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Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: Weltweit Vermögenssteuern nötig

Ausgabe 07+08/2014

Fabian Lindner, Referent für Allgemeine Wirtschaftspolitik beim IMK in der Hans-Böckler-Stiftung, über Thomas Pikettys „Das Kapital im 21. Jahrhundert“.

Der französische Ökonom Thomas Piketty bewegt mit seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ weltweit die Politik. Er zeigt darin, wie die in vielen Ländern steigende Vermögensungleichheit die Mittelstandsgesellschaft bedroht, die seit dem Zweiten Weltkrieg die Grundlage für die westlichen Demokratien bildet. Am Beispiel Deutschlands lassen sich Aufstieg und Fall der Mittelstandsgesellschaft besonders gut zeigen: Die Zerstörung von Immobilien und Fabriken im Zweiten Weltkrieg hatte das gesamte Vermögen Deutschlands im Vergleich zu 1910 halbiert; Inflation und Wirtschaftskrisen hatten auch die Finanzvermögen stark reduziert. So erbte die Nachkriegsgeneration von ihren Eltern viel weniger als diese von ihren Eltern. Sie musste für ihr Vermögen selbst arbeiten und sparen. 1960 lag der Gesamtwert der Erbschaften in Deutschland bei nur knapp zwei Prozent der Einkommen; 1910 machten die Erbschaften noch 16 Prozent der Einkommen aus. In Frankreich und Großbritannien lag die Sache ähnlich. 

Aber nicht nur der Krieg hatte die Vermögen und Erbschaften verringert, sondern auch die Steuerpolitik. Im 19. Jahrhundert gab es noch so gut wie keine Einkommen- und Erbschaftsteuern, der Staat hielt sich aus der Verteilung von Einkommen und Vermögen heraus. Nach 1945 sah die Politik dagegen eine starke Vermögens- und Einkommensungleichheit als Mitursache für die Katastrophen des 20. Jahrhunderts – vor allem in den angelsächsischen Ländern, die ihre Einkommen und Erbschaften mit Sätzen von bis zu 90 Prozent besteuerten. Auch im Nachkriegsdeutschland stiegen die Steuern, aber nie so hoch wie in den USA und Großbritannien. Weniger Vermögen, weniger Erbschaften, höhere Spitzensteuersätze und der Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit führten zur Geburt der modernen Mittelschicht. Arbeit lohnte sich mehr als je zuvor, erben und Zinsen kassieren immer weniger – bis die Nachkriegsgeneration ab den 1970er Jahren begann, selbst ihre ersparten Vermögen zu vererben. 

Seit 1980 steigt der Wert der Erbschaften als Anteil der Einkommen wieder deutlich. 2010 wurden in Deutschland Vermögen im Wert von elf Prozent der Einkommen vererbt, ein Wert, höher als in Großbritannien. In Frankreich wird mittlerweile wieder so viel vererbt wie 1920. Dort können immer mehr Menschen allein von ihrer Erbschaft leben, ohne selbst arbeiten zu müssen. Erbschaften wären kein Problem, wenn die Vermögen einigermaßen gleichmäßig verteilt wären. Das ist aber nicht der Fall: Das reichste eine Prozent der Deutschen hält knapp 30 Prozent des privaten Vermögens. Dabei sind die Vermögen in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern im Euroraum besonders ungleich verteilt. Noch ungleicher sind die USA: Dort hält das reichste eine Prozent der Bevölkerung 35 Prozent des Vermögens. Diese Vermögensungleichheit setzt sich nicht nur durch Erbschaften fort, sie verstärkt sich durch den Zinseszinsmechanismus von selbst.

Piketty zeigt, dass die Vermögen relativ zum Einkommen immer mehr steigen, wenn die Ertragsrate des Vermögens (die Zins- oder Profitrate) höher als das Wirtschaftswachstum ist. Und das ist in der Geschichte der Menschheit regelmäßig der Fall gewesen. Erst in der Nachkriegszeit lag laut Pikettys Daten die Profitrate das erste Mal unter dem Wirtschaftswachstum – weil die Kapitalerträge zu großen Teilen wegbesteuert wurden. Hohes Wirtschaftswachstum gepaart mit hohen Steuern haben dem Wachstum der Vermögen Grenzen gesetzt. 

Piketty betont, dass dieser Zusammenhang, der die Grundlage unserer Mittelstandsgesellschaft bildet, eine krasse historische Ausnahme ist. Schon jetzt gibt es Tendenzen, wieder in alte Zeiten zu verfallen. Setzte sich die Entwicklung der letzten 30 Jahre fort und die Steuern auf Vermögen und seine Erträge würden weiter gesenkt, wären der Explosion der Vermögen und der Ungleichheit keine Grenzen mehr gesetzt. Aus seiner Analyse zieht der Ökonom daher eine klare politische Forderung: Es müssen wieder Vermögenssteuern eingeführt werden, am besten weltweit. 

Damit könnte man die Schuldenlast des Staates reduzieren und gleichzeitig die Vermögens­ungleichheit senken. Genau darüber wird jetzt endlich wieder diskutiert – und nicht nur in der Wissenschaft, sondern etwa in den Niederlanden und Österreich auch von Regierungen. Dabei wird Pikettys Buch in den Debatten immer wieder zitiert.

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