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Magazin Mitbestimmung

REFIT-Initiative: Etikettenschwindel

Ausgabe 07+08/2014

Unter dem Vorwand, bessere EU-Gesetze und eine schlankere Verwaltung zu schaffen, stellt die scheidende EU-Kommission Regeln zum Schutz und zur Beteiligung von Arbeitnehmern auf den Prüfstand. Zur Disposition stehen auch drei Richtlinien zu Information und Konsultation. Von Eric Bonse

Der Name klingt sympathisch: „REFIT – Fit für Wachstum“ hat die EU-Kommission ihre Initiative genannt, die an sportliche Ertüchtigung denken lässt. Zwar geht es nicht um den Abbau überflüssiger Pfunde, sondern um „regulatorische Fitness“ und eine schlankere Verwaltung. Aber wer könnte schon dagegen sein? Schließlich ist ja auch in Deutschland Konsens, dass Bürokratieabbau dringend nötig ist. Der frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber wurde dafür vor Jahren nach Brüssel geschickt.

Doch hinter REFIT verbirgt sich mehr, als der sportliche Name vermuten lässt. Darauf deutet schon die Entstehungsgeschichte hin. Der scheidende EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso legte die Initiative im Herbst 2013 auf, nachdem der konservative britische Premier David Cameron eine Rückverlagerung von Kompetenzen in die nationalen Hauptstädte verlangt und mit dem EU-Austritt seines Landes gedroht hatte. Die Brüsseler Bürokratie sei ein Wachstumshemmnis, so Camerons Begründung.

Wer sich die Vorschläge anschaut, die Camerons eigens eingesetzte „Business Task Force“ erarbeitet hat, wird schnell eines Besseren belehrt. Es geht gar nicht in erster Linie um Bürokratieabbau oder „Smart Regulation“, sondern um die Abschaffung offenbar lästiger Umwelt-, Datenschutz- und Sozialstandards. Von Anfang an hatte die britische Initiative einen starken anti-gewerkschaftlichen „Spin“ – und der findet sich auch in REFIT wieder.

SOZIALPARTNER DÜPIERT

Zu den ersten Maßnahmen, die Barroso­ im Rahmen von REFIT ankündigte, gehörte ein massiver Eingriff in die europäische Sozialpolitik. Zum ersten Mal überhaupt blockierte die EU-Kommission eine unterschriftsreife Vereinbarung zum Arbeitsschutz, die Gewerkschaften und Arbeitgeber im Rahmen des sozialen Dialogs gemeinsam ausgehandelt hatten. Dabei geht es um Regeln für Friseure, die besonders stark von berufsbedingten Haut-, Muskel- und Skeletterkrankungen betroffen sind. Brüssel will diese Regeln nun nicht umsetzen.

Dabei war die Vereinbarung aus Sicht der Sozialpartner ein wichtiger Schritt, die Gesundheitsrisiken zu senken. Der Friseurberuf ist nämlich der Beruf mit dem höchsten Risiko arbeitsbedingter Hautkrankheiten. Das Nein aus Brüssel sei „ein beispielloser Angriff auf die Arbeitsschutzgesetzgebung – und eine unglaubliche Arroganz gegenüber den Sozialpartnern“, kritisierte Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand beim Start des „Fitness“-Programms im Oktober 2013. Aus Sicht der Gewerkschaften war es ein Fehlstart.

Doch danach wurde es nicht besser. Gleich im ersten Arbeitsprogramm stellte die EU-Kommission auch brisante Themen wie die Information und Konsultation von Arbeitnehmern und drei dazugehörige Richtlinien auf den Prüfstand. Es gehe darum, diese Regeln so zu fassen, dass sie keine unnötige Last für kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) darstellen, hieß es zur Begründung. Warum sie sich ausgerechnet Kernbereiche des europäischen Arbeits- und Sozialrechts vorknöpfte, die die meisten KMUs gar nicht direkt betreffen, sagte die Kommission nicht.

