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HBS Böckler Impuls

Hartz IV: In der Wiederholungsschleife

Ausgabe 17/2014

Gut fünfzehn Millionen Menschen haben schon einmal Hartz IV bezogen. Jeder Zweite, der in die Grundsicherung fällt, findet nach weniger als einem Jahr wieder hinaus. Das heißt aber nicht, dass Bedürftigkeit ein flüchtiges Phänomen ist.

Sammelbecken oder Durchlauferhitzer? Welches der beiden Bilder das Hartz-IV-System besser beschreibt, haben Lena Koller-Bösel, Torsten Lietzmann und Helmut Rudolph vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) untersucht.* Schließlich lässt sich der Erfolg von Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik nicht allein anhand der Gesamtzahlen beurteilen: Würde es sich bei den derzeit rund sechs Millionen Hartz-IV-Beziehern vor allem um Menschen handeln, die nur kurzzeitig auf Hartz IV angewiesen sind und den Bezug bald wieder verlassen können, wäre dies weniger problematisch, als wenn mit dem Grundsicherungsbezug üblicherweise ein dauerhafter Abstieg verbunden wäre.

Anhand verschiedener Datensätze der Bundesagentur für Arbeit haben die Wissenschaftler rekonstruiert, wie sich die Gruppe der Bedürftigen im Zeitverlauf verändert. Der Untersuchungszeitraum reicht vom Inkrafttreten der vierten Hartz-Reform 2005 bis zum Jahr 2012. Erste Erkenntnis: Rund 1,35 Millionen Menschen waren während der gesamten achtjährigen Zeitspanne ohne Unterbrechung auf Hartz IV angewiesen.

Die übrigen 4,8 Millionen Hartz-IV-Empfänger der ersten Stunde konnten nach und nach die Grundsicherung verlassen – zumindest vorübergehend. Insgesamt zeige die Bestandsstatistik aber, „dass lange Leistungsperioden von mehr als zwölf Monaten den Leistungsbezug prägen“, schreiben die IAB-Forscher. Betrachtet man dagegen nicht den Bestand, sondern die Zahl der Hartz-IV-Bezugsperioden, so entsteht ein etwas anderer Eindruck: In 48 Prozent der Fälle dauerte der Grundsicherungsbezug weniger als ein Jahr.

Offenbar gibt es in der Grundsicherung also beides: einen großen Bestand an mehr oder weniger verfestigter Armut und viel Bewegung an den Rändern. Einerseits wird der „monatliche Bestand von Langzeitbeziehern geprägt“, andererseits wird Hartz IV auch relativ häufig nur für kürzere Zeiträume in Anspruch genommen.

Auch wenn die Abhängigkeit von Hartz IV oft schon nach einigen Monaten wieder endet, lasse sich daraus aber nicht schließen, dass schwierige Lebenslagen für die Betroffenen nun kein Thema mehr sind, betonen Koller-Bösel, Lietzmann und Rudolph. Denn meist handelt es sich nur um Unterbrechungen des Leistungsbezugs. So hatten fast zwei Drittel derjenigen, die 2012 einen Hartz-IV-Antrag stellen mussten, in den Vorjahren schon einmal von Grundsicherung gelebt. 84 Prozent aller Leistungsempfänger, die im Dezember des Jahres 2012 Grundsicherung bezogen, bekamen insgesamt schon wenigstens zwei Jahre lang Hartz IV. „Langzeitiger Leistungsbezug“ geht den Forschern zufolge nicht zwangsläufig mit langer Arbeitslosigkeit, sondern häufig mit einem Wechsel „zwischen Arbeitslosigkeit, nicht bedarfsdeckender Erwerbstätigkeit oder anderen Lebenslagen einher“.

Neue Jobs sind meist nicht von Dauer, in fast der Hälfte der Fälle ist nach weniger als sechs Monaten wieder Schluss. Jede zweite Stelle, die ein Hartz-IV-Empfänger angenommen hat, wirft nicht genug Geld ab, um auf Leistungen des Jobcenters verzichten zu können, was neben der Bezahlung natürlich auch mit der Familiengröße und dem Arbeitsumfang zu tun haben kann. Jedenfalls gelingt vielen keine „nachhaltige Überwindung der Bedürftigkeit“. Und dies könne „in den meisten Fällen nicht den Individuen zugeschrieben werden“, urteilen die IAB-Experten.

  • Für viele beginnt die Hartz-IV-Mühle stets von Neuem. Zur Grafik
  • Auf Grundsicherung sind keineswegs nur Arbeitslose angewiesen. Zur Grafik

 

Lena Koller-Bösel, Torsten Lietzmann, Helmut Rudolph: Bestand und Turnover in der Grundsicherung, in: WSI-Mitteilungen 6/2014

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