zurück
Magazin Mitbestimmung

Verabschiedung: Großer Bahnhof für Sommer

Ausgabe 06/2014

Viel Prominenz war da, darunter fast alle Kabinettsmitglieder, als DGB-Chef Michael Sommer auch als Vorstandsvorsitzender der Hans-Böckler-Stiftung am 2. Juni feierlich verabschiedet wurde. Saarstahl-Chef Karlheinz Blessing hielt eine Rede, die wir dokumentieren.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrter Herr Vizekanzler, meine Damen und Herren und natürlich lieber Michael Sommer! Es ist schon eine Bemerkung wert, wenn ein Vorstandsvorsitzender einer ganz normalen Aktiengesellschaft im Namen der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung eine Laudatio auf den scheidenden DGB-Vorsitzenden hält. Ich wüsste kein anderes Land, in dem so etwas denkbar wäre! Auch wenn hier biografische Zufälligkeiten mit eine Rolle spielen, so lassen sich dennoch grundsätzliche Ableitungen über unsere gelebte Sozialverfassung treffen wie auch Eigenheiten und Charakteristika über das Amtsverständnis und die Person Michael Sommers ablesen.

Meine Vorredner haben bereits umfänglich auf den gesellschaftlichen Wert und den ökonomischen Vorteil geregelter Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehungen hingewiesen. Tarifautonomie, betriebliche und unternehmerische Mitbestimmung bilden das Dreieck der umfangreichen Beteiligungs- und Verantwortungsstrukturen, in denen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Augenhöhe treffen. Nicht nur um Kompromisse im wechselseitigen Interesse zu schließen, sondern in denen sich auch das Interesse des Gemeinwohls wiederfindet.

Im Übrigen ist auch die Politik in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt, wenn sie nicht auf funktionierende Strukturen, eingeübte Handlungspraktiken und vertraute­ Personen zurückgreifen kann. Wo Mitbestimmung nicht vorhanden ist, greift auch der Staat ins Leere, wenn er konzertiert auf gesamtwirtschaftliche Ungleichgewichte reagieren will. Wie Deutschland die gravierende Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 überwunden hat, ist ein hervorragendes Beispiel für dieses Funktionieren von Strukturen und Personen.

Eine dieser zentralen Figuren damals war Michael Sommer. Klare Interessenwahrnehmung für die Arbeitnehmer einerseits, Dialogfähigkeit und Kompromissbereitschaft andererseits sind die Basis für solch ein erfolgreiches Wirken. Aber dies alleine wäre nicht ausreichend, wenn nicht eine gehörige Portion Vertrauen in die Person Michael Sommer hinzukäme. Dieses Vertrauen hat er sich erarbeitet, seit er 2002 in einer schwierigen Zeit für das Land, aber auch für die Gewerkschaften und den DGB selbst den Vorsitz übernommen hat.

Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, der letztlich auch für das Gelingen der Krisenbewältigung 2009 wichtig war: Michael Sommer hat die teilweise recht ideologisch überzogene Debatte um die Unternehmensmitbestimmung wieder auf eine rationale Grundlage gebracht. Mit der Einberufung einer zweiten „Biedenkopf-Kommission“ wurde diese Auseinandersetzung wieder auf einen nüchternen Kern reduziert, indem der Wert von Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Mitverantwortung der Arbeitnehmer entsprechend anerkannt und deren Weiterentwicklung empfohlen wurde. Ich glaube, es kann nicht ernsthaft bestritten werden, dass eine gemischte Stakeholder-Struktur, gepaart mit Mitbestimmung und Mitverantwortung der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften, die bessere Alternative zu einer staatlich gelenkten wie zu einer rein von den Kapitalmärkten abhängigen Wirtschaft darstellt. Michael Sommer jedenfalls stand und steht für dieses Wirtschaftsmodell!

Das hat er auch in seiner Rolle als langjähriger Vorsitzender der Hans-Böckler-Stiftung unter Beweis gestellt. Die Hans-Böckler-Stiftung ist keine übergeordnete sozialpartnerschaftliche Einrichtung, in der Gewerkschaften und Arbeitgeber paritätisch vertreten sind. Die Hans-Böckler-Stiftung stellt sich klar in den Dienst der Arbeitnehmerinteressen, so wie etwa das Institut der deutschen Wirtschaft das seinerseits für die Arbeitgeberverbände macht. Die Hans-Böckler-Stiftung macht das, indem sie Studierende, die über den zweiten Bildungsweg und aus nicht-akademischen Familien kommen, fördert; indem sie Träger der Mitbestimmung berät, qualifiziert und mit Daten und Fakten versorgt; indem sie Forschung betreibt und initiiert, die den besonderen Fokus auf Fragen und Themengebiete legt, die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen betreffen.

