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HBS Böckler Impuls

Gastarbeiter: Arm nach harter Arbeit

Ausgabe 13/2014

Mithilfe der Gastarbeiter gelang es der deutschen Wirtschaft in den 1960er-Jahren, hohe Wachstumsraten bei stabilen Preisen und Gewinnen zu erzielen. Heute sind sie im Rentenalter – und häufig arm.

Vor 50 Jahren, am 10. September 1964, begrüßte die Bundesrepublik Armando Rodrigues de Sá als millionsten Gastarbeiter. Ein Jahrzehnt später lebten in Westdeutschland bereits knapp vier Millionen Ausländer. Zunächst stellten die Italiener die größte Gruppe, später rückten die Jugoslawen und dann türkische Gastarbeiter an die Spitze. Ein großer Teil lebte in Baracken und eng gedrängt in Wohnheimen. Die große Mehrheit der zugewanderten Arbeitskräfte war in den untersten Lohngruppen beschäftigt. Nur weil sie meist in überdurchschnittlich zahlenden Großunternehmen arbeiteten, Schwerstarbeit akzeptierten und viele Überstunden machten, erreichten sie Anfang der 1970er-Jahre im Schnitt Bruttogehälter, die nur wenig unter denen der Deutschen lagen. Auch heute geht es in Deutschland verbliebenen früheren Gastarbeitern erheblich schlechter als der gleichaltrigen deutschen Bevölkerung. Das zeigt eine WSI-Studie von Jutta Höhne, Benedikt Linden, Eric Seils und Anne Wiebel.

Richtig schwer wurde es nach dem Anwerbestopp: Der Niedergang der Montanindustrie betraf zuerst die Jobs der Gastarbeiter. Die Arbeitslosenquote der Ausländer stieg über die der Deutschen. Gastarbeiter besetzten immer noch die am schlechtesten bezahlten Stellen, arbeiteten aber seltener in Großbetrieben. Die Möglichkeit, niedrige Stundenlöhne durch Mehrarbeit auszugleichen, entfiel häufig. All dies schlug sich nicht nur im laufenden Einkommen nieder, sondern auch in geringen Rentenansprüchen.

So kommen aus der Türkei zugewanderte Männer im Schnitt nur auf eine gesetzliche Rente von 742 Euro, während Deutsche immerhin 1.109 Euro im Monat beziehen. Noch drastischer zeigen sich die sozialen Unterschiede nach der Analyse der Forscher beim Blick auf die Armutsquoten. Von den Deutschen ab 65 Jahren gelten 12,5 Prozent als armutsgefährdet. Unter Gastarbeitern im Rentenalter sind dagegen 41,8 Prozent von Armut bedroht, bei türkischstämmigen Migranten sogar fast 55 Prozent. Merkliche Unterschiede zwischen Einheimischen und Zuwanderern haben die Wissenschaftler auch bei der Wohnsituation festgestellt. Zwar hat sich ihre Lage im Laufe der Jahrzehnte deutlich verbessert, dennoch leben sie nach wie vor unter schlechteren Bedingungen als die Deutschen. Sie verfügen wesentlich seltener über Wohneigentum und müssen, weil sie meist in westdeutschen Ballungsgebieten wohnen, überdurchschnittliche Mieten zahlen. „Die ehemaligen Gastarbeiter leben heute besser als zur Zeit der Anwerbung. Gesellschaftlich sind aber viele ganz unten geblieben“, urteilt WSI-Forscher Eric Seils.

 

  • Besonders türkischstämmige Gastarbeiter stehen im Alter häufig schlecht da. Zur Grafik

Jutta Höhne, Benedikt Linden, Eric Seils, Anne Wiebel: Die Gastarbeiter – Geschichte und aktuelle soziale Lage (pdf), WSI Report, Nr. 16, September 2014.

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