zurück
Magazin Mitbestimmung

Europäische Union: „Auf in den Kampf“

Ausgabe 07+08/2014

Mit der Eröffnung eines eigenen Büros in Brüssel zeigt die IG Metall, dass die EU auch für Gewerkschaften zu einem zentralen Aktions- und Konfliktfeld wird. Es geht um Industrie­politik, Jobs, aber auch um Umweltnormen, Tarifautonomie und Mitbestimmung. Von Eric Bonse

Die Meldung ist im hektischen EU-Geschäft fast untergegangen: Die IG Metall hat eine eigene Vertretung in Brüssel eröffnet. Das neue EU-Verbindungsbüro wird von Dirk Bergrath geleitet. Es verfügt zunächst über insgesamt drei Mitarbeiter und ist im Internationalen Gewerkschaftshaus am Nordbahnhof – weitab des Europaviertels – untergebracht. Auf den ersten Blick ist das keine große Sache. Schließlich sind DGB, EGB und auch Metallgewerkschaften längst vor Ort. Erst vor zwei Jahren bezog der neue Dachverband der Industriegewerkschaften, IndustriAll Europe, in Brüssel Quartier. Und nun ist auch die IG Metall, die größte Industriegewerkschaft der Welt, dort vertreten.

Doch das neue, eigenständige Metaller-Büro hat Symbolwert. Es steht für die wachsende Bedeutung, die die deutschen Gewerkschaften der Europapolitik und der EU-Kapitale Brüssel beimessen. Und es zeigt, dass die EU zunehmend in Bereiche hineinregiert, die noch vor Kurzem auf der nationalen Ebene entschieden wurden. Dies gilt nicht nur für die Tarifpolitik, die im Zuge der Eurokrise ins Visier der Euroretter und Sparkommissare geraten ist. Es gilt auch für die Energie- und Industriepolitik, in der sich die EU-Kommission immer mehr Kompetenzen sichert – und damit sogar das größte Mitgliedsland, Deutschland, verunsichert.

WAS KONZERNBETRIEBSRÄTE BEWEGT

Die Energiewende, der Streit um das EEG-Gesetz, der Klimaschutz und das Gezerre um neue CO2-Vorgaben für Neuwagen – all das sind Themen, die die Metaller bewegen. Schließlich geht es um Jobs in der Automobil-, Stahl- und Energiebranche. Deutschland liegt in Europa vorn und möchte seinen Vorsprung mit aller Kraft verteidigen. Man brauche mehr Verlässlichkeit in der Energiepolitik, forderte Peter Camin bei der Eröffnung des Metall-Büros und meinte: Der Dauerstreit mit Brüssel über das EEG-Gesetz habe die Kollegen verunsichert, so der Konzernbetriebsratsvorsitzende von Hydro Aluminium. Für mehr Augenmaß auf EU-Ebene sprach sich auch Ergun Lümali aus. „Wir haben keine Angst vor EU-Vorschriften, wir wissen, dass unsere Autos grüner werden müssen“, sagte er. Doch auch die EU-Kommission müsse die Kosten von Umweltauflagen im Auge behalten, forderte der Betriebsratsvorsitzende von Daimler Sindelfingen in Anspielung auf neue Klimaschutzvorgaben für Neuwagen. Zwar betätigt sich schon Energiekommissar Günther Oettinger als oberster deutscher Industrielobbyist, der unverblümt für Daimler oder VW Partei ergreift. Das macht der CDU-Politiker so erfolgreich, dass Berlin ihn für eine zweite Amtszeit in Brüssel nominiert hat. Ab Herbst werde sich Oettinger noch mehr als bisher mit Industrie­themen befassen, heißt es in seinem Umfeld. Auf diesem Feld möchte die Gewerkschaft mitmischen. Bereits im November 2013 stand der IG-Metall-Beschluss, sich mehr um die Europapolitik zu kümmern und eigene Vertreter nach Brüssel zu schicken. „Wenn es um Industriepolitik geht, ist es absolut notwendig, in Brüssel Flagge zu zeigen“, betont IG-Metall-Chef Detlef Wetzel.

