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Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: Aufgaben bei der Mindestlohneinführung

Ausgabe 12/2014

"Bis heute fehlt eine eindeutige Bestimmung, welche Lohnbestandteile eigentlich in den Mindestlohn eingerechnet werden dürfen", sagt Thorsten Schulten, Wissenschaftler am WSI für Arbeits- und Tarifpolitik in Europa. 

Die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns ist eine der wichtigsten arbeits- und sozialpolitischen Reformen in der jüngeren Geschichte Deutschlands. Mit ihr ist gleichzeitig ein gesellschaftliches Großexperiment verbunden, das nicht einfach sich selbst überlassen werden darf, sondern politisch gestaltet werden muss – durch die Politik wie durch Arbeitgeber und Gewerkschaften. 

Nötig ist eine Informationskampagne, damit möglichst jeder Beschäftigte seine Mindestlohnansprüche und jedes Unternehmen seine Mindestlohnverpflichtungen kennt. Zwar hat die Einführung des Mindestlohns in Deutschland viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Trotzdem dürfte es nach wie vor viele Beschäftigte geben, die nicht wissen, ob sie Anspruch auf einen Mindestlohn haben.

Ebenso muss man den Mindestlohn notfalls auch gerichtlich durchsetzen: Entsprechend sollten die kollektiven Klagemöglichkeiten gestärkt werden, wie sie in einigen europäischen Ländern bereits heute bestehen. So haben in Frankreich die Gewerkschaften die Möglichkeit, stellvertretend für die Beschäftigten die Unternehmen bei Mindestlohnverstößen zu verklagen. Die Einführung eines Verbandsklagerechts auch in Deutschland wird vonseiten der Gewerkschaften seit Langem gefordert. Dies ist für die Durchsetzung des Mindestlohns wichtig, weil Betroffene erfahrungsgemäß aus Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes davor zurückschrecken, ihren Arbeitgeber individuell zu verklagen.

Des Weiteren ist die Politik gefordert, klare Regeln für den Mindestlohn festzulegen. Bis heute fehlt eine eindeutige Bestimmung, welche Lohnbestandteile eigentlich in den Mindestlohn eingerechnet werden dürfen. Unklar ist zum Beispiel noch, ob Leistungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld oder die Kosten für Unterkunft und Verpflegung für Saisonarbeitskräfte mit in die Kalkulation des Mindestlohns einbezogen werden können. Hier sind die Meinungen geteilt, und es fehlt an eindeutigen Vorgaben der Politik.

Noch nicht ausgeräumt ist zudem die Gefahr, dass der Mindestlohn durch falsche Arbeitszeiterfassungen unterlaufen wird, wenn Beschäftigte genötigt werden, unbezahlte Mehrarbeit zu leisten. Besondere Arbeitszeiten wie Bereitschaftsdienste oder Wartezeiten werden künftig möglicherweise nicht korrekt nach dem Mindestlohn vergütet. In vielen Branchen gibt es außerdem keine fest geregelten Arbeitszeiten, weil die Beschäftigten per Stücklohn bezahlt werden. Zwar sagt der Gesetzgeber eindeutig, dass bei Stücklohnvereinbarungen gewährleistet sein muss, „dass der Mindestlohn für die geleisteten Arbeitsstunden erreicht wird“. Um Missbrauch zu verhindern, müssen Unternehmen die genaue Arbeitszeit aufzeichnen, was aber nur für die Branchen gilt, die anfällig sind für illegale Beschäftigungspraktiken, sowie für geringfügig Beschäftigte. Damit werden in allen anderen Bereichen Mindestlohnverstöße besonders leicht werden, da sie kaum kontrolliert werden können. 

Ein weiterer Punkt ist die wirksame Kontrolle des Mindestlohns. Hierbei verfügt Deutschland mit dem Zoll und anderen Aufsichtsbehörden über ein umfassendes Kontrollsystem. Die Politik muss dafür sorgen, dass die Behörden effizient zusammenarbeiten. Positiv ist, dass die „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ des Zolls um 1600 Planstellen aufgestockt werden soll – wegen der anspruchsvollen Ausbildung der Kontrolleure wird man alle Stellen aber erst in einigen Jahren besetzen können. Daher sollte überlegt werden, wie auch kurzfristig die Kontrollen ausgeweitet werden können. Schließlich wird es darum gehen, für eine höhere Akzeptanz des Mindestlohns bei den mehrheitlich immer noch skeptischen Vertretern der Wirtschaft zu sorgen. In Großbritannien organisiert die Low Pay Commission (LPC), die sich aus Vertretern von Gewerkschaften, Arbeitgebern und der Wissenschaft zusammensetzt, neben ihrer eigentlichen Aufgabe, die jährliche Anpassungshöhe des Mindestlohns vorzuschlagen, einen breiten gesellschaftlichen Dialog über die Umsetzung des Mindestlohns. Dies kann ein Modell für Deutschland sein. So könnten im Rahmen von Branchendialogen mit Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertretern die besonderen Probleme einzelner Branchen bei der Umsetzung des Mindestlohns erörtert und Lösungen gefunden werden. 

MEHR INFORMATIONEN

Thorsten Schulten u.a.: Umsetzung und Kontrolle von Mindestlöhnen. Europäische Erfahrungen und was Deutschland von ihnen lernen kann. Studie im Auftrag der G.I.B. – Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung in NRW, http://bit.ly/15xj9R4

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