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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Das ist ein Meilenstein“

Ausgabe 07+08/2014

BASF goes Europe: Vor sechs Jahren wurde mit der Umwandlung in eine Europäische Aktiengesellschaft die Beteiligung der Arbeitnehmer neu geregelt. Was hat es gebracht, fragen wir den Vorsitzenden des BASF-Europabetriebsrats. Mit Robert Oswald sprachen Cornelia Girndt und Margarete Hasel.

Robert Oswald, verraten Sie uns das Geheimnis der Mitbestimmung bei der BASF? 

Geheimnis? Da fällt mir Stephen Green ein, ein Topmanager, der bei uns im BASF-Aufsichtsrat war und jetzt britischer Handelsminister ist. Green nahm mich gleich nach seiner zweiten Sitzung beiseite und sagte: „Herr Oswald, ich spüre, es gibt irgendein Geheimnis, wie das hier läuft.“ Er meinte die Kultur, unseren Umgang miteinander. Gerade die ausländischen Anteilseigner merken, dass wir Arbeitnehmervertreter die Firma sehr gut kennen und eine Menge an Kompetenzen einbringen, die die Mitbestimmung eigentlich komplettieren. Man muss die Dinge offen ansprechen, das ist entscheidend für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens. 

Nun ist die BASF nicht irgendein Unternehmen, sondern der weltgrößte Chemiekonzern. Mit der SE wurde der Aufsichtsrat von 20 auf zwölf Sitze verkleinert. Das wurde damals, 2007, außerhalb der BASF-Welt eher kritisch gesehen. 

Wir sagten uns: Wenn schon dieser Schritt unvermeidlich ist, dann sollte die Qualität der Mitbestimmung erhalten bleiben, die gleiche Augenhöhe. Das spiegelt sich in der Besetzung der Aufsichtsratsausschüsse, die grundsätzlich paritätisch sind. Wir reden hier ja nicht über die Inhalte von Aufsichtsratssitzungen. Aber ich kann sagen: Die Qualität der Beratungsinhalte und der Mitbestimmung im Aufsichtsrat der BASF ist auf gleich hohem Niveau geblieben. 

Was ist neu beim SE-Aufsichtsrat der BASF?

Wir haben keinen leitenden Angestellten mehr im Aufsichtsrat. Und statt einem komplizierten Wahlverfahren konnten wir ein einfacheres – und ein europäisches dazu – zugrunde legen. Bei uns haben die 26 Vertreter des Eurobetriebsrats aus 22 Ländern das finale Recht, die sechs Vertreter der Arbeitnehmerseite für den Aufsichtsrat zu bestimmen.

Die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat wurde eher behutsam europäisiert mit Denise Schellemans, die alle Diversitätskriterien auf sich vereint: Frau, jung, christliche Gewerkschafterin im BASF-Werk Antwerpen. Die zwei externen Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat kommen aus den Reihen der deutschen Chemiegewerkschaft. Wie gelingt das? 

Die IG BCE hat das Vorschlagsrecht, gewählt werden sie aber vom Eurobetriebsrat. Wir haben im Aufsichtsrat drei betriebliche Vertreter aus Deutschland und eine aus Belgien. Das beruht schlicht auf den Zahlen, auf dem Gewicht der BASF in Deutschland. 

Bei der BASF ist also der Eurobetriebsrat das Gremium, das die Arbeitnehmer-Aufsichtsräte bestimmt. Kann man von daher sagen, dass die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat mit einem europäischen Mandat ausgestattet sind?

Ja, das sehe ich so. Unser hohes Potenzial an europäischer Arbeitnehmervertretung im Eurobetriebsrat, das setzt sich im Aufsichtsrat fort. Jedes der sechs Aufsichtsratsmitglieder sieht es als seine Aufgabe, die Position der europäischen Arbeitnehmervertretung – wie sie im EBR zum Ausdruck kommt – zu vertreten. Wir kennen die Firma mittlerweile auch in ihrer europäischen Dimension relativ gut. Aus dieser Sichtweise beraten wir den Vorstand. Das gilt für mich genauso wie für Denise Schellemans aus Belgien, die stellvertretende Vorsitzende im Eurobetriebsrat ist – wehrhaft und streitbar, das muss sie auch sein. Nein, die Mitbestimmung im Aufsichtsrat ist in so einer Konstruktion keine deutsche Nischenlösung, wie von Kritikern behauptet wurde. 

Der Eurobetriebsrat ist breit aufgestellt. Ist da so etwas wie eine europäische Identität im Entstehen?

Unsere Eurobetriebsratsarbeit macht allen Beteiligten deutlich: Mitbestimmung ist ein Wert an sich. Unsere europäischen Kolleginnen und Kollegen wissen mittlerweile sehr genau, dass in Deutschland mit den betriebsverfassungsrechtlichen Möglichkeiten, aber auch mit der Positionierung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ein Standing gegeben ist. Ein Standing, um Beteiligungen einzufordern und auch dem Unternehmen Dinge abzuringen, die man allein durch Campaigning und Lautstärke nicht erreicht. 

Der Betriebsratsvorsitzende Oswald hat 2010 seine Unterschrift gesetzt unter eine Standortsicherungsvereinbarung für das Stammwerk Ludwigshafen: Die BASF hat Investitionen bis zu neun Milliarden Euro zugesagt, die Betriebsräte haben krisenerprobte Arbeitszeitflexibilität zum Normalfall erklärt. So eine weitgehende Vereinbarung gibt es vermutlich nicht an anderen Standorten?

Okay, das gebe ich zu, so etwas ist in Ludwigshafen leichter zu machen, wo man einen großen Verbund hat mit 36 000 Arbeitnehmern. Gleichzeitig versuchen wir tatkräftig, die Arbeitnehmer an den europäischen BASF-Standorten zu unterstützen. Wir nutzen europäische Vermittlungsmöglichkeiten und ringen mit dem Unternehmen, möglichst alles zu tun für sozialverträgliche Lösungen. Es geht in unserer EBR-Arbeit wirklich darum, europaweit ein möglichst hohes Maß an BASF-Fingerprints zu verwirklichen. Das gelingt uns selbst an Standorten, an denen keine Arbeitnehmervertretungen existieren. Es ist in unserer SE-Beteiligungsvereinbarung geregelt, dass der Euro­betriebsrat auch dort eine aktive Rolle spielen kann. 

Hat sich also die mit der SE verbundene Hoffnung von Michael Vassiliadis erfüllt? Er sagte vor sechs Jahren: Wir möchten die Mitbestimmung, die Arbeitnehmerbeteiligung, an jeden Standort in der EU bringen, das ist unser großes Ziel, verbunden mit der Beteiligungsvereinbarung. 

Unser Europabetriebsrat ist gegenüber dem früheren Euro-Dialog wirklich ein erheblicher Fortschritt, ein Meilenstein. Wir haben eine viel höhere Frequenz von Interaktionen und Austausch – tagen mindestens dreimal im Jahr, manchmal auch alle zwei Monate. Da entstehen Kontinuität und Normalität im Zusammenwirken der europäischen Arbeitnehmervertreter in der BASF. 

In der Beteiligungsvereinbarung wird dem EBR aufgetragen, „nach umfassender, abgeschlossener Beratung, eine Einigung mit dem Unternehmen herbeizuführen“. Wie soll das gehen bei 22 Ländern?

Entscheidend ist: Wenn es um grenzüberschreitende Angelegenheiten, also z.B. um Umstrukturierungen oder Schließungen geht, werden bei uns alle EBR-Mitglieder aus den betroffenen Ländern höchstpersönlich zu einer Sondersitzung eingeladen. Weil das Recht zu Anhörung und Konsultation beim Gremium liegt und nicht an einen geschäftsführenden Ausschuss delegiert ist. Das hat sich absolut bewährt, wir konnten mit dieser EBR-Konstruktion einen Riesenfehler vermeiden. Bei uns gilt: Oben ist der EBR möglichst schlank, mit nur drei Leuten in der Geschäftsführung. Ansonsten sind immer alle betroffenen Eurobetriebsratsmitglieder Teil des Geschehens. 

Verträgt sich die Verpflichtung zur Konsensfindung zwischen EBR und Management bei grenzüberschreitenden Angelegenheiten mit der geforderten Reaktionsgeschwindigkeit eines global agierenden Konzerns?

Wir sind nicht der Bremser der Dynamik. Ähnlich wie im Wirtschaftsausschuss muss der Eurobetriebsrat sagen: Okay, diese Information ist nun umfassend, abschließend und erschöpfend. Das heißt nicht, dass es das Management nicht am Schluss machen muss. Wir können nicht Direktionsrechte aushebeln, wir sind nicht dabei, den Kapitalismus abzuschaffen. Aber wir schöpfen unsere Beratungs- und Mitbestimmungsrechte im europäischen Kontext so weit aus, wie wir sie aus dem deutschen Betriebsverfassungsgesetz und aus dem Wirtschaftsausschuss kennen. Diese Rolle spielen wir, und damit fordern wir das Management doch ganz ordentlich.

Wie kommt das Management mit diesem neuen, institutionellen Selbstbewusstsein klar?

