Arbeit“ verschreiben. Zurzeit stellen wir erste Kontakte zu den Betreibern her, ebenso in die Politik. Sowohl Arbeitsministerin Andrea Nahles wie Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sind sehr interessiert. Die Politik muss auch handeln, wenn sie das Arbeitsleben gestalten und nicht nur hinterherhecheln will. Es geht um die Frage, wie wir in der digitalen Welt leben und arbeiten wollen. Dazu haben wir viele Ideen. 

In Ihrem Buch widmet sich Wolfgang Däubler der Anwendbarkeit bestehenden Arbeitsrechts. Die kurze Antwort: Praktisch aussichtslos. 

Nein, er weist Arbeitgeberfantasien in Grenzen. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, soweit deutsches Arbeitsrecht anwendbar ist. Einen wichtigen Hebel bieten bereits nach geltendem Recht die mit jeder Ausschreibung einhergehenden allgemeinen Geschäftsbedingungen. Diese dürfen nicht sittenwidrig gestaltet sein. Andere Ansatzpunkte müssen folgen. Warum sollte zum Beispiel das Heimarbeitsgesetz nicht anwendbar sein, um einen gewissen Mindestschutz zu gewährleisten? In anderen europäischen Ländern werden Arbeitnehmerschutzrechte entsprechend auf Clickworker angewendet. Und: Die Betriebsräte haben Gestaltungsmöglichkeiten, auch das kann man im Buch nachlesen. Ich bin sicher, dass Arbeitnehmerrechte in die digitale Arbeitswelt übertragen werden können, ohne die Kreativität zu ersticken. Darum geht es. Und: Dass es bei BMW geglückt ist, mobile Arbeit als Arbeitszeit zu werten – wofür es dann auch den Deutschen Betriebsrätepreis gab – macht doch Mut.

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