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Magazin Mitbestimmung

Arbeitsgestaltung: Crowdworking ist keine Privatangelegenheit

Ausgabe 06/2014

Es ist höchste Zeit, dass die Politik eine Vorstellung 
von digitaler Arbeit entwickelt und Arbeitsrechte der im Netz Beschäftigten 
zu regeln beginnt – mit den Gewerkschaften. Von Christiane Benner

Wirtschaft und Gesellschaft werden nahezu totalitär von Digitalisierung erfasst. Die Digitalisierung von Arbeit prägt die Arbeitsgesellschaft des 21. Jahrhunderts und stellt uns alle vor die Herausforderung, digitale Arbeit kreativ und sozial zu gestalten. Für die Gewerkschaften ist dies eine ihrer zentralen Herausforderungen. 

Mit der „Digitalen Agenda für Deutschland“ ist die Gestaltung der digitalen Gesellschaft programmatisch im Zentrum der Politik angekommen. „Chancen für eine starke Wirtschaft, gerechte Bildung und ein freies und sicheres Internet“ zu gestalten ist im Koalitionsvertrag vom November 2013 festgeschrieben. Die Umsetzung soll von Wirtschaft, Tarifpartnern, Zivilgesellschaft und Wissenschaft begleitet werden. „Öffentliche Verwaltung und Tarifpartner sind aufgefordert, die Rechte der Beschäftigten für eine erweiterte Arbeits-Autonomie und verbesserte Work-Life-Balance für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu stärken (z. B. Regelungen zur Nichterreichbarkeit)“, schreibt sich die aktuelle Bundesregierung in ihr Programm. 

In Frankreich hat die Politik einen anderen Weg eingeschlagen: Im April 2014 wurde per Gesetz für rund eine Million Beschäftigte der „Tech-Industrie“ festgelegt, dass niemand verpflichtet werden kann, nach 18 Uhr und vor neun Uhr E-Mails zur Kenntnis zu nehmen und zu bearbeiten. Auch das Europäische Parlament hat jetzt die Arbeitsrealität der digitalen Gesellschaft in einer Resolution aufgegriffen: Es fordert Regierungen und Tarifpartner auf, sich die problematischen Arbeitsbedingungen von (Solo-)Selbstständigen (die sich im Netz um Arbeitsaufträge bewerben, die sogenannte „Crowd“) zu kümmern. Es ist höchste Zeit, dass die Politik eine Vision von digitaler Arbeit entwirft und hieran arbeitet – angesichts der Geschwindigkeit digitaler Entwicklungen. 

Dieser Wandel der digitalen Arbeitswelt stellt die Gewerkschaften und die Betriebsräte vor Herausforderungen: In der Beschäftigtenbefragung der IG Metall gab nur etwas mehr als die Hälfte an, dass ihr Betrieb nie erwarte, dass sie außerhalb ihrer normalen Arbeitszeit erreichbar sein müssen. Von den Beschäftigten, deren Tätigkeit das Arbeiten von zu Hause zulassen würde, würde auch jeder zweite der Befragten dies gerne tun. 514­­ 134 Beschäftigte hatten sich 2013 an dieser Befragung beteiligt. Diese Wünsche begreift die IG Metall als Handlungsauftrag, auch diese Form von Arbeit zu fairen Bedingungen zu gestalten. 

GEMEINSAM MIT DER CROWD

In der digitalen Arbeitswelt ändern sich die Beschäftigungsformen grundlegend. Längst gibt es eine große Vielfalt an Erbringungsformen digitaler Arbeit. Viele kennen keine Mindeststandards bei der Bezahlung, der Arbeitszeit oder dem Gesundheitsschutz. Soloselbstständige und per Aufruf im Internet akquirierte Crowdworker erledigen die ganze Bandbreite von digitalen Arbeiten für Industrie, IT, F & E und die öffentliche Verwaltung. Crowdworking wird ebenso wenig wie Werkverträge oder Leiharbeit eine Randerscheinung bleiben – angesichts der zunehmend liquiden und (global) vernetzten Arbeitsorganisation in Produktion und Dienstleistungsbereich. Crowdwork wird von Menschen hoch individualisiert zu Bedingungen erbracht, die häufig unsozial und höchst unfair sind. So sind die allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Plattformen oft rechtswidrig. Und sie entsprechen in keiner Weise den marktüblichen Umgangsformen. 