EU-KOMMISSION WIEGELT AB

Auch die erste Zwischenbilanz, die im Juni 2014 vorgelegt wurde, lässt viele Fragen offen. Demnach ist der behördeninterne „Fitness-Check“ bei der Information und Konsultation von Arbeitnehmern beendet, im September sollen Konsultationen mit den Sozialpartnern beginnen. Doch was wurde eigentlich geprüft? Und was sollen die Gespräche bringen? Geht es um eine letztlich harmlose „Konsolidierung“ des einschlägigen EU-Rechts, oder werden die Gesetze überarbeitet und neu geschrieben? Werden gar wichtige Regeln ersatzlos gestrichen, wie beim Gesundheitsschutz der Friseure?

Die EU-Kommission wiegelt ab: Es gehe lediglich darum, die mit den betroffenen drei Richtlinien verbundenen Verwaltungskosten zu senken und die „Komplexität“ für die Unternehmen zu reduzieren, sagt ein Barroso-Berater. Die Ziele – eine rechtzeitige und umfassende Konsultation der Arbeitnehmer über wichtige betriebliche Belange – würden nicht angetastet. Man dürfe REFIT nicht mit den britischen Attacken auf Arbeitnehmerrechte verwechseln, eine „Erosion der Sozialstandards“ sei nicht zu erwarten. 

Die EU-Kommission argumentiert bei ihrem „Fitness“-Programm ähnlich wie beim umstrittenen transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP: Hier wie dort heißt es immer wieder, Verschlechterungen seien nicht zu erwarten, das europäische Schutzniveau bleibe erhalten. Doch die Gewerkschaften überzeugt das nicht. Wolfgang Kowalsky, der für den Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) am „Fitness-Check“ teilgenommen hat, bescheinigt der EU-Kommission­ zwar faires Verhalten. „Beim Thema Arbeitnehmerrechte waren wir gut beteiligt“, sagt er. Auch der Konsultation im Herbst sehe er gelassen entgegen. Dennoch ist Kowalsky, wie viele Gewerkschafter, auf der Hut. REFIT sei Teil einer breiten Deregulierungsagenda, die letztlich auf die Aushöhlung sozialer Rechte zielt – auch wenn die Kommission dies hartnäckig bestreitet.

Es sei kein Zufall, argumentiert der EGB-Experte, dass die REFIT-Initiative am selben Tag vorgelegt wurde, als EU-Sozialkommissar László Andor eine lange erwartete (und immer wieder aufgeschobene) Mitteilung zur sozialen Dimension der Euro-Währungsunion vorlegte. Doch während die Vorschläge zur sozialen Dimension völlig unverbindlich geblieben (siehe Magazin Mitbestimmung 1+2/2014) sind, wurde es bei REFIT gleich konkret – mit der „Abwicklung von Gesetzen, die Arbeitnehmer schützen, und der Schwächung des Sozialdialogs“, so Kowalsky. Seit dem EU-Gipfel von Lissabon, der die Liberalisierungs- und Deregulierungsagenda im Jahr 2000 begründete, sei dies gängige Praxis. Während man dem „linksgerichteten Publikum“ vage Versprechen mache, würden für die Business Community bereitwillig Fakten geschaffen. 

Noch weiter geht Isabelle Schömann vom Europäischen Gewerkschaftsinstitut. Mit REFIT betreibe die EU-Kommission einen massiven Etikettenschwindel, warnt die Arbeitsrechtsexpertin in einer Studie für die Hans-Böckler-Stiftung. Die Behörde behaupte zwar, sich vor allem um kleine und mittlere Betriebe zu bemühen. Diese Unternehmensklasse sei aber gar nicht übermäßig von der „Last Arbeitnehmerbeteiligung“ betroffen. In Wahrheit gehe es darum, „unter falschem Etikett die Mitwirkungsmöglichkeiten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zurückzudrängen“. Die Kommission gebe das zwar nicht offen zu, so Schömann. Sie agiere indirekt und intransparent. Hellhörig mache, dass die Behörde in ihrer Zwischenbilanz zu REFIT nicht mehr nur von Verwaltungs-, sondern von Regulierungskosten spricht. „Bisher waren nicht die Gesetze die Last, sondern deren Umsetzung. Jetzt gibt es offenbar einen neuen Fokus“, kritisiert die Expertin. Dies nähre die Sorge, dass am Ende nicht nur die Ausführungsbestimmungen, sondern auch die Regeln geändert werden.

