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Magazin Mitbestimmung

Europa: Triumph der EU-Gegner

Ausgabe 07+08/2014

Bei der Europawahl haben EU-kritische Parteien weiter zugelegt, in Frankreich und Großbritannien sind sie sogar zur stärksten Kraft geworden. Trotz der Mahnungen, auf diesen Weckruf zu reagieren, ist ein Politikwechsel nicht in Sicht. Von Eric Bonse

Ein europaweites Fest der Demokratie sollte es werden. Mit eigens nominierten Spitzenkandidaten, EU-weiten Wahlkampagnen und perfekt inszenierten Fernsehduellen nach US-Vorbild sollte die Europawahl im Mai den Negativtrend stoppen und die Bürger wieder mit der Europäischen Union versöhnen.

Auch die Gewerkschaften hatten große Hoffnungen in diese Wahl gesetzt. Sie sollte die Europäische Union nicht nur demokratischer, sondern auch sozialer machen. Mehrere Spitzenpolitiker, allen voran Martin Schulz von der SPD, hatten einen „Politikwechsel“ und eine Abkehr vom einseitigen Austeritätskurs versprochen. Doch nach der Wahl kehrte in Brüssel schnell wieder Ernüchterung ein. Trotz der gelungenen Premiere mit den Spitzenkandidaten lag die Wahlbeteiligung bei 43 Prozent und damit kaum über dem historischen Tief von 2009. Und trotz aller Warnungen vor Euro-Kritikern und EU-Gegner erzielten rechte Populisten und Nationalisten ihr bisher bestes Ergebnis.

Vor allem die Erfolge des Front National in Frankreich und der UKIP in Großbritannien lassen aufhorchen. In beiden Ländern sind EU-Gegner zur stärksten Kraft aufgestiegen. Auch in den Niederlanden, in Österreich und Griechenland haben Rechte erschreckend gut abgeschnitten. Dieses Ergebnis ist ein „Weckruf“ an die regierenden Sozialisten, die Probleme endlich in Angriff zu nehmen, sagt Friedrich Heinemann vom ZEW in Mannheim. Andere beschwören die „Vertrauenskrise der Bürger“. Von einer „politischen Krise“ spricht EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy.

REVANCHE STATT MEHR DEMOKRATIE

Doch die politische Antwort fällt enttäuschend aus. Ein Kurswechsel zeichnet sich nicht ab, im Gegenteil: Um die rechte Gefahr abzuwehren, rücken die etablierten Parteien, Europäische Volkspartei und Sozialisten, noch enger zusammen – und klammern sich an den bisher verfolgten Kurs, auch wenn der ins Wahldebakel führte. Besonders deutlich ist dies im Rat, der Vertretung der EU-Mitgliedsländer. Zwar einigte sich der EU-Gipfel im Juni nach wochenlangem Gezerre darauf, den Sieger der Europawahl, den früheren Luxemburger Premier Jean-Claude Juncker, zum Kommissionspräsidenten zu nominieren. Und beugte sich damit dem Druck des Europaparlaments.

Dies nährte die Hoffnung, dass die EU mehr Demokratie wagen könnte. Doch die Staats- und Regierungschefs sinnen auf Revanche. Im Juni wurde beschlossen, das Nominierungsverfahren für die Zukunft noch einmal aufzurollen. Die Juncker-Kür soll kein Präzedenzfall werden, das Parlament nicht das letzte Wort behalten. Zudem verabschiedete der EU-Gipfel eine „strategische Agenda“, die Juncker und seine neue Kommission für die nächsten fünf Jahre binden soll.

Mit diesen Manövern gehen die Chefs, allen voran Kanzlerin Angela Merkel, auf den britischen Premier David Cameron zu. Angesichts des Vormarschs der UKIP lehnt der konservative Politiker nicht nur Juncker, sondern auch jeden weiteren Machtzuwachs für Brüssel ab. Die im EU-Vertrag verankerte „immer engere Union“ soll nicht mehr gelten. In der Praxis dürfte dies weitere Ausnahmen für London bedeuten – und eine Fortsetzung der neoliberalen Agenda, die unter dem scheidenden Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso die letzten zehn Jahre geprägt hat. Umstrittene Initiativen wie das Freihandelsabkommen TTIP oder die Deregulierungsagenda REFIT sollen nicht nur fortgesetzt, sondern sogar noch forciert werden.

Während der EU-Gipfel Ende Juni Cameron und den europamüden Briten weit entgegenkam, sucht man ähnliche Zugeständnisse gegenüber Frankreich vergebens. Staatspräsident François Hollande legte zwar eine eigene, auf Investitionen und Wachstum ausgerichtete Initiative vor. Doch er konnte sich damit nicht gegen Merkel und Cameron durchsetzen.

Nur in einem Punkt zeichnet sich eine Kurskorrektur ab: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt soll künftig flexibler gehandhabt werden, um Ländern wie Frankreich und Italien mehr Zeit für Reformen zu geben. Dies haben Hollande, der italienische Regierungschef Matteo Renzi und SPD-Chef Sigmar Gabriel in einer konzertierten Aktion eingefädelt. Bisher handelt es sich aber nur um ein symbolisches Zugeständnis. Der Stabilitätspakt wird nicht angetastet. Hollande dürfte daher große Mühe haben, den Franzosen diesen kleinen Erfolg zu erklären. Der versprochene „Politikwechsel“ ist es jedenfalls nicht geworden. Der Front National kann sich die Hände reiben – wieder einmal.

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