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Magazin Mitbestimmung

Telekom: Neue Netze pflügen die Qualifikation um

Ausgabe 06/2014

Glasfaser- statt Kupferkabel: Die technologische Umrüstung auf Netze der nächsten Generation hat massive Auswirkungen auf die Qualifikationsprofile der Beschäftigten – ein ver.di-Projekt macht die Betriebsräte für die Weiterbildungsaufgaben fit. Von Claus Zanker

Der Telekommunikationssektor steht vor einem tief greifenden technologischen Umbruch: Unter dem Label NGN, das für Next Generation Networks steht, arbeiten fast alle Unternehmen der Branche mit Hochdruck an der Modernisierung ihrer traditionellen, zum Teil viele Jahrzehnte alten Netze. 

Worum geht es bei dieser groß angelegten und kostenträchtigen Operation? Zum einen lösen Paket-Vermittlungstechniken auf der Grundlage des Internet-Protokolls (IP) mehr und mehr die herkömmlichen, für die klassische Telefonie charakteristischen, leitungsvermittelten Verfahren ab; bislang getrennte Netze für unterschiedliche Dienste konvergieren auf dieser Basis zu einer einheitlichen Infrastruktur für sämtliche Services – subsumiert wird dieser Modernisierungsschritt „im Innern“ des Netzes gemeinhin unter der Chiffre All-IP.

Zum anderen wird das Übertragungsmedium Kupferkabel, das seit über einem Jahrhundert die physischen Verbindungsadern der Telekommunikations-(TK)-Infrastruktur bildet, in den verzweigten Zugangsnetzen zunehmend durch Glasfaser ergänzt, überbaut und im weiteren Verlauf ersetzt. Dadurch werden höhere Bandbreiten und eine schnellere Übertragung großer Datenmengen möglich; der Dachbegriff für diese Aufrüstung an den „Außengrenzen“ des Netzes lautet Next Generation Access (NGA).

Auch in Deutschland wird die Umrüstung auf Netze der nächsten Generation derzeit mit Macht vorangetrieben: So hat sich die Deutsche Telekom AG mit hoher Verbindlichkeit darauf festgelegt, die IP-Transformation ihrer Infrastrukturen hierzulande bis 2018 abzuschließen, das alte Telefonnetz abzuschalten und den Glasfaser-Ausbau der Zugangsnetze mit deutlich erhöhtem Investitionsaufwand zu forcieren. Nach Einschätzung vieler Branchenbeobachter wird der Umstieg auf NGN einschneidende Änderungen in den Wertschöpfungsprozessen, Geschäftsmodellen, Produkt- und Serviceangeboten der TK-Netzbetreiber auslösen und damit den „tiefgreifendsten Wandel, seit das erste Telefonat vor mehr als 130 Jahren geführt wurde“, wie die „SZ“ schrieb. 

Die Telcos (kurz für „telephone companies“) treiben die Modernisierung ihrer Infrastrukturen vor allem deshalb voran, weil das neue Netz wesentlich kostengünstiger zu betreiben und weniger störungsanfällig sein soll. Zudem erhofft man sich, dass die Einführung neuer Dienste mit geringerem Implementierungsaufwand und in deutlich kürzeren Zeiträumen als bisher möglich sein wird.

DAS PROJEKT „IWP TELEKOM“

Der Umstieg auf die Netze der nächsten Generation wird massive Auswirkungen für Arbeitsplätze und Qualifikationen der TK-Beschäftigten haben. Davon geht zumindest ein von ver.di initiiertes und geleitetes Projekt aus, das von der Telekom unterstützt und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie vom Europäischen Sozialfonds auf Basis der sogenannten „Sozialpartnerrichtlinie“ gefördert wird. Die „Innovations- und Weiterbildungspartnerschaft zur Förderung der Qualifizierung von Beschäftigten der Telekom-Service­gesellschaften (IWP Telekom)“ zielt darauf, die Telekom-Beschäftigten durch gezielte Weiterbildung besser für die mit der Netzmodernisierung verbundenen Herausforderungen zu wappnen. Das Projekt, das von ver.di-Vorstand Lothar Schröder angestoßen wurde, thematisierte im Verlauf des letzten Jahres in drei Seminaretappen die „Folgen der Netzmodernisierung“ vor allem für den Qualifikationsbedarf. Anschließend wurden Handlungsfelder für Betriebsräte identifiziert, die in den drei Servicegesellschaften tätig sind: im Bau und Betrieb des Netzes, im technischen Service und in der Kundenberatung, sprich den Callcentern. 

VERÄNDERUNGSDYNAMIK

Seit den 90er Jahren sind die Qualifikationen in der Telekommunikationsbranche einer starken Veränderungsdynamik unterworfen. Gründe sind technische Innovationen wie Mobilkommunikation und Internet, aber auch die Folgen von Privatisierung, Liberalisierung und die Öffnung nationaler Märkte. Die qualifikatorischen Anforderungsprofile der Arbeitnehmer in den Telcos, die unter hohem Wettbewerbsdruck und immer kürzeren Innovationszyklen agieren, verlagerten sich so sukzessive: von eher handwerklich-mechanischen zu IT- und internetbezogenen Skills; von auf Bau, Instandhaltung und Reparatur des Netzes gerichteten zu applikations- und softwareorientierten Fertigkeiten. 

Statt technischer Qualifikationen werden Fähigkeiten im Kundenservice, Vertrieb und im Marketing wichtiger. Generell sind die Anforderungen heute komplexer und wechseln häufig gegenüber standardisierten Routinetätigkeiten.

Die durch die nächste Netzgeneration ausgelösten Veränderungen werden diesen Prozess noch forcieren – zumal sich auch die Innovationsdynamik beschleunigen soll. Damit wirkt NGN als Trendverstärker, welcher bereits vorhandene Defizite an neuen Qualifikationen zu verschärfen droht. 

Daneben wird die Umstellung auf das Internet-Protokoll zu einem Überschuss an „alten“, künftig nicht mehr benötigten Fertigkeiten führen. Zwangsläufig werden nämlich diejenigen Skills in ihrem Wert sinken und nach Abschaltung der alten Technik gänzlich obsolet werden, die sich allein auf das überkommene Netz beziehen. Die qualifikatorische Herausforderung, vor der Unternehmen wie die Deutsche Telekom stehen, ist folglich eine zweifache: Zum einen gilt es, den zusätzlichen Bedarf an neuen Qualifikationen abzudecken, zum anderen bedürfen diejenigen Arbeitnehmer, deren Kenntnisse und Fertigkeiten durch die Umrüstung des Netzes entwertet werden, einer Requalifizierung, soll ihre Beschäftigungsfähigkeit auch künftig gesichert werden.

Entsprechend muss das Thema Weiterbildung auf der betriebspolitischen Agenda der Deutschen Telekom in den kommenden Jahren bis 2018 auf einen Spitzenplatz rücken. Natürlich ist es in erster Linie Aufgabe des Managements, hier die richtigen Weichenstellungen vorzunehmen. Aber ohne eine aktive Mitwirkung der Interessenvertretungen könnte es den Qualifikationsbemühungen nicht nur am notwendigen Drive mangeln, sondern auch an der präzisen Ausrichtung an den Erwartungen und Bedarfen der betroffenen Beschäftigten. Die zweite Ausgangsthese des Projekts zur Innovations- und Weiterbildungspartnerschaft bei der Telekom ist deshalb: Qualifikation für NGN kann besser – möglicherweise überhaupt nur – gelingen, wenn sich Betriebsräte als Promotoren von Weiterbildung verstehen und als solche zu wirken vermögen. Als gewählte Belegschaftsvertreter verfügen sie über Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Das ist eine gute Ausgangsbasis, um die Belegschaften für die qualifikatorischen Herausforderungen der Netzmodernisierung zu sensibilisieren und die Qualifizierungsbereitschaft bei allen Beteiligten und Betroffenen zu erhöhen. Betriebsräte können und sollten hier auf allen Ebenen als Motivatoren (und Interessenvertreter) der Beschäftigten wirken. Genauso wie sie eine Funktion übernehmen können als „Scharnier“ zwischen diesen und den Entscheidern auf der Managementseite.


