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HBS Böckler Impuls

Arbeitsbedingungen: Kliniken: Viele Experimente, kaum Besserung

Ausgabe 13/2014

In deutschen Krankenhäusern fehlen zunehmend Fachkräfte. Doch trotz einiger Veränderungen bei Organisation und Arbeitsteilung haben sich die Arbeitsbedingungen oft nicht verbessert.

Die Zeichen der Knappheit sind nicht zu übersehen: 37 Prozent der Krankenhäuser haben nach einer aktuellen Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts akute Probleme, genug Pflegefachkräfte zu finden. Drei von vier Einrichtungen berichten von Schwierigkeiten, wenn es um die Einstellung von Ärzten geht. Nach knapp zwei Jahrzehnten, in denen Stellen gestrichen wurden, müssen Deutschlands Krankenhäuser einiges für ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt tun. Wie sich vor diesem Hintergrund die Arbeitsorganisation und Arbeitsbedingungen entwickeln, haben Josef Hilbert, Michaela Evans, Christoph Bräutigam und Fikret Öz vom Institut Arbeit und Technik (IAT) der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen untersucht. Das von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Forschungsprojekt stützt sich auf eine umfangreiche Online-Befragung, an der sich mehr als 2.500 Krankenhausbeschäftigte beteiligt haben: neben Pflegekräften – sie stellen die größte Gruppe – und Ärzten auch Physiotherapeuten, Sozialarbeiter und medizinische Fachangestellte. Die Befragung ist nicht repräsentativ, vermittelt nach Einschätzung der Wissenschaftler aber einen guten Eindruck von der Situation in deutschen Krankenhäusern.

Zentrales Ergebnis: Auf vielen Stationen wurden in letzter Zeit Organisation und Arbeitsteilung verändert. Beispielsweise übernahmen Pflegekräfte manche Aufgaben, die früher Ärzten vorbehalten waren. Gesundheitsexperten versprechen sich von grundlegenden, systematischen Reformen der Arbeitsteilung eine Entlastung der Beschäftigten und eine bessere Versorgung der Patienten. Und viele Krankenhausmanager geben in Umfragen an, schon einiges für bessere Arbeitsbedingungen getan zu haben. Was in den Kliniken tatsächlich geschehen ist, erfüllt diese Anforderungen aber vielfach offenbar nicht: Die Sicht der Beschäftigten lasse „starke Zweifel daran aufkommen, dass diese Veränderungen erfolgreich sind“, schreiben die Wissenschaftler des IAT. Dabei unterschieden sich die verschiedenen Berufsgruppen zwar im Ausmaß ihrer Kritik, sähen aber insgesamt die gleichen Probleme. So widersprechen rund 78 Prozent der Pflegenden, mehr als 63 Prozent der Ärzte und etwa 70 Prozent der übrigen Befragten der Aussage: „Meine Arbeitsbedingungen haben sich in den letzten fünf Jahren verbessert“. Und mehr als 50 Prozent der befragten Krankenhausbeschäftigten glauben nicht, dass Patienten von den bisher erfolgten Veränderungen der Aufgabenverteilung profitieren.

Weniger Stellen, mehr Arbeit. Rund 50.000 Stellen sind seit Mitte der 1990er-Jahre im Pflegedienst der Krankenhäuser gestrichen worden – bei steigenden Patientenzahlen und komplexeren Krankheitsbildern. Die in der IAT-Studie befragten Krankenschwestern und -pfleger beschreiben die damit verbundene Arbeitsverdichtung auch für die jüngste Zeit: 71 Prozent geben an, auf ihrer Station seien Pflegestellen abgebaut worden. Lediglich 16 Prozent können von neuen Arbeitsplätzen berichten und nur knapp 12 Prozent geben an, dass Aufgaben in der Pflege reduziert worden seien. Auch nach Einschätzung der Ärzte sind in ihrem Arbeitsbereich eher Stellen gestrichen als geschaffen worden. Zudem berichten fast 37 Prozent, dass auf ihrer Station Mediziner als Leiharbeiter beschäftigt würden.

Zu wenig Zeit fürs Wesentliche. Im Arbeitsalltag erleben viele Beschäftigte aus allen Berufsgruppen nach wie vor permanente Zeitknappheit. Knapp 60 Prozent sagen, sie hätten nicht genug Zeit für ihre Arbeit, weitere 27 Prozent beantworten die Frage mit „teils-teils“. Mehr als die Hälfte der befragten Ärzte und Pflegekräfte kann zumindest mehrmals in der Woche nicht die vorgesehenen Pausen machen. Fast 83 Prozent aller Beschäftigten beobachten, dass auf ihrer Station trotz der Reorganisation wichtige Aufgaben vernachlässigt würden. Rund 60 Prozent der Pflegenden und rund die Hälfte der Mediziner geben an, dass sie oder ihre Kollegen nicht genug für die Information, Anleitung und Beratung von Kranken und deren Angehörigen tun können. Jeweils knapp die Hälfte der Befragten findet, dass die Ausbildung auf ihrer Station zu kurz komme. Ein Drittel der Pflegenden und etwa jeder fünfte Mediziner spricht von Defiziten bei der Dokumentation.

