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Magazin Mitbestimmung

Recht: Unternehmen auf die Anklagebank?

Ausgabe 10/2014

Braucht Deutschland ein spezielles Strafrecht für Unternehmen? Der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty meint ja – und hat dafür jede Menge Schelte bezogen. Auch bei den Gewerkschaften stößt sein Gesetzentwurf auf Bedenken. Von Joachim F. Tornau

Pranger. Sippenhaft. Todesstrafe. Wenn man den schärfsten Kritikern folgt, dann steht Deutschland vor einem Rückfall in düsterste Zeiten. Dabei ist, was manchen Juristen und Wirtschaftsvertreter die Erinnerung an mittelalterliche oder gar nationalsozialistische Unrechtsordnungen heraufbeschwören lässt, zunächst einmal eine ganz einfache Idee: Künftig sollen bei Wirtschaftsstraftaten auch Unternehmen vor Gericht stehen und bestraft werden können, nicht mehr nur einzelne Mitarbeiter. So hat es NRWs Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) vor einem Jahr vorgeschlagen und einen detaillierten Gesetzentwurf vorgelegt. Und auch die schwarz-rote Bundesregierung will das Thema „prüfen“. So steht es, beschränkt allerdings auf multinationale Konzerne, im Koalitionsvertrag. 

Im Herbst möchte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) das Anliegen auf die Agenda setzen. Geplant ist zunächst ein Symposion mit Vertretern aus Wissenschaft und Justiz. Die Vorschläge aus dem Hause Kutschaty werden dabei, der Flut ablehnender Stellungnahmen zum Trotz, im Zentrum der Debatte stehen: „NRW hat mit seinem Gesetzentwurf wichtige Denkanstöße für die weitere Diskussion geliefert“, erklärt eine Sprecherin des Bundesministers. Ähnlich sahen es im vergangenen Jahr bereits die Justizminister der Länder, als sie den Vorstoß aus Düsseldorf auf ihrer Herbstkonferenz mehrheitlich begrüßten.

ORGANISIERTE UNVERANTWORTLICHKEIT?

Bislang können bei Wirtschaftskriminalität in Deutschland – anders als in den meisten EU-Staaten – nur die konkreten Täter strafrechtlich verurteilt werden. Also etwa der Manager, der bestochen hat. Der Sicherheitschef, der Bespitzelungen anordnete. Der Personalleiter, der Betriebsratswahlen verhindert hat. Oder auch der Arbeiter, der giftige Chemikalien ins Grundwasser gelangen ließ. „Bauernopfer“ nennt das Minister Kutschaty. Und oftmals gebe es wegen „organisierter Unverantwortlichkeit“ nicht einmal die: Lasse sich aufgrund undurchsichtiger Unternehmensstrukturen kein Verantwortlicher feststellen, dann bleibe die Tat gänzlich unbestraft.

Schlimmstenfalls mit Bußgeldern wegen Ordnungswidrigkeiten müssen Unternehmen dann noch rechnen. Was nach Knöllchen für Falschparker klingt, kann sich durchaus zu stolzen Beträgen summieren: Siemens wurde für seine Korruptionsdelikte mit 395 Millionen Euro zur Kasse gebeten, und erst kürzlich akzeptierte die Schweizer Großbank UBS eine Zahlung von rund 300 Millionen Euro wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Trotz dieser spektakulären Millionenzahlungen hält der nordrhein-westfälische Justizminister das System für ungeeignet. „Von wenigen Leuchtturmverfahren abgesehen, funktioniert das Ordnungswidrigkeitenrecht nicht wirklich gut“, sagt er. Erstens werde es in jedem Bundesland anders angewandt, zweitens gebe es ein zu großes Ermessen der Staatsanwaltschaften, ob sie aktiv werden wollen, und drittens seien die möglichen Sanktionen zu harmlos, um abschreckend zu wirken. Zumal die Höhe der Bußen zumeist zwischen Ermittlungsbehörde und Unternehmen ausgehandelt wird. Mit „mittelalterlichem Ablasshandel“ vergleicht das der Minister – und dreht den Spieß der historischen Vergleiche damit kurzerhand um.

Mit dem „Gesetz zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden“ will Kutschaty all das lösen. Es soll greifen, wenn Entscheidungsträger – das können Vorstände, Aufsichtsräte oder Geschäftsführer sein – im Rahmen ihrer Tätigkeit vorsätzlich oder fahrlässig gegen Strafgesetze verstoßen. Aber auch, wenn sie Verstöße anderer durch eine Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflichten erleichtert haben. Mit anderen Worten: Das Gesetz gilt bei nahezu jeder Straftat innerhalb eines Unternehmens oder Verbands. Und sobald ein Anfangsverdacht vorliegt, sollen die Staatsanwaltschaften ermitteln müssen. Schluss mit unberechenbaren Ermessensentscheidungen also.

