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Magazin Mitbestimmung

IGB-Kongress: Starke Signale globaler Gewerkschaftspolitik

Ausgabe 06/2014

Beim IGB-Kongress baten Gewerkschafter aus gefährdeten Ländern um Unterstützung des Internationalen Gewerkschaftsbundes. Mitte Mai waren 1500 Delegierte aus 161 Ländern nach Berlin gekommen. Von Jeannette Goddar

Die zwei Nordafrikaner kamen als Kronzeugen besonderer Art nach Berlin. Abdes Ouaddou und Zahir Belouni­ sind Profifußballer, die es nach Stationen hier und dort nach Katar verschlug. Als ihnen ihr Gehalt vorenthalten wurde, schlugen sie Alarm: erst bei der FIFA, dann beim Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB). Das rächte sich, ihre Vereine setzten sie in Katar fest; Zahir Belouni nebst Frau und Kindern über eineinhalb Jahre, Abdes Ouaddou kürzer.

Unter dem Kafala-System des Emirats haben die Arbeitgeber das Recht, „ihren“ Gastarbeitern ein Ausreisevisum zu erteilen oder eben nicht. „Das war die traumatischste Erfahrung meines Lebens“, erzählte der 34-jährige Belouni, Abdes Ouaddou erklärte: „Wir sind nur zwei. Tausende Opfer des Systems bleiben unsichtbar.“ Außer für jene, die sich vor Ort ein Bild machen – wie Sharan Burrow, die Generalsekretärin des IGB. Sie schilderte eindrücklich, wie sehr der Anblick asiatischer Bauarbeiter in Baracken unter den Zuschauertribünen der WM-Stadien sie entsetzt hat. „Katar ist ein Sklaven- und Apartheidstaat im 21. Jahrhundert“, wetterte die resolute Australierin vor mehr als 1500 Delegierten. Und vor Außenminister Franz-Walter Steinmeier (SPD), der das Welttreffen der Gewerkschaften eröffnete. Er konstatierte: „Die unsere Freude am Sport möglich machen, dürfen nicht darunter leiden.“

Die „Akte Katar“, mit welcher der Internationale Gewerkschaftsbund seit Monaten gegen die Austragung der Fußball-WM 2022 in einem Land ohne Arbeitnehmerrechte mobilmacht, hat auch der breiten Öffentlichkeit klar gemacht, dass demokratische Gewerkschaften weltweit mit einer Stimme sprechen, nämlich in Form des IGB, von Brüssel aus, mit Regionalbüros in Asien, Afrika und Südamerika, für 180 Millionen Mitglieder in 161 Ländern. Und bis zum Berliner Weltkongress mit Michael Sommer, der nun von dem Brasilianer João Antonio Felicio abgelöst wurde, als Präsidenten. Wer Sommers Abschiedsrede hörte, verstand schnell, dass es international um weit mehr geht als um klassische Arbeitnehmervertretung: „Wir trauern um ermordete Bergleute in der Türkei, um abgestürzte Sherpas in Nepal, um die verschütteten Näherinnen in Bangladesch“, sagte Sommer, „und wir beklagen das nicht nur. Wir bekämpfen das. Die Gewerkschaften sind das Stärkste, was die Schwachen haben.“

Und, hätte er noch sagen können, wir hören ihnen zu. Immer wieder traten Hausmädchen, Wanderarbeiter und Taxifahrer in Berlin nach vorne und berichteten vom Überleben im informellen Sektor. Einem Überleben, das weltweit und sektor- und systemübergreifend mühevoller wird. Laut einer Umfrage des IGB in 14 Ländern mit 3,7 Milliarden Einwohnern – das ist jeder zweite Weltbürger – gab die Hälfte der Befragten an, das Geld reiche kaum zum Leben. Ebenso viele sorgen sich um die Zukunft ihrer Kinder. Auf der anderen Seite haben immer weniger Menschen das Gefühl, Entscheidungen beeinflussen zu können: Bald neun von zehn glauben das nicht; sie glauben auch nicht, dass ihre jeweilige Regierung in ihrem Sinne handelt. „Das ist nicht nur bedenklich, sondern gefährlich“, kommentierte Burrow. Drei von vier wünschen sich, dass Gewerkschaften eine wichtige Rolle in der Gesellschaft spielen.