FEHLENDE AUFBRUCHSTIMMUNG

Obwohl sich das Unternehmen Telekom fraglos intensiv auf die neue Ära vorbereitet, könnten die darauf gerichteten Weiterbildungsaktivitäten durchaus einen deutlichen Schub vertragen. Denn ungeachtet der anerkannten Dringlichkeit der anstehenden Herausforderungen ist bislang noch keine Aufbruchstimmung in Richtung einer „Qualifizierungs­offensive für die Next Generation Networks“ wahrnehmbar. Ein am IWP-Projekt der Innovations-Weiterbildungspartnerschaft beteiligter Betriebsrat sagte dazu: „Man sieht schon, dass der Startschuss irgendwann kommen wird, aber wir haben damit noch nicht so richtig losgelegt.“ Bislang dominiert eine vorsichtig abwartende Haltung, die von Unsicherheiten über die konkrete qualitative Beschaffenheit und das exakte mengenmäßige Ausmaß der Qualifikationsbedarfsveränderungen geprägt ist.

Das Projekt IWP Telekom hat sich zum Ziel gesetzt, die Betriebsräte bei der Wahrnehmung einer solchen Treiber-Funktion in Sachen „Qualifizierung für NGN“ zu unterstützen. Konkret analysieren wir die Veränderungen des Qualifikationsbedarfs in den einzelnen Arbeitsfeldern. Wir gleichen diese mit dem gegebenen Qualifikationsbestand ab, um rechtzeitig qualifikatorische „Mismatches“ zu erkennen und den daraus resultierenden Qualifizierungsbedarf beschreiben zu können. 

Zu diesem Zweck gilt es, möglichst präzise zu klären: Welche Qualifikationen welcher Beschäftigtengruppen werden künftig in welchen Organisationseinheiten zu welchem Zeitpunkt und in welchem Ausmaß knapp und neu gebraucht? Und welche werden ganz oder teilweise nicht mehr benötigt werden? Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) und der Input Consulting GmbH hat das ver.di-Projektteam die Folgen von NGN für Beschäftigung und Qualifikationen bei der Deutschen Telekom analysiert. Wir haben Handlungsleitfäden und Checklisten entwickelt, um damit bis Ende 2014 in Seminaren, Workshops und Coachings die rund 100 am Projekt IWP Telekom beteiligten Betriebsrätinnen und Betriebsräte unterstützend zu begleiten. Sehr früh hat sich dabei gezeigt, dass sich die Rolle der Interessenvertretungen erweitern muss. Denn es geht nicht nur um die Durchsetzung quantitativer Forderungen – etwa nach erweiterten Qualifizierungszeiten und erhöhten Budgets – oder um die Mitbestimmung, etwa bei der Auswahl der Betriebsräte und ihrer Freistellung für die Qualifizierungszeit. Betriebsräte müssen sich darüber hinaus intensiv mit dem Wandel von Arbeit und Qualifikation im Zuge des technologischen Umbruchs in ihrem Unternehmen, der Telekom, befassen. Nur so können sie Ansatzpunkte für nachhaltige Qualifizierungs- und Personalentwicklungskonzepte mitentwickeln – für die Telekom-Beschäftigten, aber auch und vor allem gemeinsam mit diesen.

Claus Zanker ist Projektleiter des ver.di-Weiterbildungsprojektes IWP-Telekom

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