Gleichzeitig, konstatieren die Forscher, liege bei den Pflegekräften „ein erheblicher Teil des Aufgabenspektrums abseits der Arbeit mit Patientinnen und Patienten“. Jeweils rund 40 Prozent der Pflegenden geben an, dass sie auch für Transporte, Botendienste, Reinigungsarbeiten, Verwaltung und hauswirtschaftliche Tätigkeiten eingesetzt werden – während sie mit ihren Kernaufgaben kaum nachkommen.

Verschiebung von Aufgaben, aber keine echte Reorganisation. Mehr als 78 Prozent der befragten Pflegenden haben nach eigener Angabe in den letzten Jahren Tätigkeiten vom ärztlichen Dienst übernommen. Pflegekräfte versorgen verstärkt Wunden, sie setzen Spritzen, legen Venenkanülen, verabreichen Medikamente zur Chemotherapie, kümmern sich um die Dokumentation. 47 Prozent bekamen darüber hinaus zusätzliche Verwaltungsaufgaben übertragen.

Zwar haben in etlichen Kliniken offenbar auch die Pflegedienste Aufgaben abgeben können. Der Anteil der Beschäftigten, die von solchen Entlastungen berichten, ist allerdings deutlich geringer: Knapp 44 Prozent der befragten Pflegekräfte tun das. Am häufigsten hat der Pflegedienst Mahlzeitenbestellungen, die Begleitung von Patienten im Krankenhaus, Boten- und Transportaufgaben sowie Reinigungsarbeiten abgeben können. Übernommen haben solche Tätigkeiten vor allem Beschäftigte in „Assistenzdiensten“ wie Servicehelferinnen, Stationsassistenten, Pflegehilfskräfte. Ein gutes Drittel der Befragten gibt an, dass derartige Dienste auf ihrer Station neu eingerichtet worden sind.

Doch auch wenn Verschiebungen in der Arbeitsteilung durchaus verbreitet sind – von effektiver Reorganisation könne keine Rede sein. Hilbert und seine Ko-Forscher sprechen von „Experimenten“, die die Praktiker auf den Stationen meist nicht überzeugten. Beispiel Pflegedienst: Dessen „Entlastung von patientenfernen Aufgaben“ sei „bei weitem noch nicht systematisch und flächendeckend umgesetzt“. Und wenn die Pflegekräfte Aufgaben und Verantwortung von Ärzten übernähmen, dann handele es sich oft nur um „Einzeltätigkeiten“ und nicht um zusammenhängende „Aufgabenkomplexe“. Die von Experten immer wieder geforderte „sachgerechte interdisziplinäre Kooperation der Berufe zur Verbesserung der Patientenversorgung“ komme dadurch kaum voran. Auch werde die Chance nicht genutzt, „die professionelle Rolle der Pflege im Krankenhaus zu stärken“ und damit den Beschäftigten eine Perspektive zu bieten, die auch ihre Arbeitszufriedenheit erhöhe. Dazu passt, dass die meisten Befragten angemessene Weiterbildungsmöglichkeiten vermissen: Nur knapp 17 Prozent der befragten Pflegekräfte sind zufrieden damit, wie ihr Arbeitgeber sie in der Fort- und Weiterbildung unterstützt.

Viele machen sich Sorgen um die Rente. Die Forscher vom IAT attestieren den Krankenhausbeschäftigten hohes Engagement. Trotzdem sehen sie insbesondere den Pflegebereich schlecht für eine Zukunft gerüstet, in der das Personalangebot schon wegen der demografischen Entwicklung zurückgeht. Während die Verantwortung der Beschäftigten wachse, blieben ihnen entsprechende Gestaltungsspielräume und Entscheidungsbefugnisse vorenthalten. In strategische Entscheidungen sehen sich viele Beschäftigte nicht hinreichend eingebunden – auch wenn diese ihren Arbeitsplatz unmittelbar betreffen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Bezahlung: In der IAT-Umfrage sagen knapp zwei Drittel der Pflegekräfte, sie würden gemessen an ihren Leistungen nicht angemessen bezahlt. Auch scheint problematisch, dass Qualifizierungsmaßnahmen vielfach nicht zu einer besseren Position und Vergütung führen. Laut WSI-Lohnspiegel verdienen Krankenschwestern bei einer 40-Stunden-Woche brutto durchschnittlich 2.513 Euro im Monat, ihre männlichen Kollegen kommen auf 2.742 Euro. Spezialisierte Operationsschwestern und -pfleger erhalten im Durchschnitt 3.247 und 3.533 Euro. Helferinnen und Helfer in der Krankenpflege müssen sich mit weniger als 2.000 Euro im Monat begnügen. Knapp die Hälfte der vom IAT befragten Pflegekräfte macht sich Sorgen, nicht genug zu verdienen, um später einmal eine auskömmliche Rente zu bekommen.

 

  • In deutschen Kliniken wird bei der Arbeitorganisation viel experimentiert. Doch eine deutliche Mehrheit der Beschäftigten sieht keine Verbesserung ihrer Arbeitsbedindungen. Zur Grafik
  • Gerade einmal 2513 Euro brutto verdient eine Krankenschwester in Vollzeit. Mehr als zwei Drittel der Pflegekräfte fühlen sich nicht leistungsgerecht bezahlt. Zur Grafik

Christoph Bräutigam, Michaela Evans, Josef Hilbert, Fikret Öz: Arbeitsreport Krankenhaus (pdf), Arbeitspapier der Hans-Böckler-Stiftung, Nr. 306, August 2014. 

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