BITTERE BILANZ

Das wird ihnen nicht nur in Katar unmöglich gemacht. Laut dem Globalen Rechtsindex des IGB werden in gerade einmal 18 Ländern weltweit Vereinigungsfreiheit und Arbeitnehmerrechte generell gewährleistet – darunter Deutschland und weitere EU-Staaten, aber auch Barbados und Uruguay. Am anderen Ende der Skala werden in mehr als 50 Staaten Arbeitnehmerrechte entweder systematisch verletzt oder existieren gar nicht erst. Außer Katar und Saudi-Arabien gehören China und Indien als bevölkerungsreichste Länder der Welt in diese Kategorie. Nur wenig weiter oben auf der Liste finden sich ... die USA. „Wo die Wiege der Demokratie stand, werden Gewerkschafter, die auf ihre Rechte drängen, verhaftet“, zog ein Delegierter bittere Bilanz. Insgesamt wurden 2013 laut IGB in mindestens 35 Ländern Arbeitnehmervertreter inhaftiert. In neun Ländern wurden Gewerkschafter verschleppt oder ermordet, um die Arbeitnehmerschaft einzuschüchtern.

Vincent Nuongwane, Gewerkschafter aus der absoluten Monarchie Swasiland, war einer von vielen, der in der Debatte um die sogenannte „Watch List“ des IGB in eindringlichen Worten um Unterstützung bat: „Unsere Kollegen werden verfolgt, entführt und im Urwald ausgesetzt. Verlasst uns nicht!“ Tatsächlich kann die Anwesenheit internationaler Gewerkschaftsbeobachter in Ländern mit unerträglichster Rechtslage das Leben etwas erträglicher machen, oder auch schlicht das Überleben sichern. So ist es in Bangladesch nach dem katastrophalen Einsturz der Textil­fabrik Rana Plaza inzwischen gelungen, mit 160 Textil­firmen ein Sicherheitsabkommen zu schließen. Und selbst aus Guatemala und Kolumbien, beides Länder, in denen Gewerkschaftsmitgliedschaft regelmäßige Todesursache ist, berichteten Delegierte von Verbesserungen: In Guatemala unterzeichnete die Regierung 2013 eine Übereinkunft mit IGB und Internationaler Arbeitsorganisation (ILO) zur Entsendung eines hochrangigen ILO-Vertreters; erstmals befasst sich auch ein Untersuchungsausschuss mit der Ermordung von Gewerkschaftern. In Kolumbien ist es dank eines internationalen Abkommens der UNI Global Union mit dem Supermarkt-Multi Carrefour geglückt, auch in den Filialen vor Ort Betriebsgewerkschaften zu gründen. „Die Signalwirkung war immens“, erzählte die Gewerkschafterin Luz Marina Díaz. „Wir werden immer mehr. Das macht uns stärker. Und je mehr von uns die Menschen sehen, desto weniger Angst haben sie, sich anzuschließen.“ Auch aus Myanmar und Georgien wurden Fortschritte vermeldet.

Insgesamt stehen 27 Länder unter besonderer Beobachtung des IGB. Auf der Liste stehen viele offensichtliche Diktaturen, aber auch die Türkei und Griechenland. Um den Beobachtungsstatus bewerben wollten sich in Berlin Vertreter aus weit mehr Ländern, aus China und Russland zum Beispiel. Auch aus Nigeria, wo die Terrorgruppe Boko Haram im Kampf für einen Scharia-Staat nicht nur Schülerinnen verschleppt, sondern auch deren Lehrer ins Visier nimmt, erreichte die Delegierten ein dramatischer Appell: „Nichts hilft so sehr wie eure Präsenz vor Ort“, erklärte ein nigerianischer Gewerkschafter. „Kommt zu uns, gründet ein Büro. Wir brauchen euch.“ 

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