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Magazin Mitbestimmung

Soziologie: Keine Miniaturausgabe der Belegschaft

Ausgabe 10/2014

Wer denkt, dass der Betriebsrat ähnlich zusammengesetzt ist wie der Mitarbeiter-Pool, liegt falsch. Die Zusammensetzung der Gremien folgt anderen Regeln. Von Susanne Kailitz

In der Theorie ist die Sache klar: Da repräsentiert der Betriebsrat die Belegschaft. Im Betriebsverfassungsgesetz heißt es, das Gremium solle sich „möglichst aus Arbeitnehmern der einzelnen Organisationsbereiche und der verschiedenen Beschäftigungsarten der im Betrieb tätigen Arbeitnehmer zusammensetzen“. Doch sind Betriebsräte wirklich Miniaturausgaben der Gruppe von Menschen, die sie vertreten – so, wie es in den 50er Jahren einmal gedacht war? Nein, sagen Ralph Greifenstein und Leo Kißler. Die beiden Sozialwissenschaftler von der Universität Marburg haben für ihre Studie „Wen Betriebsräte repräsentieren“, die gerade bei edition sigma erschienen ist, drei ganz unterschiedliche Betriebsratsgremien unter die Lupe genommen und kommen zu dem klaren Schluss: Betriebsräte sind keine Miniaturausgaben der Belegschaft, sie repräsentieren sie „politisch, aber nicht sozial“.

Drei Strukturmerkmale haben die Forscher untersucht: den Frauenanteil, den Anteil gewerkschaftlich Unorganisierter sowie die Altersstruktur der Betriebsräte. Und das in drei Unternehmen: einer ostdeutschen Klinik, die zu einem privaten Klinikkonzern gehört, im Mittelbetrieb eines Pharmaunternehmens und in einem Großbetrieb der Elektroindustrie eines Technologiekonzerns. Zumindest in diesen drei Unternehmen spiegeln die drei befragten Gremien die Belegschaften nicht wirklich wider. 

Zu interessanten Befunden kommt die Untersuchung, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde, aber auch da, wo es um die Repräsentation einzelner Betriebsteile und Qualifikationsgruppen geht. Ihre Analysen stützen die Autoren mit Zitaten befragter Betriebsräte, die belegen, dass hier nicht nur trockene Forschungsergebnisse aufgetischt werden, sondern Dinge, die in der täglichen Arbeit der Betriebsräte eine bedeutende Rolle spielen. So kommt es durch die Verberuflichung und Professionalisierung der Betriebsratsgremien zu einer Überalterung der Räte: Wer einmal gewählt wurde und sich eingearbeitet hat, stellt sich auch wieder zur Wahl und wird aufgrund seiner großen Erfahrung auch wiedergewählt. 

Damit bleibt zwar viel Know-how im Gremium, es wird jungen Arbeitnehmern aber tendenziell schwergemacht, sich zu behaupten und die speziellen Belange jüngerer Arbeitnehmer zu vertreten. Zudem scheuen viele von denen davor zurück, sich in der Arbeitnehmervertretung zu engagieren, weil insbesondere diejenigen mit befristeten Verträgen befürchten, sich dadurch die Chancen auf Weiterbeschäftigung zu verbauen. Diese Entwicklung führe zu einem hohen Altersschnitt der Gremien – und zu der Frage, „ob die Zusammensetzung des Betriebsrats die Interessenstruktur der Belegschaft auch in der Zukunft repräsentieren wird“. Gleichzeitig sorgt das Zusammentreffen von Alten und Jungen aber auch für Spannungen. So sagt ein jüngerer Betriebsrat der Klinik: „Zwischen jungen und älteren Betriebsratsmitgliedern gibt es unterschiedliche Meinungen. Bei den jungen Betriebsräten (…) ist es so, dass wir manchmal schon sehr kämpferisch sind und vorpreschen mit bestimmten Sachen. Die Älteren bringen aber eine gewisse Erfahrung mit und sagen: Das muss schon alles ganz ordentlich vorbereitet werden, sonst laufen wir gegen die Wand.“ 

