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HBS Böckler Impuls

Energiewende: Stromrechnung allein macht nicht arm

Ausgabe 09/2014

Wird die Energiewende für den Durchschnittshaushalt zu teuer? Ein aktuelles Gutachten gibt Entwarnung. Aber: Fünf Millionen Menschen in Deutschland leben in „Elektrizitätsarmut“ – wegen unzureichender Löhne oder Sozialleistungen.

Es sei erstaunlich, wie die Kostenbelastung durch die Energiewende zuweilen dramatisiert werde, schreiben Heinz-Josef Bontrup und Ralf-Michael Marquardt in einer neuen Studie. Schließlich entfallen nur gut zwei Prozent der Konsum­ausgaben privater Haushalte auf Strom. Und der gesamte Warenkorb eines Drei-Personen-Haushalts hat sich durch die Energiewende um maximal drei Prozent verteuert, wie die Professoren an der Westfälischen Hochschule und Mitglieder des Westfälischen Energieinstituts ausgerechnet haben. Darin enthalten sind zum einen die direkten Mehrkosten des Stroms – plus 47 Prozent im Vergleich zu einem Szenario ohne Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und andere ökologisch motivierte Preisaufschläge. Zum anderen haben die Wissenschaftler mit einem komplexen Modell ermittelt, inwieweit gestiegene Stromkosten zu höheren Preisen bei anderen Gütern führen. Auch dies ist eingerechnet.

Die Energiewende entfalte „beim privaten Durchschnittshaushalt nur eine recht moderate Gesamtwirkung“, urteilen Bontrup und Marquardt. Zwar müssten künftig Milliarden in den Netzaufbau investiert werden. Die reinen Herstellungs- und Beschaffungskosten des Stroms dürften in nächster Zeit aber zurückgehen – gerade wegen der Energiewende. Denn so konnten ältere, unwirtschaftliche Kraftwerke vom Netz genommen werden. Außerdem hat die Konkurrenz unter den Stromerzeugern zugenommen. Eine indirekte Entlastung könnte sich auch über Preisrückgänge bei Kohle und Gas wegen der sinkenden Nachfrage nach diesen Energieträgern ergeben.

Dass der Durchschnittshaushalt die Förderung erneuerbarer Energien finanziell verkraften dürfte, heiße aber nicht, dass die so genannte Energiearmut kein Problem sei, betonen die Forscher. Nur: Der größte Teil der „Elektrizitätsarmen“ wäre auch ohne Energiewende arm.

Für den verbreiteten Begriff Energiearmut, der sich nicht nur auf Strom, sondern auch auf Gas oder Heizöl bezieht, existiert keine verbindliche Definition. Unstrittig ist immerhin, wer – im Falle der Elektrizität – in absoluter Armut lebt: diejenigen, denen der Strom abgedreht wurde, weil sie ihre Rechnung nicht bezahlen konnten. 2011 waren dies 312.000 Haushalte in Deutschland. Als „relativ elektrizitätsarm“ bezeichnen Bontrup und Marquardt in Anlehnung an eine in Großbritannien übliche Abgrenzung solche Haushalte, die mehr als fünf Prozent ihres verfügbaren Einkommens an ihren Stromanbieter abtreten müssen.

Anhand üblicher Verbrauchsmengen und durch die Betrachtung typischer Haushaltskonstellationen konnten die Forscher das Ausmaß der relativen Stromarmut in Deutschland abschätzen. Dabei zeigt sich:

Ein Drei-Personen-Haushalt, in dem der Haupteinkommensbezieher 40 Stunden in der Woche zum Durchschnittsverdienst arbeitet, ist nicht betroffen. Das ändert sich aber, wenn der Hauptverdiener zu einem Niedriglohn arbeitet. Bekommt er Arbeitslosengeld I, gilt analog: Wer zuvor durchschnittlich verdient hat, rutscht nicht in die Elektrizitätsarmut, frühere Niedriglohnempfänger aber schon.

Durchweg fallen Hartz-IV-Haushalte unter die Elektrizitäts-Armutsgrenze. Bei Rentnern trifft dies dagegen nur für bestimmte Haushaltstypen zu. Zum Beispiel für viele allein lebende Frauen oder Zwei-Personen-Haushalte mit nur einer Rente.

Insgesamt weist die Berechnung der Forscher für 2013 rund fünf Millionen unter „Elektrizitätsarmut“ leidende Menschen in Deutschland aus, von denen 3,3 Millionen auch ohne ökologische Umorientierung in der Energieerzeugung betroffen wären. Bontrup und Marquardt prognostizieren, dass die „Stromarmut“ in Zukunft weiter zunehmen wird. Auch wenn keine Preisexplosion beim Strom zu erwarten ist: Schneller als Niedrigeinkommen und der Hartz-IV-Satz dürfte der Preis für Strom allemal weiter steigen. Verhindern ließe sich eine Ausweitung der Armut durch höhere Energiekosten nur, wenn der „gigantischen Umverteilung“ von den Arbeits- zu den Besitzeinkommen eine substanzielle Erhöhung der Grundsicherung entgegengestellt würde, so die Forscher. Zudem müsse der gesetzliche Mindestlohn nicht nur eingeführt, sondern auch regelmäßig in der Höhe angepasst werden.

  • Nur ein Fünfstigstel des Budgets der Konsumausgaben entfallen auf Strom. Zur Grafik

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