Wir sehen die Chancen digitaler Arbeit, die im Sinne der Beschäftigten und Crowdworker ausgebaut werden sollten. Dabei ist es eine Herausforderung, angemessene Formen der Interessenorganisierung zu entwickeln. Wir begreifen es als gewerkschaftliche Aufgabe, die notwendige Selbstorganisation zu unterstützen und durch betriebliche, tarifliche und gesetzliche Maßnahmen zu ergänzen. Entlang der Wertschöpfungskette brauchen wir Regelungen und Gesetze, die die digitale Arbeit zu einer „Wertschätzungskette“ machen. Ziel ist, die kreativen Potenziale zu erhalten. Crowdworking ist keine Privatangelegenheit. Die schlechten Arbeitsbedingungen üben erheblichen Druck auf die von den Betrieben Beschäftigten und die Selbstständigen gleichzeitig aus. Wir meinen: Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, alle Tätigkeits- und Beschäftigungsformen in die Sozialversicherungssysteme zu integrieren.

DATENSICHERHEIT

In einer immer stärker digitalisierten Arbeitswelt ist Datensicherheit die Basis für Vertrauen. Und für technische und soziale Innovation. Für die Datensicherheit sind zertifizierte Prozesse erforderlich – mit qualifiziertem Personal und einer vertrauenswürdigenTechnik. Datenschutzstandards sind dabei ein Geschäftsfeld. Genauso wichtig ist, dass sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern tatsächlichen Schutz bieten vor willkürlicher Überwachung und Kontrolle. Von daher werden wir nicht lockerlassen, bis wir ein zeitgemäßes und modernes Arbeitnehmerdatenschutzgesetz haben werden. Und werden uns auch für einen wirkungsvollen Bürger-Datenschutz einsetzen. 

Erst recht in der digitalen Welt brauchen wir ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Bis vor Kurzem galt Google noch als unbezwingbarer Geist des digitalen Zeitalters und als Datenkrake. Nun hat Mitte Mai der Europäische Gerichtshof klargestellt: Es gibt ein Recht auf Löschung von persönlichen Daten zum Schutz der Privatsphäre. Und: Google habe sehr wohl Verantwortung dafür zu tragen, welche Informationen auf seiner Plattform stehen, und muss diese (sowie die Links) auf Antrag löschen. Eine wichtige Botschaft des EuGH-Urteils ist also: Europäische Standards gelten, auch wenn die Daten in den USA liegen. Weil das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von Europäern und Europäerinnen berührt wird. Dieses Urteil stärkt das Vertrauen ins Internet und in dessen Regulierungsmöglichkeiten. 

Der Google-Geist, der unangreifbar schien, muss den Rückweg in die Flasche antreten. Die Gestaltung unserer digitalen Welt ist also möglich – das ist ein wichtiges Signal, auch für die digitale Arbeitswelt. Auch mit der Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung ist der Schutz der Persönlichkeitsrechte aus der europäischen Grundrechtecharta­ beim Europäischen Gerichtshof angekommen. Dies sind erste Bausteine für einen angemessenen Schutz davor, von Staat und Unternehmen zu gläsernen Beschäftigten und Bürgern und Bürgerinnen gemacht zu werden.

Wir brauchen mehr davon: Vorstellbar wäre, dass der Gesetzgeber die Crowd-Beschäftigten wegen der wirtschaftlichen und sozialen Spezifika unter einen besonderen Schutz stellt in einem „crowd-protection law“, das vor allem Regelungen zur Vergütung (Stück- bzw. Stundenentgelte, Sonderzahlungen), zur sozialen Absicherung (Krankheit, Kurzarbeit, Kündigung, Insolvenz etc.) sowie zum Arbeitsschutz enthält. Dabei gibt es durchaus Anknüpfungspunkte, etwa beim Heimarbeitsgesetz (HAG), das den Schutz der Menschen, die Heimarbeit ausführen, regelt. Das Wort Crowd taucht darin noch nicht auf. Das kann sich ändern. Denn die Regulierung atypischer Beschäftigungsverhältnisse gehört durchaus schon zum Repertoire der Bundesrepublik. Man muss es nur wollen.

Christiane Benner ist Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall

Mehr Informationen

10 Thesen zur Digitalisierung der IG
Metall. November 2013, www.itk-igmetall.de

Christiane Benner: Wer schützt die 
Clickworker? In: FAZ, 19. März 2014

Andreas Kraft: „Crowdsourcing: Ich bin Teil der Crowd“. In: Magazin Mitbestimmung 12/2013

Thomas Klebe/Julia Neugebauer: Für eine
handvoll Dollar oder Workers of
the crowd unite? In: Arbeit und Recht 1/2014

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