Unterschiedliche Interessen liegen aber nicht nur in unterschiedlichen Altersklassen begründet. In dem Pharmaunternehmen, das die Forscher untersucht haben, ist eine „Akademisierung“ des Betriebsrats zu beobachten. Deren Wurzeln liegen in der spezifischen Geschichte des Unternehmens und seiner Vergangenheit als Forschungsinstitut. Obwohl der hohe Akademikeranteil durch die Einstellung von Fachkräften im Produktionsbereich gesenkt wurde, spiegelt sich der Anteil von Produktionsmitarbeitern noch nicht im Betriebsrat. Erst langsam wachse deshalb das Verständnis für die Interessen derjenigen, die etwa im Schichtbetrieb arbeiten, sagt eine junge Betriebsrätin. „Wir haben jetzt Betriebsratsmitglieder, die in Schicht arbeiten“, das bringe „mehr Verständnis“. Doch sei es schwierig, Schichtarbeiter für die Betriebsratsarbeit zu gewinnen. 

Auch im Bereich Montage und Produktion sei es schwer, genug Kandidaten zu finden. Um dann als Betriebsrat die Interessen der Belegschaft wiederzugeben, fehle „teilweise der Input“.

Und den Betriebsräten des Elektrogroßbetriebs macht es zu schaffen, dass sie sich in einer „Zwitterstellung“ befinden, weil sie sowohl die Interessen der Beschäftigten wie auch des Unternehmens im Blick haben. Weil ihre Belegschaft zudem nur schwach organisiert ist, fällt es ihnen überdies schwer, „zwischen den lokalen, eher betriebsegoistischen und den überbetrieblichen gewerkschaftspolitischen Zielen zu vermitteln“. Dies ist ein Befund, der die Gewerkschaften interessieren dürfte: Besonders in Betrieben mit vielen hoch qualifizierten Beschäftigten seien überdurchschnittlich viele unorganisierte Betriebsräte anzutreffen, schreiben Greifenstein und Kißler, „nach wie vor gilt die Gewerkschaft für Beschäftigte mit akademischer Sozialisation als wenig attraktiv“. 

Dass die Idee, ein Gremium zu haben, das stark ist, weil man gemeinsam kämpft, in der Praxis oft schwer zu leben ist, merkt man auch in der Klinik. Man sei „ziemlich resigniert“, was die Vertretung der Ärzte angehe, sagt ein Betriebsrat, „da hat kaum noch jemand Interesse, für diese anderen Duckmäuser den Kopf hinzuhalten“. Ärzte seien tendenziell mehr darauf ausgelegt, sich selbst durchs Leben zu kämpfen, und wollten „sich nicht von einer Gewerkschaft vertreten lassen“.

Stefan Lücking, Referatsleiter in der Abteilung Forschungsförderung, der die Studie bei der Hans-Böckler-Stiftung betreut hat, ist sich sicher, dass sie bei der Betriebsratsarbeit helfen kann. „Hier ist zum ersten Mal wirklich untersucht worden, wen Betriebsräte wirklich repräsentieren“, sagt er. „Das sind Erkenntnisse, die man gut umsetzen kann, wenn es künftig um die Aufstellung von Wahllisten geht.“ Bringt bessere Repräsentanz automatisch bessere Mitbestimmung? Eine solche Pauschalierung wäre wohl angreifbar. Denn oft macht das persönliche Engagement den Unterschied. Deshalb entscheiden keine Algorithmen, sondern immer noch die Wähler.

MEHR INFORMATIONEN

Ralph Greifenstein/Leo Kißler: Wen Betriebsräte repräsentieren. Sozialprofil von Interessenvertretungen und Belegschaftsstrukturen: Spiegelbild oder Zerrbild? Forschung aus der Hans-Böckler-Stiftung, Band 166. Berlin, edition sigma, 2014. 150 Seiten, 14,90 € (lieferbar als Print oder E-Book)

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