GEWERKSCHAFTEN FORDERN DEREGULIERUNGSSTOPP

Wie das gehen kann, zeigt das Beispiel Einpersonengesellschaft: 2008 hatte die EU-Kommission einen Vorschlag zur Europäischen Privatgesellschaft (SUP) vorgelegt, der 2011 nicht zuletzt am deutschen Veto gescheitert war; zu den Knackpunkten zählten unzureichende Mitbestimmungsrechte für Arbeitnehmer. 

Stattdessen forciert Brüssel nun die Einpersonengesellschaft – diesmal gleich ganz ohne Arbeitnehmermitbestimmung, an der sich heftiger Streit und auch gewerkschaftlicher Widerstand entzündet hatte (siehe auch Seite 26 ff.). 

„Es ist das erste Mal, dass die EU-Kommission einen Vorschlag vorlegt, der ganz ohne Mitbestimmung auskommt“, empört sich Kowalsky. Sollte er umgesetzt werden, so könnten Mittelständler künftig eine Briefkastenfirma auf Malta gründen – und so das deutsche Mitbestimmungsrecht aushebeln. Auch für Arbeitsrechtsexpertin Schömann ist die SUP ein Problem. Sie sieht darin ein Beispiel für die hinterlistige EU-Taktik bei REFIT: Statt Arbeitnehmer-Schutzregeln direkt zu attackieren, werden Vorschläge einfach zurückgezogen und durch arbeitgeberfreundliche Texte ersetzt.

Der Europäische Gewerkschaftsbund will dieses Spiel nicht länger mitmachen. Er fordert, die Deregulierung zu stoppen und den Ansatz der „Smart Regulation“ zu überdenken. Dabei gehe es gar nicht darum, die Gesetzgebung effizienter zu machen, heißt es in einer EGB-Resolution unter dem Titel „Rethink REFIT“. Die EU ziele auch nicht etwa darauf, den Nutzen von Gesetzen für die Gesellschaft zu erhöhen; „Smart Regulation ist in Wahrheit ein Versuch, den Staat zurückzudrängen.“ 

Die EU lässt sich von ihrem Ansatz jedoch nicht abbringen – im Gegenteil. Beim EU-Gipfel im Juni wurde die REFIT-Strategie bekräftigt; sie soll nun auch für die nächste EU-Kommission verbindlich sein, die im Herbst ihre Arbeit aufnehmen wird. In der Sache soll sich also nichts ändern, die Deregulierung soll sogar zur Priorität werden. Nur die Kommunikation soll künftig etwas sozialverträglicher ausfallen, heißt es in den Schlussfolgerungen des Gipfels. Künftig wolle man „Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz sowie gesundheitliche und umweltpolitische Belange“ mehr berücksichtigen. Angesichts der ersten arbeitnehmerfeindlichen Entscheidungen klingt es wie Hohn.

MEHR INFORMATIONEN

Isabelle Schömann: GUTER KLANG, ABER SCHLECHTE FOLGEN FÜR EUROPAS ARBEITNEHMERSCHAFT. Wie die EU-Kommission mit REFIT Etikettenschwindel betreibt. Hans-Böckler-Stiftung, Mai 2014. 

Wolfgang Kowalsky: REFIT – A BREAKTHROUGH TOWARDS A STRENGTHENED AND MORe ENCOMPASSING DEREGULATORY AGENDA? In: Transfer, Ausgabe 2/2014

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