Denn die Gewerkschaften setzen andere Akzente als die EU-Kommission. Industriepolitik ist für die IG Metall nicht nur Standortpolitik, in der allein Wettbewerbsfähigkeit zählt. Die EU dürfe nicht zu einer reinen „Wettbewerbsunion“ verkommen, warnte Wolfgang Lemb, der im IG-Metall-Vorstand für Europapolitik zuständig ist. Vielmehr gehe es um Investitionen und Wachstum. „Die Krise kann nur durch Wachstum überwunden werden“, so Lemb. „Wir brauchen Investitionen in nachhaltiges Wachstum durch koordinierte Wirtschafts- und Industriepolitik, um die industrielle Basis in Europa zu sichern.“ Mit dem europäischen Investitionsplan liege ein gewerkschaftliches Konzept vor, um die Volkswirtschaften umzubauen und zu modernisieren.

Das Konzept sieht energiearmes und ressourcenschonendes Wirtschaften sowie Investitionen in öffentliche und private Infrastruktur vor. Es erinnert an ähnliche Pläne des italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi, der seit Juli den EU-Ratsvorsitz übernommen hat. Allerdings hat Renzi – genau wie die IG Metall – Schwierigkeiten, die Bundesregierung von seinen Ideen zu überzeugen. Kanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sträuben sich nicht nur gegen eine Lockerung des Sparkurses und mehr Flexibilität beim Schuldenabbau, wie sie Renzi fordert. Sie blockieren auch die von Sozialdemokraten und Gewerkschaften gewünschte europäische Politikwende zugunsten von Wachstum und Investitionen.

DROHENDE EINGRIFFE ZURÜCKWEISEN

Massive Konflikte mit Berlin und Brüssel zeichnen sich auch in anderen Politikfeldern ab. Ein Beispiel ist das geplante Freihandelsabkommen TTIP. Die IG Metall fürchtet, dass bei TTIP Arbeitnehmerrechte unter die Räder kommen könnten – und fordert eine Aussetzung und Neujustierung der Verhandlungen mit den USA. „Freier Handel nützt uns nichts, wenn die Folgen für Arbeitnehmer nicht bedacht werden“, so IG-Metall-Chef Wetzel bei der Büroeröffnung in Brüssel. Ein anderes Beispiel ist das sogenannte Europäische Semester, bei dem die Wirtschafts- und ­Finanzpolitik der Euroländer auf EU-Ebene abgestimmt (und auf neoliberale Spar- und Reformvorgaben getrimmt) wird. Hier drohe ein massiver Eingriff in die Tarifautonomie, sagte Lemb. Die EU-Kommission versuche, die Tarifbindung zu lockern und die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften zu schwächen. „Im Kern ist dies ein Angriff auf die Demokratie“, warnte er.

Ein möglicher Bündnispartner in Brüssel ist dabei das Europaparlament. Auch die EU-Abgeordneten treten für eine aktivere Industriepolitik und für mehr Mitspracherechte bei TTIP und beim Europäischen Semester ein – denn auch sie bleiben bei diesen Themen weitgehend außen vor. Parlamentspräsident Martin Schulz bot der IG Metall eine enge Zusammenarbeit an. Es gehe darum, die Waffengleichheit zwischen Kapital und Arbeit wiederherzustellen, sagte der SPD-Politiker. Die Rechte habe sich Europa zu eigen gemacht und versuche, das Kräfteverhältnis weiter zugunsten des Kapitals zu verschieben. Die Abgeordneten könnten den Gewerkschaften bei ihrem Abwehrkampf helfen, so Schulz, denn im Europaparlament würden die nötigen Regeln gemacht: „Herzlich willkommen in Brüssel, auf in den Kampf.“

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen