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Magazin Mitbestimmung

Forschung: Fürsorge betrifft alle

Ausgabe 06/2014

Wie kann Gute Arbeit in sozialen und gesundheitsbezogenen Dienstleistungen 
allen zugutekommen? Den Weg dahin sollen Forschungsprojekte der Hans-Böckler-Stiftung ebnen. Von Dorothea Voss

Die Sozial- und Gesundheitswirtschaft wächst, das ist prägendes Moment des Strukturwandels in Deutschland. Dieses Wachstum folgt einer puren Notwendigkeit. Weil man weiß, dass ansonsten andere Wirtschaftsbranchen in ihrer Entwicklung gehemmt wären. Weil die Wirtschaft gesunde Menschen genauso braucht wie auch von Fürsorgeaufgaben entlastete Menschen. In einer entwickelten Volkswirtschaft ist Innovation nicht denkbar ohne Pflegedienstleistungen und Fürsorge­arbeit – ohne „Care Work“ –, sei es für Heranwachsende, sei es für Ältere.
Dieser Modernisierungspfad setzt hohe Qualität bei sozialen und gesundheitsbezogenen Dienstleistungen voraus. Die sind aber ohne gute Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen nicht zu haben, für die verbindliche Standards vereinbart werden müssen. Auch eine verbesserte Koordination derjenigen, die familiär und professionell Betreuung und Pflege erbringen, bringt hier Fortschritte,­ um mehr gesellschaftlichen Wohlstand zu entwickeln. Soziale und gesundheitsbezogene Dienstleistungen sind förderlich für ein intaktes Zusammenleben – in der Gesellschaft, in der Arbeitswelt und in Familien. Darüber besteht weitgehend ein Konsens, unklar ist die Ausgestaltung. Deshalb fördert die Hans-Böckler-Stiftung schon seit einigen Jahren Forschungsvorhaben, in denen Wissenschaftler/innen Rahmenbedingungen benennen und Lösungswege suchen – für einen Weg in diesen Bereich der Dienstleistungswirtschaft.

Anbieter von sozialen Dienstleistungen sind weit verbreitet. Mittlerweile arbeitet jede/r fünfte Beschäftigte bei solch einem privaten oder öffentlichen Unternehmen oder einem Wohlfahrtsverband. Dieses bedeutsame Beschäftigungsfeld weist gegenüber der privaten Wirtschaft Besonderheiten auf, weil die Dienstleistungen zu großen Teilen durch öffentliche Haushalte oder aus den Sozialversicherungen finanziert werden. Doch auch hier sind die Arbeitsbedingungen zunehmend unter Druck geraten.

In der wissenschaftlichen Diskussion spricht man von einer „Vermarktlichung“ des Wohlfahrtsstaats, womit auch veränderte Finanzierungsregeln gemeint sind: Während vormals der tatsächliche Aufwand und die faktischen Kosten von Dienstleistungen vergütet wurden, sind heute pauschalierte und fallbezogene Abrechnungsmodi die Regel. Unternehmerisches Handeln erhält damit einen neuen Stellenwert, so dass vor allem die Leistungen erbracht werden, die refinanziert werden. Dass es bei dieser Art der Finanzierung zu fragwürdigen Steuerungswirkungen kommen kann, zeigen Berichte über zu wenig Zeit für die Betreuung von Pflegebedürftigen – Stichwort Minutenpflege – und gleichzeitig die ansteigende Zahl von Knie- und Hüftoperationen.

Dieser Strukturwandel im Wohlfahrtsstaat gibt der Aufwertung von personenbezogener Arbeit nicht gerade Rückenwind. Hohe Anteile von Teilzeitarbeit und Minijobs, befristeter Beschäftigung und unterdurchschnittlichen Entgelten prägen das Bild. Dazu kommen hohe physische und psychische Belastungen für diejenigen, die im Sozial- und Gesundheitssektor arbeiten.

In den von uns geförderten Forschungsvorhaben konnten wir Ansatzpunkte­ für die Aufwertung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen herausarbeiten. Sie könnten als Hebel wirken für die Verbesserung der Qualität der Arbeit und der Dienstleistungen. Ausgangspunkt ist das Interesse und der Anspruch von Beschäftigten an eine hohe Qualität der personenbezogenen Dienstleistung, darin sind sich die Forscher einig. Befragte Beschäftigte heben ihren hohen Anspruch sowie den sie motivierenden Sinngehalt der Arbeit hervor und beschreiben – das dokumentiert auch der DGBIndex Gute Arbeit – eine Diskrepanz zu den faktischen Rahmenbedingungen ihrer Arbeit.

Grundlage für diesen professionellen Anspruch in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft muss eine vollwertige Qualifikation sein und die Möglichkeit, sich im Erwerbsverlauf weiterzubilden. Die Voraussetzungen dafür sind jedoch nicht ausreichend gut, weil die vielfältigen Ausbildungs- und Fortbildungsaktivitäten der Bundesländer und der Bildungsanbieter nicht koordiniert sind. Dabei wären bundesweit geregelte, moderne Berufsbilder die bessere Option, um einen verbindlichen Rahmen zu schaffen für die Beschäftigten und für gute Dienstleistungen. Sagen die Wissenschaftler/innen.

Dazu kommt: Wie im Betrieb die Arbeit organisiert wird – ob arbeitsteilig oder ganzheitlich –, ist ein entscheidendes Kriterium für die Qualität der Arbeit. Wir wissen aus unseren Böckler-Studien: Ein ganzheitlicher Zuschnitt wird von den Beschäftigten in personenbezogenen Dienstleistungen eindeutig bevorzugt, weil sie dabei höhere Autonomie- und Handlungsspielräume haben und mehr Zeit mit dem ihnen anvertrauten Menschen verbringen können – sei es ein Patient, eine Pflegebedürftige oder ein Kind. Mehr Zeit mit dem Menschen kann auch durch unterstützende Informations- und Kommunikationstechnologie organisiert werden. In unseren Forschungsprojekten wird jedoch auch berichtet, dass Technologie einer Bürokratisierung Vorschub leisten kann. Daher – so ein Forschungsergebnis – sollte Technologie immer in ein arbeitspolitisches Gesamtkonzept eingebettet werden (siehe Seite 36).

Gute Arbeit schließt ein, dass die Arbeit über ein ganzes Erwerbsleben durchgehalten werden kann. Viele Beschäftigte in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft erreichen jedoch das gesetzliche Renteneintrittsalter nicht, und insbesondere Frauen reduzieren ihre Arbeitszeit, um mit den Belastungen klarzukommen. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz ist daher eine zentrale Gestaltungsaufgabe. Dabei kann auf der Basis von Gefährdungsbeurteilungen zwar individuell erlernt werden, besser mit den spezifischen Belastungen umzugehen. Vor allem aber stehen die grundlegenden Arbeitsbedingungen auf dem Prüfstand: Wie steht es um die Personalbemessung? Wie sind Arbeits- und Pausenzeiten geregelt? Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen sind hier stark sensibilisiert und auch zunehmend bereit, sich für die Verbesserungen ihrer Arbeitssituation zu organisieren.

Wie der Weg in eine Dienstleistungsgesellschaft aussehen wird, hängt letztlich auch von den gesellschaftlichen Erwartungen ab: Sollen die Öffnungszeiten von Kitas auch auf den Abend und die Wochenenden ausgedehnt werden? Sollen professionelle Pflegekräfte den Löwenanteil von Pflegeaufgaben auch in der häuslichen Pflege übernehmen? Inwieweit muss der Betrieb auf Beschäftigte mit Fürsorge­aufgaben Rücksicht nehmen? Wer trägt also im Wohlfahrtsdreieck Staat – Markt – Familie eine Mitverantwortung für Fürsorgeaufgaben? Im betrieblichen Arbeitsalltag – das zeigt auch unsere Forschung – stellen sich diese Fragen ganz konkret: Es gibt einen hohen Bedarf an pflege- und betreuungssensiblen Arbeitszeiten. Die ­Herausforderung ist nun, wie Beschäftigte mit Fürsorge­aufgaben ihre zeitlichen Anforderungen mit ihren Teamkollegen und Vorgesetzen austarieren. 

Dorothea Voss leitet das Forschungsförderungs-Referat „Zukunft des Wohlfahrtstaates“ der Hans-Böckler-Stiftung

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