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Magazin Mitbestimmung

TTIP: Angriff auf soziale Rechte

Ausgabe 07+08/2014

Die Gewerkschaften gehen auf Distanz zum geplanten Freihandelsabkommen mit den USA. Von Eric Bonse

Mehr Markt, mehr Wettbewerb und mehr Freihandel – mit diesem neoliberalen Rezept wollen die EU-Chefs Europa aus der Krise steuern. Eine zentrale Rolle spielt dabei das geplante Freihandels- und Investitionsschutzabkommen mit den USA. Spätestens 2015 soll das sogenannte TTIP-Abkommen unter Dach und Fach sein, forderten die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel im Juni. Sie machten die laufenden Verhandlungen sogar zu einem Teil ihrer neuen „strategischen Agenda“ für die nächsten fünf Jahre.

Einen wichtigen strategischen Partner könnten sie dabei allerdings verlieren: die Gewerkschaften. Nachdem EGB und DGB die Freihandelsrunde zunächst verhalten positiv aufgenommen hatten, rücken beide Verbände nun von TTIP ab. Der DGB-Bundeskongress forderte bereits im Mai, die Verhandlungen auszusetzen. Die Pause soll dazu genutzt werden, einen „grundsätzlich neuen Ansatz in der globalen Handelspolitik zu etablieren“, so die Delegierten. Es gehe darum, einen „gerechten politischen Ordnungsrahmen für die Globalisierung im Interesse der Beschäftigten und der Verbraucher zu schaffen, anstatt durch Marktliberalisierung und Deregulierung allein den Wettbewerbsdruck zu erhöhen“. Deshalb müssten öffentliche Dienstleistungen komplett ausgenommen werden. Der DGB fordert auch – wie viele Umweltschutz- und Verbraucherorganisationen – einen Verzicht auf den umstrittenen Investorenschutz und außergerichtliche Schiedsverfahren.

Mit diesen Schiedsverfahren, die unter dem Titel ISDS (Investor-State Dispute Settlement) bekannt geworden sind, könnten Großkonzerne missliebige Umwelt- und Sozialstandards angreifen. Als Negativbeispiel gilt der schwedische Stromriese Vattenfall, der die Bundesrepublik auf Schadenersatz verklagt, weil er sich durch den deutschen Atomausstieg benachteiligt sieht.

Angesichts der Brisanz des Themas hat die EU-Kommission vor der Europawahl im Mai eine öffentliche Anhörung zu ISDS gestartet. Offenbar ging es jedoch vor allem darum, die Gemüter zu beruhigen. Ein vollständiger Verzicht auf ISDS sei nicht geplant, stellte EU-Handelskommissar Karel de Gucht bereits vor dem Abschluss der Konsultation Anfang Juli klar. Dies rief den EGB auf den Plan. In einem offenen Brief an De Gucht protestierte EGB-Generalsekretärin Bernadette Ségol dagegen, dass ein Nein zu ISDS von vornherein ausgeschlossen werde. Dies wecke Zweifel an einer unvoreingenommenen Bewertung der Anhörung.

WIDERSTAND GEGEN MITBESTIMMUNG

Der Investorenschutz ist jedoch nicht die einzige Sorge der Gewerkschaften. Angesichts des wesentlich niedrigeren Schutzniveaus in den USA fürchten DGB und EGB um die Rechte der Arbeitnehmer in Europa. Auch dafür gibt es ein Negativbeispiel: die massive Stimmungsmache während der Abstimmung zur Bildung eines Betriebsrates im VW-Werk in Chattanooga im US-Bundesstaat Tennessee. Das Vorhaben der US-Gewerkschaft UAW, dort einen Betriebsrat nach deutschem Vorbild zu schaffen, war auf erbitterten Widerstand der örtlichen Republikaner gestoßen. 

Der DGB sieht in TTIP daher auch einen „Angriff auf das deutsche Mitbestimmungsmodell“. Sollte es durch das Freihandelsabkommen zu höheren Investitionen in den USA kommen, könnten diese bevorzugt in jene Bundesstaaten fließen, die Gewerkschaften behindern. Diese Risiken sieht man auch beim EGB. Um den drohenden Sozialabbau zu verhindern, müssten die USA die Kernarbeitsnormen der internationalen Arbeitsorganisation ILO akzeptieren, fordert Ségol. Wenn sich in diesem Punkt nichts bewegen sollte, müssten die TTIP-Gespräche ausgesetzt werden.

Ein Kurswechsel zeichnet sich aber nicht ab. Denn hinter der Kommission stehen die Staats- und Regierungschefs der EU – und die machen mit ihrer neuen „strategischen Agenda“ mehr Druck zugunsten von TTIP denn je zuvor.

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