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Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: Kämpfen gegen Lohndumping

Ausgabe 06/2014

Reinhard Bispinck, Abteilungsleiter des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung, über Mittel und Wege, den Flächentarifvertrag zu stärken.

Die Tarifautonomie und der Flächentarifvertrag eignen sich hervorragend für Sonntagsreden. Werktags sieht die Welt oft anders aus: Da löste sich im vergangenen Jahr Knall auf Fall die Tarifgemeinschaft der Kfz-Arbeitgeber in NRW auf und verweigert seitdem weitere Tarifabschlüsse. Da lehnt der Versandhändler Amazon es seit Monaten ab, überhaupt nur über Tarifverträge zu verhandeln. Da gliedert der Verleger Heinrich Heinen („Kölnische Rundschau“), der selbst als Arbeitgeber die bundesweiten Tarifverhandlungen für Journalisten führt, Teile seiner Redaktion in eine nicht tarifgebundene Tochterfirma aus. Die Liste mit Beispielen für gezielte Tarifverweigerung und bewusste Tarifflucht ist lang.

Hinter den Einzelfällen verbergen sich strukturelle Ursachen für die Erosion des Tarifsystems. Sie reichen von gezielter Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt über schärferen Wettbewerb, neue Unternehmensstrategien mit zunehmend fragmentierter Betriebslandschaft bis hin zum Rückgang gewerkschaftlicher Organisationsmacht.
Das Ergebnis: Der Anteil der Beschäftigten, die nach Tarifvertrag bezahlt werden, sinkt seit zwei Jahrzehnten. 1996 galten in Westdeutschland noch für 70 Prozent der Beschäftigten Branchentarifverträge, 2013 waren es nur noch 52 Prozent. In Ostdeutschland gingen die Werte von 56 auf 35 Prozent zurück. Relativ stabile Tarifverhältnisse bestehen im öffentlichen Dienst, in einigen Industriezweigen und dort insbesondere in den Großbetrieben. Problematisch sieht es dagegen im privaten Dienstleistungsbereich und generell in Klein- und Mittelbetrieben aus, wo die Tarifbindung häufig auf ein Drittel und weniger absinkt.

Die aktuellen Zahlen zur Tarifbindung zeigen: Nur noch die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland arbeitet in einem Betrieb mit gültigem Branchentarifvertrag. Doch erstmals seit Jahren ist der Anteil stabil geblieben. Die seit Jahren geführte Kampagne der Gewerkschaften gegen Lohndumping und prekäre Beschäftigung trägt inzwischen Früchte, das Thema steht auf der politischen Agenda. So verfolgt die Große Koalition aktuell mit dem „Tarifautonomiestärkungsgesetz“ zwei Reformvorhaben: Zum einen geht es um die Etablierung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohnes. Anders als manche Gegner des gesetzlichen Mindestlohns behaupten, führt er nicht zur Schwächung, sondern zur Stärkung der Tarifautonomie. Er unterbindet Niedrig- und Dumpinglöhne bis zu einem gewissen Grad, stärkt damit die Wirkung der Tariflöhne. In vielen Branchen konnten die Gewerkschaften bereits im Vorfeld seiner Einführung tarifliche Mindestlöhne vereinbaren, die am Ende über 8,50 Euro liegen. Wichtig ist dabei: Je restriktiver die Ausnahmen gestaltet werden, umso effektiver wird sich die Wirkung des Mindestlohnes entfalten. Ergänzend dazu wird das Arbeitnehmerentsendegesetz für alle Branchen geöffnet. Damit erhalten die Tarifparteien bessere Möglichkeiten, oberhalb des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohnes branchenspezifisch höhere Mindestlöhne zu vereinbaren. Davon wird bereits jetzt in 14 Branchen Gebrauch gemacht.

Zum anderen soll die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) erleichtert werden: Allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge gelten auch für Betriebe, die ursprünglich nicht tarifgebunden sind. Früher wurde das Instrument in vielen Branchen genutzt, heute gelten allgemeinverbindliche Lohn- und Gehaltstarifverträge nur noch für etwa zwei Prozent der von Tarifverträgen erfassten Beschäftigten. Die Ursachen: das Desinteresse vieler Arbeitgeberverbände, ferner die restriktive Haltung des Arbeitgeberdachverbandes BDA im Tarifausschuss sowie die rückläufige Tarifbindung, sodass oft das 50-Prozent-Quorum nicht erfüllt wird. Dieses Quorum soll nun fallen. Das ist ein wichtiger Schritt, aber er reicht nicht aus. Vor allem die Rolle der Branchentarifpartner muss gestärkt werden. Am besten wäre es, sie hätten jeweils Sitz und Stimme im Tarifausschuss. Mit diesen beiden Reformvorhaben setzt die Politik endlich einen Teil der Erkenntnisse um, die wir aus Erfahrungen in zahlreichen europäischen Ländern bereits seit Langem gewonnen haben: Der Staat kann mit der Regulierung von Mindestlöhnen und allgemeinverbindlichen Tarifverträgen einen wirkungsvollen Beitrag zur praktischen Stärkung des Tarifsystems leisten.

Im Übrigen bietet auch der tarifpolitische Alltag positive Nachrichten: Im Kfz-Gewerbe NRW hat die IG Metall auf die Arbeitgeberverweigerung reagiert und inzwischen eine Reihe von Haustarifverträgen durchsetzen können. Und im Einzelhandel ist es ver.di kürzlich gelungen, für die Beschäftigten der Modekette Zara eine bundesweite Tarifbindung auszuhandeln. Daraus wird deutlich: So wichtig die politische und gesetzliche Stützung des Tarifsystems ist, die Verteidigung und Ausweitung der Tarifbindung ist und bleibt vornehmlich eine Aufgabe der Tarifvertragsparteien. 

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