Anfangs gab es einige versteckte Fouls. Das ist ein Lernprozess. Es dauert halt, bis sich eine neue Beteiligungsvereinbarung im Konzern herumspricht und auch jeder Manager in allen Ecken Europas merkt, dass das Unternehmen Arbeitnehmervertreter einbeziehen will. Heute kann ich sagen: Dieses Signal, sich kooperativ zu zeigen, das wird nicht nur registriert, das führt auch zu Verhaltensänderungen beim Management. Und wenn es doch mal irgendwo knirscht, dann haben wir Mittel und Wege, wieder sozialpartnerschaftliche Standards zu setzen. Ich sage das mal so diplomatisch.

Die SE-Beteiligungsvereinbarung ermöglicht es den BASF-Arbeitnehmervertretern, auf Länderebene untereinander in Kontakt zu treten, sich abzusprechen. Was bringt das?

Das nützt insgesamt der EBR-Arbeit. Am weitesten entwickelt sind diese Ländertreffen in Frankreich, die Kollegen dort haben eine regelrechte Jahresplanung hinterlegt. Drehscheibe der ganzen EBR-Arbeit ist meine Kollegin Sonja Daum; sie fängt die vielen Anfragen und Anliegen ein, die hereinschwirren. Vor allem Frankreich ist bei uns sehr aktiv. Sonja kümmert sich dann, dass die Kollegen Infos aus erster Hand erhalten – auch vom Personalbereich, von der Arbeitsdirektorin. Das wäre ohne diese Organisationsstruktur des Euro­betriebsrates in einer Europäischen Aktiengesellschaft nicht möglich. Und wird auch stark genutzt. 

Der Europabetriebsrat hat Informations- und Konsultationsrechte, im Prinzip hat er kein Mandat, Vereinbarungen abzuschließen. Wie bewegt man sich bei der BASF auf diesem schwierigen Feld?

Wir als Eurobetriebsrat geben eine beratende Stellungnahme ab, die die transnationale Wirkung bestimmter Unternehmensentscheidungen herausarbeitet. Unmittelbar zuständig für die Beschäftigten ist dann natürlich das nationale Gremium, das auch die Regelungen treffen muss. Das wollen wir nicht aushebeln. Aber wir können so manche Lösung im Konzern erarbeiten und damit die europäische Komponente im Heimatmarkt auch in einen Interessensausgleich bringen – in Verbindung mit den nationalen Gremien.

Zur Person

ROBERT OSWALD, 59, verbindet Spitzenfunktionen der Mitbestimmung als Betriebsrats- und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender. Sein selbstbewusstes Motto: „Wenn jemand die Firma kennt, dann wir“, gilt ganz speziell für ihn. Um die Konzernstrategie kann er sich auch deshalb kümmern, weil die alltägliche Interessenvertretung im Werk Ludwigs­hafen auf den Schultern von 1500 Vertrauensleuten liegt. Nach Hauptversammlung, Aufsichtsrats- und Betriebsratswahlen ist Oswald nun erst mal bergwandern in den Dolomiten. Sein Mandat geht vier Jahre, dann wäre er 63. Rente? Kein Thema! Sein Wunsch: „Dass Bestand hat, was wir getan haben, um den Laden zusammen- und erfolgreich zu halten.“

BETEILIGUNGSVEREINBARUNG DER BASF SE: Mächtig ins Zeug gelegt haben sich IG BCE und BASF-Betriebsräte, damit die Mitbestimmung nicht unter die Räder gerät mit der Umwandlung des größten Chemiekonzerns in eine Europäische Aktiengesellschaft. Zwar wurde der Aufsichtsrat von 20 auf zwölf Sitze verkleinert, was manche Beobachter verwunderte, wenn man das Ziel Internationalisierung ansteuert. Im Gegenzug kam das Unternehmen der Arbeitnehmerseite beim genuinen Arbeitnehmergremium, dem BASF-Europa­betriebsrat entgegen. In der SE-Beteiligungsvereinbarung, dem neuen Grundgesetz europaweiter Mitwirkung, wurde der Europabetriebsrat (26 Arbeitnehmervertreter aus 22 Ländern) auf eine solide und entwicklungsfähige Grundlage gestellt. Mit einer hohen Info- und Sitzungsdichte. Mit dem Recht, Sondersitzungen einzuberufen bei geplanten Unternehmensentscheidungen. Mit der Verpflichtung zur sozialpartnerschaftlichen Konsensfindung mit dem Management. Und mit einer Art Kündigungsschutz für EBR-Mitglieder und der Ermöglichung von Ländertreffen. Bei allem bleibt die Gewerkschaft nicht außen vor: Bei EBR-Sitzungen kann ein Vertreter der IndustriAll Europe mitreden, dieses Gastrecht gilt auch für alle Arbeitnehmer-Aufsichtsräte der BASF SE. Die BASF-Beteiligungsvereinbarung nachzulesen in den „Arbeitshilfen für Aufsichtsräte Nr. 6“  (S.105ff.)

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