WIRKSAME SANKTIONEN

Als Sanktionen sieht der Gesetzentwurf neben Geldstrafen auch den zeitweiligen Ausschluss von Subventionen und staatlichen Aufträgen sowie die öffentliche Bekanntmachung des Urteils vor – was Kutschatys Kritiker von „Pranger“ sprechen lässt. Dass ein Unternehmen bei wiederholten Straftaten sogar aufgelöst werden kann, brandmarken sie als „Todesstrafe“. Dabei betont der Minister stets, dass das nur die Ultima Ratio sein kann. Etwa wenn eine GmbH allein deshalb gegründet wurde, um Menschenhandel zu betreiben.

Die Geldstrafen sollen in Tagessätzen berechnet werden, deren Höhe sich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit orientiert. Höchstmaß: ein Jahresertrag oder bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes. Strafmildernd auswirken kann sich dabei die Einführung von Compliance-Programmen, mit denen die Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften in Zukunft sichergestellt werden soll. Und auch eine Strafaussetzung zur Bewährung kommt infrage – mit der Auflage, für strukturelle Veränderungen zu sorgen oder Schadenswiedergutmachung zu betreiben. Bei den derzeitigen Bußgeldern werde tätige Reue gar nicht belohnt, erklärt der Minister. „Das ist nicht sinnvoll, wenn man erreichen will, dass Prävention zum allgemeinen Bestandteil von Unternehmenskultur wird.“

GROSSE KRITIKER-PHALANX

Die Kritiker des Entwurfs reichen von Arbeitgeber- und Unternehmensverbänden über Anwaltsorganisationen bis hinein in die SPD. Und nicht alle machen es sich dabei so leicht wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der schlicht kundtat: Unternehmen hätten „schon aus Reputationsgründen ein originäres Eigeninteresse, Rechtsverstöße zu vermeiden“. Die Stiftung Familienunternehmen warnte vor Doppelbestrafungen, weil sich Unternehmenssanktion und Verurteilung des Verantwortlichen in dem NRW-Entwurf nicht ausschließen. Das aber träfe bei inhabergeführten Firmen häufig dieselbe Person. In der juristischen Diskussion wiederum steht die Schuldfrage im Mittelpunkt: Zum einen, heißt es, könnten sich nach dem deutschen Rechtsverständnis nur Individuen schuldig und damit strafbar machen. Zum anderen werde die angebliche „Verbandsschuld“ viel zu nonchalant definiert, sie bedeute eine fast grenzenlose Haftung für das Fehlverhalten von Mitarbeitern. „Mit dem in der Verfassung verankerten Schuldprinzip“, befand der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer, „ist der Gesetzentwurf unvereinbar.“ 

Fürsprecher zu finden ist dagegen schwer. Die Antikorruptionsorganisation Transparency International lobte Kutschatys Vorstoß als „wichtigen und lange überfälligen Schritt“. Ansonsten regiert Skepsis. Selbst aus seiner eigenen Partei bekommt der Düsseldorfer Ressortchef Gegenwind: Baden-Württembergs Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid lehnt die Pläne als „verheerend“ für den Mittelstand ab. Zudem sei „völlig unklar, wen man wirklich trifft, sobald man ein Unternehmen strafrechtlich belangt“, sagte der SPD-Politiker zu Jahresbeginn in einem Interview. „Womöglich werden die Arbeitnehmer mit Jobverlust bestraft.“

Was polemische Kritiker an „Sippenhaft“ denken lässt, treibt auch die Gewerkschaften um. Die Stellungnahme, die der DGB NRW zum Gesetzentwurf abgab, fiel nur verhalten positiv aus: Die strafrechtliche Sanktionierung von Unternehmen sei zwar „grundsätzlich zu begrüßen“. Doch es bestehe die Gefahr, dass sich verurteilte Firmen die Strafzahlungen durch Lohnkürzungen oder Personalabbau von den Beschäftigten zurückzuholen versuchen. 

Noch kritischer sah die Gewerkschaft einen anderen Punkt: dass das geplante Gesetz nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Verbände, Vereine und Parteien gelten soll – und für Gewerkschaften. Sie alle müssten sich aufwendige Compliance-Systeme geben, um das Risiko einer Bestrafung zu verringern. Und selbst dann bestünde noch eine „hohe Rechtsunsicherheit“, heißt es in dem DGB-Papier: Was, beispielsweise, passiert, wenn Gewerkschaftsmitglieder auf einer Demonstration Straftaten begehen? Kann dann auch die Gewerkschaft selbst bestraft werden, weil sie die Tat nicht verhindert oder den Täter nicht den Behörden ausgeliefert hat?

FOLGEN FÜR AUFSICHTSRÄTE?

Die Debatte, ob Deutschland ein Unternehmensstrafrecht braucht und wie es ausgestaltet sein müsste, steht bei den Gewerkschaften noch am Anfang. Auch Lasse Pütz, Wirtschaftsrechtler der Hans-Böckler-Stiftung, hat sich noch keine abschließende Meinung gebildet. „Ich kann verstehen, warum das angeleiert wurde“, sagt er. Und handwerklich sei der Gesetzentwurf gut gemacht. Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat aber könnte damit Ungemach drohen: Es sei nicht auszuschließen, dass sie in Regress genommen werden, wenn Pflichtverletzungen des Aufsichtsrats zur Verurteilung des Unternehmens geführt haben. 

Außerdem, meint Pütz, fehlten flankierende Gesetze. So werde der geforderte Compliance-Ausbau auch Whistleblowing anregen. An gesetzlichen Regelungen für den Umgang mit Tippgebern mangele es jedoch ebenso wie an einem ausreichenden Arbeitnehmerdatenschutz. Weil Unternehmen Aufklärungshilfe leisten müssten, wenn sie sich vor Strafe schützen wollen, werde der Druck auf die Beschäftigten weiter wachsen. Bei Befragungen durch ihren Arbeitgeber dürften Mitarbeiter bislang weder die Aussage verweigern noch müsse in allen Fällen ein Anwalt zugelassen werden. „Die Rechte von Verdächtigen bei unternehmensinternen Ermittlungen müssen geregelt werden“, fordert Pütz. „Zurzeit gilt noch der Grundsatz: Wer schweigt, wird gekündigt, und wer spricht, dem droht die strafrechtliche Verurteilung.“ 

ÖSTERREICHISCHE ERFAHRUNGEN

In Österreich stoßen diese Bedenken auf Unverständnis. Die Arbeiterkammern, die die Interessen der Arbeitnehmer in der Alpenrepublik zusammen mit den Gewerkschaften vertreten, gehörten zu den Vorkämpfern des dortigen Unternehmensstrafrechts, das bei vielen Passagen in Kutschatys Gesetzentwurf Pate stand. Er halte das 2006 eingeführte „Verbandsverantwortlichkeitsgesetz“ nach wie vor für richtig, sagt Arbeiterkammer-Jurist Werner Hochreiter. „Bis dahin galt überall: Den Letzten beißen die Hunde.“ Schlief ein Lastwagenfahrer am Steuer ein und verursachte einen Unfall, wurde nur er bestraft – und nicht das Unternehmen, das ihn zur Überschreitung der Lenkzeiten angehalten hatte. Mit dem neuen Gesetz sollte sich das ändern. Und der Druck auf die Beschäftigten sinken.

In der Praxis, räumt Hochreiter ein, hakt das allerdings noch. In den ersten fünf Jahren nach Inkrafttreten, so ergab eine Evaluation im Auftrag der österreichischen Bundesregierung, wurden gerade einmal rund 350 Verfahren geführt. Und nur 17 davon endeten mit einer Verurteilung. „Die Staatsanwälte haben mit dem neuen Denken noch massive Probleme“, sagt Hochreiter. „Es ist für sie wahnsinnig schwierig, das Gewirr von geschriebenen und ungeschriebenen Sorgfalts- und Organisationspflichten in einem Unternehmen ohne Hilfestellung von einem Insider zu durchdringen.“ Deshalb würden sie sich meist leider immer noch auf die Verfolgung von einzelnen Arbeitnehmern beschränken. „Das ist aber kein Mangel des Gesetzes“, sagt der Arbeiterkammer-Experte. Sondern eher ein Problem mangelnder Kooperation mit den zuständigen Verwaltungsbehörden.

Die Sorge, dass ein Unternehmen durch eine Verbandsstrafe gar in die Insolvenz gezwungen werden könnte, nennt Hochreiter „lächerlich“. Dies Gespenst sei auch in Österreich an die Wand gemalt worden. „Aber so hoch sind die Strafen einfach nicht“, erklärt er. „Der größere Schaden für ein Unternehmen tritt ein, wenn das Verfahren öffentlich wird. Das ist das größte Drohpotenzial.“

MEHR INFORMATIONEN

 Nordrhein-westfälischer Gesetzentwurf für ein Unternehmensstrafrecht

Walter Fuchs u.a.: Generalpräventive Wirksamkeit, Praxis und Anwendungsprobleme des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes (VbVG). Eine Evaluierungsstudie. Wien (Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie) 2011

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