Michael Sommer hat hierbei immer großen Wert darauf gelegt, dass die Erkenntnisse der Hans-Böckler-Stiftung wissenschaftlich unangreifbar sind. Das bedeutet, dass die Hans-Böckler-Stiftung streng nach wissenschaftlichen Methoden arbeitet, dass die Ergebnisse also nachvollziehbar und überprüfbar sind, und das heißt natürlich in der Endkonsequenz, dass die Hans-Böckler-Stiftung über ein hervorragendes wissenschaftliches Personal verfügen muss. Michael Sommer war diese wissenschaftliche Fundierung ein großes Anliegen. Das bedeutete auch, dass er die wissenschaftliche Freiheit nach innen schützte und verteidigte, auch wenn mal wieder ein Forschungsergebnis zustande kam, das dem einen oder anderen Gewerkschafter nicht so richtig in den Kram passte.

FÖRDERER VON WISSENSCHAFT

Die Hans-Böckler-Stiftung verfügt über einen einzigartigen Fundus an wissenschaftlichen Untersuchungen, Daten und Fakten zu nahezu allen betrieblichen, tariflichen und sozialpolitischen Themen. Diese Erkenntnisse sind öffentlich zugänglich und können auch von politischen Entscheidungsträgern gerne in Anspruch genommen werden. Und apropos wissenschaftliche Politikberatung: Es wird gelegentlich darüber geklagt, dass die wissenschaftliche Politikberatung realitätsfern, wenig plural und von vorherrschenden Paradigmen geprägt sei. Dies gelte insbesondere für die Volkswirtschaftslehre. Dazu passt auch ein Aufruf, den vor wenigen Wochen Studenten der Wirtschaftswissenschaften aus 19 Ländern veröffentlicht und dem sich auch viele renommierte Professoren angeschlossen haben. Dieser Aufruf richtet sich gegen die „intellektuelle Monokultur der Volkswirtschaftslehre“ und drängt auf einen pluralen Neuanfang der Disziplin. Als 2005 eine wesentliche, keynesianisch ausgerichtete Forschungsstätte der Wirtschaftswissenschaften wegzubrechen drohte, hat Michael Sommer den Wissenschaftlern im Rahmen der Hans-Böckler-Stiftung eine neue Plattform eröffnet. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) unter der Leitung von Gustav Horn ist heute eine wissenschaftlich anerkannte und bedeutende Stimme im Kreise der Wirtschaftsinstitute weit über Deutschland hinaus. Auch diejenigen, die auf volkswirtschaftlichen Rat angewiesen sind, müssten über diesen Beitrag zum Pluralismus dankbar sein. Es kommt nicht oft vor, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten, dass ein Gewerkschaftsvorsitzender einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt des wissenschaftlichen Pluralismus leistet.

Europa ist unsere Zukunft! Das gilt auch für die Hans-Böckler-Stiftung! Michael Sommer hat den Weg der Europäisierung und Internationalisierung der Hans-Böckler-Stiftung eingeleitet. Dies geschah durch Kooperationen mit anderen Forschungseinrichtungen im Ausland und eine europäische und internationale Themensetzung wie auch durch eine internationalere Besetzung der Mitarbeiter, etwa bei den Forschern und Wissenschaftlern der Stiftung.

Mit Reiner Hoffmann (als künftigem Vorstandsvorsitzenden der Hans-Böckler-Stiftung, d. Red.) erhoffen wir uns eine weitere Intensivierung der europäischen Ausrichtung. Reiner Hoffmann weiß nicht nur, von was er redet, wenn er über Europa spricht, er verkörpert es auch aus eigener Berufs- und Lebenserfahrung. Es ist ein großes Glück, nicht nur für die Hans-Böckler-Stiftung, sondern auch für die Gewerkschaften, ja für das ganze Land, wenn gerade in diesen Zeiten der oberste Repräsentant der Gewerkschaften ein Europäer aus Erfahrung und Überzeugung ist. Die Hans-Böckler-Stiftung freut sich auch deshalb auf Reiner Hoffmann, weil man ihm die Stiftung nicht erklären muss, denn er kennt sie auch von innen durch seine über zehnjährige Tätigkeit in der Forschungsförderung der Stiftung. Und wenn ich hinzufügen darf, lieber Reiner, wir sind auch ein bisschen stolz, dass einer von uns nun DGB-Vorsitzender ist. Viel Glück und auf gute Zusammenarbeit!

Und dir, lieber Michael Sommer, danke ich im Namen der Hans-Böckler-Stiftung für ein gutes Jahrzehnt erfolgreicher Zusammenarbeit und wünsche dir beste Gesundheit und ein weiterhin glückliches Leben.

Herzlichen Dank und Glück auf!

Karlheinz Blessing ist Vorstandsvorsitzender der Dillinger Hütte und der Saarstahl AG und Mitglied im Vorstand der Hans-Böckler-Stiftung

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen