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Magazin Mitbestimmung

Interview: "Ein großes Angebot an Engagement"

Ausgabe 06/2014

Wolfgang Schroeder über seine Zusammenarbeit mit Bürgerstiftungen in seiner Zeit als Staatssekretär im Sozialministerium in Brandenburg und die Herausforderungen für die Gewerkschaften durch den Trend zu mehr Beteiligung. Die Fragen stellte Astrid Sauermann.

Welches Verhältnis hatten Sie als Staatssekretär im Sozial- und Arbeitsministerium zu Bürgerstiftungen?

Ich hatte Kontakt zu Bürgerstiftungen, die sich mit eigenen Initiativen vor Ort in den Handlungsfeldern engagieren, für die auf Landesebene das Sozialministerium zuständig ist. Das waren ganz praktische Aktivitäten wie die Unterstützung eines Vereins von Eltern behinderter Kindern mit Spenden, die Beschaffung von teils schon gebrauchten Computern für einen Seniorentreff. Und ganz wichtig war mir, zu sehen, dass sich viele Bürgerstiftungen ganz konkret für ein gesundes und bildungsorientiertes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen einsetzen: durch Leseförderung, gemeinschaftliche Spiel- und Freizeitaktivitäten und Projekte der Jugendarbeit. Hinter den gesellschaftlichen Anliegen der Bürgerstiftungen stehen Leute, die für eine Sache brennen und ein Problem erkannt haben. Die sind auch in der Lage, etwas voranzutreiben.

Für Sie sind Bürgerstiftungen also eine Ergänzung zu staatlichem Handeln?

Meist sind das sinnvolle Projekte, die nicht in Konkurrenz zu staatlichen Projekten stehen. Ich sehe auch nicht die Gefahr, dass Bürgerstiftungen den Sozialstaat verdrängen und damit staatliches Handeln überflüssig machen. Sie sind eine quantitative Ergänzung, denn da ist Geld, das investiert wird, und eine qualitative Ergänzung, weil da Leute sind, die besonders engagiert sind, die Probleme erkennen und sich etwa aus persönlicher Betroffenheit für eine bestimmte Personengruppe engagieren. Denn das sind für mich Bürgerstiftungen: verantwortungsbewusste Menschen unserer Gesellschaft, die ihre Ressourcen zur Verfügung stellen, um gesellschaftliche Probleme zu lösen. Da haben wir etwas gemeinsam.

Aber demokratisch legitimiert sind diese Stiftungen nicht, im Gegensatz zu Regierungen.

Nein. Aber das ist der wohlfahrtsstaatliche Pluralismus, wobei es natürlich auch Kriterien geben muss, ob die Projekte, die eine Bürgerstiftung anbietet, auch förderungswürdig sind und sich für eine Kooperation eignen. Es ist auch nicht alles gut, nur weil die Motivation gut war. Es gibt deshalb keine Blankoschecks für Bürgerstiftungen. Aber man sollte auch keine Blanko-Verdächtigungen aussprechen nach dem Motto, Bürgerstiftungen vertreten Partikularinteressen, zerstören sozialstaatliche Grundlagen, zersetzen den Staat und sind insofern ein Projekt des Neoliberalismus.

Wie sehen Sie das denn als Gewerkschafter? Verdrängen Bürgerstiftungen das klassische Engagement in großen Verbänden?

Das kann in der Tat der Fall sein. Wir haben in Deutschland keinen Rückgang des Engagements. Die Menschen können heute sogar aus einem größeren Angebot auswählen, wofür sie sich gern engagieren wollen. Das kann bedeuten, dass etablierte Organisationen zu Verlierern werden, wenn sie ihren Mitgliedern zu wenig Partizipationsmöglichkeiten bieten. Insofern stehen sie in Konkurrenz zueinander. Diese Herausforderung ist für die etablierten Verbände nicht schlecht, sie müssen sich bewegen und Mitmachangebote schaffen.

Stellen sich die Gewerkschaften dieser Herausforderung?

Ja, sie sind mitten in einem Prozess der kopernikanischen Wende, wie ich das nenne. Das heißt: Mitgliederorientierung und Beteiligung. Damit wird das gesamte Gewerkschaftswesen und -umfeld auf den Kopf gestellt. Die Gewerkschaften werden sich nachhaltig verändern müssen.

Welche Kritik gibt es aus gewerkschaftlicher Sicht an Bürgerstiftungen?

Aus gutem Grund wird kritisiert, wenn Bürgerstiftungen so tun, als sei durch ihre punktuellen Aktivitäten und durch individuelles Engagement der Sozialstaat des 21. Jahrhunderts auf einem guten Weg. Unsere Gesellschaft benötigt Strukturen, die nicht nur punktuell und projekthaft, sondern auch gesamtgesellschaftlich zur Verfügung gestellt werden müssen. Durch die Bürgerstiftungen kann der Eindruck erweckt werden, es wäre ausreichend, sich in einem kleinen Projekt zu engagieren, um gesellschaftliche Schieflagen auszugleichen. Und jeder wäre seines eigenen Glückes Schmied, man müsse sich nur genug anstrengen.

Ist das eine reale Gefahr?

Nein. Bürgerstiftungen sind ein Moment in einer pluralistischen Gesellschaft und einem pluralistischen Sozialstaat. Ich bin immer interessiert an innovativen Partnerschaften zwischen diesen exemplarischen Initiativen und einem verbandlich-staatlichen Handeln, das ein Interesse hat, die guten Lösungen allen zur Verfügung zu stellen.

Also Bürgerstiftungen als Ideenstifter?

In einigen Bereichen haben sie gute Impulse gesetzt, die wir in unsere Programme aufgenommen haben. Aber es kann natürlich auch nicht gewünschte Entwicklungen geben. Man muss das Ganze schon kontrollieren und braucht Transparenz.

Zur Person

Wolfgang Schroeder 53, ist Professor an der Universität Kassel mit dem Schwerpunkt politisches System der BRD. Daneben leitet er seit 2014 die Grundsatzabteilung der IG Metall. Schroeder war von 2009 bis 2014 Staatssekretär im Arbeits- und Sozialministerium des Landes Brandenburg.

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