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Magazin Mitbestimmung

Tarifpolitik: Werkvertragsnehmer mit im Boot

Ausgabe 04/2014

Die Pläne für den Mindestlohn zeigen in der bislang kaum regulierten Fleischindustrie schon Wirkung: Die Tarifpartner haben sich auf einen Branchenmindestlohn geeinigt. Der gilt auch für die ausländischen Werkvertragsarbeiter. Von Guntram Doelfs.

Wohl kaum eine Branche ist in den vergangenen Jahren wegen ihrer oft skandalösen Arbeitsbedingungen so unter Beschuss geraten wie die deutsche Fleischindustrie. Seit vielen Jahren werden dort durch Missbrauch von Werkverträgen besonders osteuropäische Arbeitnehmer zu menschenunwürdigen Konditionen beschäftigt: reale Stundenlöhne von teilweise drei Euro, Unterbringung in völlig überbelegten und heruntergekommenen Unterkünften, fehlende Gesundheitsversorgung und Subunternehmerketten, die in einigen Fällen eine bedenkliche Nähe zum organisierten Verbrechen aufweisen.

Lange Zeit rannte die Gewerkschaft NGG vergeblich gegen die Tatenlosigkeit von Politik und Wirtschaft an, um diese Zustände endlich zu beenden. Nun zeigen die schlechten Schlagzeilen offenbar Wirkung: Ab dem 1. Juli 2014 kann der Mitte Januar vereinbarte tarifliche Mindestlohn für alle rund 80 000 Arbeitnehmer in Kraft treten. Die Grundlage dafür, dass er auch für die ausländischen Beschäftigten mit Werkverträgen gilt, schuf die Bundesregierung am 26. Februar – mit einem Gesetz zur Aufnahme der Fleischindustrie in das Entsendegesetz. So kann der Mindestlohn auch für die in Subunternehmerketten beschäftigten Werkvertragsarbeitnehmer – trotz der weitgehenden Tariffreiheit der Branche – schnell für allgemeinverbindlich erklärt werden.

HOLPRIGE VERHANDLUNGEN Für den NGG-Vizevorsitzenden Claus-Harald Güster bedeutet der Tarifvertrag über den Mindestlohn zwar „keine Zeitenwende für die Branche, aber immerhin ist er ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt Güster, der auch Verhandlungsführer der Gewerkschaft war. Er hofft darauf, dass nun in der bislang weitgehend tarifvertragsfreien Fleischindustrie auch der Weg hin zu einem Flächentarifvertrag gegangen werden kann. Auch Arbeitgeber-Verhandlungsführerin Valerie Holsboer, Geschäftsführerin der Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss e.V. (ANG), zeigte sich nach dem Abschluss zufrieden, weil dieser die Akzeptanz der Unternehmen habe, so Holsboer im ZDF.

Für die schnelle Einführung eines tariflichen Mindestlohnes war die NGG zu Konzessionen bereit. So startet der tarifliche Mindestlohn im Juli 2014 mit einer Höhe von 7,75 Euro, um dann sukzessive bis auf 8,75 Euro ab dem 1. Dezember 2016 zu steigen. Er liegt damit zu Beginn deutlich unter dem geplanten gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro und überschreitet dessen Höhe erst ab Oktober 2015. Andererseits gibt es keine unterschiedlichen Mindestlöhne in Ost und West. Der einheitliche Mindestlohn ist für die NGG ein zentraler Punkt der Einigung. „Wir wollten unbedingt Einheitlichkeit erreichen, auch wenn das intern in der NGG für Diskussionen gesorgt hat. In einem hohen solidarischen Akt stimmten unsere Westkollegen jedoch zu, auch im Westen für kurze Zeit unter 8,50 Euro zu bleiben, wenn wir damit einen einheitlichen Mindestlohn hinbekommen“, so Güster.

Wie heikel die Tarifverhandlungen waren, zeigt deren Verlauf. Schon vor Weihnachten wurden die im Oktober gestarteten Verhandlungen abrupt wieder beendet, als der regionale Arbeitgeberverband VDEW (Verband der Ernährungswirtschaft), der sie zunächst führte, diese ohne Nennung eines neuen Termins abbrach. Die Arbeitgeber wollten laut Güster eine Höhe von 8,50 Euro nicht akzeptieren und strebten dazu noch eine Laufzeit bis 2018 an. Womit der VDEW offenbar nicht gerechnet hatte, war der Frust und der zunehmende Druck auch von Arbeitgebern außerhalb der Fleischwirtschaft, eine Einigung mit der NGG zu erzielen – und so die Branche endlich aus den Negativschlagzeilen zu bekommen. Laut „FAZ“ intervenierte sogar BDA-Präsident Ingo Kramer und sorgte dafür, dass der ANG als Bundesverband der Branche die Verhandlungen auf Arbeitgeberseite übernahm.

ARBEITSBEDINGUNGEN WEITER VERBESSERUNGSWÜRDIG Bei der NGG bleibt man gleichwohl skeptisch, denn der beste Mindestlohn „taugt nichts, wenn er nicht konsequent kontrolliert wird“, sagt Matthias Brümmer, Geschäftsführer der NGG-Region Oldenburg/Ostfriesland, wo ein Großteil der deutschen Fleischfabriken ihren Sitz hat. Brümmer spricht aus leidvoller eigener Erfahrung. Der Zoll hat bislang nicht nur viel zu wenig Personal für Kontrollen. Ihm wird auch regelmäßig von politischer Seite die Kontrollarbeit erschwert, wie Ende 2012 ein Zollverantwortlicher eindrucksvoll auf einer von Brümmer organisierten Veranstaltung im oldenburgischen Essen schilderte. Schließlich ist die Fleischindustrie einer der größten Arbeitgeber in der Region. NGG, aber auch regionale Politiker wie der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) fordern deshalb, umgehend die offenen Stellen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu besetzen und die Staatsanwaltschaften auszubauen. Etwa durch „Bildung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft“, wie Matthias Brümmer vorschlägt. Auch hier muss der Bund handeln, denn als Abteilung des Zolls wird die Finanzkontrolle Schwarzarbeit durch den Bund finanziert.

Zudem wird mit dem Mindestlohn und seiner Aufnahme in das Entsendegesetz nur ein Aspekt geregelt. Viele weitere Punkte der Arbeitsbedingungen müssen entweder tarifvertraglich, gesetzlich oder schlicht durch eigentlich selbstverständliches Handeln der Arbeitgeber verbessert werden. Dazu zählen menschenwürdige Unterkünfte und ein kostenloser Transport zum Arbeitsplatz. Bislang nehmen nämlich viele Subunternehmer ihren rumänischen oder bulgarischen Arbeitern durch hohe Mieten oder zusätzliche Transportkosten einen erheblichen Teil des ohnehin kargen Salärs gleich wieder ab. Auch andere wichtige Punkte wie die Einhaltung von Arbeitszeiten oder die Frage von Urlaubsgeld sind weiterhin ungeklärt.

VERZICHT AUF WERKVERTRÄGE? Inzwischen fordern Betroffene und NGG, Werkvertragsarbeitnehmer direkt bei den Unternehmen anzustellen und damit den Missbrauch durch Subunternehmerketten zu verhindern. Noch sind viele Arbeitgeber kategorisch dagegen, aber die Front bröckelt. Bernd Stange, Geschäftsführer von Vion Food Deutschland, plädierte im „Berliner Tagesspiegel“ bereits im Oktober 2013 dafür, sich vom „Modell der Werkverträge zu verabschieden“. Bei Westfleisch, immerhin Nummer drei der Branche, sind für die diesjährige Grillsaison seit März rund 200 rumänische Werkvertragsarbeiternehmer erstmals direkt bei einer Konzerntochter angestellt.

Der ostwestfälische Großschlächter hatte auf Wandel gesetzt, nachdem er 2005/2006 selbst in die Schlagzeilen geraten war und Ermittlungen gegen Subunternehmer und Westfleisch-Manager nur gegen eine Zahlung von 100.000 Euro und eine Nachzahlung von 2,4 Millionen Euro Sozialbeiträgen eingestellt worden waren. 2007 schloss man mit der NGG Tarifverträge und führte zudem einen internen Mindestlohnlohn von 7,50 Euro ein. Neben der jüngst beschlossenen Übernahme von Werkvertragsarbeitern unterstützt Westfleisch die Rumänen auch bei der Wohnungssuche und organisiert auch einen Transport zum Betrieb – ohne dafür horrende Kosten vom Arbeitslohn abzuziehen.

Für die NGG bleibt Westfleisch in puncto Beschäftigung von Werkvertragsarbeitnehmern ein positives Beispiel dafür, wie man es besser machen kann – wenn man nur will. Auch das Management von Westfleisch sucht inzwischen den normalen sozialpartnerschaftlichen Dialog mit der Gewerkschaft. „Das sture Schalten auf Konfrontation hilft keiner Seite“, sagt Westfleisch-Personalchef Oliver Reich.



INTERVIEW

 „Die Marktbedingungen sind dann für alle gleich“

Westfleisch-Personalchef Oliver Reich über die Integration von 200 rumänischen Beschäftigten in seinem Unternehmen und die Veränderungen, die der vereinbarte Mindestlohn für die Branche bedeutet

Westfleisch will Werkvertragsarbeitnehmer zukünftig direkt beschäftigen. Ab wann wird das der Fall sein?
Wir haben seit Anfang März für die kommende Grillsaison 143 rumänische Mitarbeiter fest angestellt, zunächst befristet für ein halbes Jahr. Insgesamt gehen wir von rund 200 rumänischen Beschäftigten aus, die direkt bei einer Konzerntochter beschäftigt sein werden. Diese Mitarbeiter stellen wir übrigens zu einem Stundenlohn von 8,50 Euro ein.

Warum haben Sie sich jetzt zu diesem Schritt entschlossen?
War der öffentliche Druck zu groß? Westfleisch versucht bereits seit 2007, bestimmte Standards auch im Bereich der Subunternehmer durchzusetzen. Wir haben schon 2007 einen Mindestlohn von 7,50 Euro für Werkvertragsarbeitnehmer festgelegt. Jeder Subunternehmer, der mit uns einen Vertrag abschließen wollte, musste garantieren, dass er seinen Mitarbeitern 7,50 Euro brutto pro Stunde zahlt. Zudem musste er zustimmen, dies von externen Wirtschaftsprüfern prüfen zu lassen.

Haben diese Kontrollen tatsächlich stattgefunden?
Ja, haben sie. Es gab auch Abweichungen, die zum Teil zu empfindlichen Geldstrafen geführt haben. Wir haben den Werkvertragspartnern vorher gesagt: Wenn ihr euch nicht daran haltet, müsst ihr mit einem Bußgeld von bis zu 25.000 Euro rechnen. Bußgelder in dieser Höhe haben wir insgesamt vier oder fünf Mal ausgesprochen. Hinzu kamen weitere Bußgelder, die sich auf rund 10.000 Euro summierten. Das kassierte Geld haben wir den Betriebsräten zur Verfügung gestellt, die damit karitative Zwecke unterstützten.

Sie stimmen sich in dieser Frage eng mit dem Betriebsrat ab?
Es läuft nur in Absprache mit den Betriebsräten. Unser Selbstbild bei Westfleisch ist von dem Anspruch geprägt, qualitativ hochwertige Produkte zu erzeugen, mit den Tieren schonend umzugehen und der Verantwortung allen Mitarbeitern gegenüber gerecht zu werden. Bei uns als genossenschaftlich geführtem Unternehmen zählen solche Werte vielleicht mehr als in einem inhabergeführten Unternehmen.

Ist die Festanstellung der rumänischen Mitarbeiter für ein halbes Jahr nur ein Testlauf?
Das hängt davon ab, wie sich das Projekt entwickelt und wie erfolgreich es tatsächlich ist. Im Gegensatz zu deutschen Mitarbeitern, die die Sprache beherrschen und lokal vernetzt sind, ist die Anstellung von 200 nicht deutschsprachigen Arbeitnehmern eine Herausforderung. Wir haben deshalb extra eine Rumänin eingestellt, die seit mehreren Jahren in Deutschland lebt und die sich nun um die administrative Begleitung der Mitarbeiter kümmert. Sie übersetzt, geht mit den Mitarbeitern auf Ämter. Wir müssen nun schauen, wie sich dieses Umfeld insgesamt entwickelt – und natürlich müssen wir darauf achten, wie diese Aktion in der lokalen Öffentlichkeit aufgenommen wird. Wir Deutschen sind nicht immer gastfreundlich.

Sie stellen die rumänischen Arbeiternehmer nicht nur direkt an, sondern gehen auch sonst andere Wege als Ihre Konkurrenz – etwa bei der Beschaffung von Wohnungen.
Richtig. Wir koordinieren und helfen den Mitarbeitern bei der Wohnungssuche. Wir sprechen dazu Vermieter an, wir vermieten aber nicht selbst – und es gibt auch keine Abzüge vom Entgelt. Für die Mitarbeiter wird es damit leichter, eine Wohnung zu finden. Etwas Ähnliches machen wir beim Transport der Mitarbeiter.

Was meint das konkret?
Wir bieten einen Bustransfer an. Der Mitarbeiter kann das Angebot annehmen, muss aber nicht. Wenn er es macht, sind Preise und Konditionen fix. Es ist ein Angebot, keine Verpflichtung mit Entgeltabzug. Die Leute nutzen das gerne.

Wird der nun vereinbarte Mindestlohn in der branche Ihrem Unternehmen wirtschaftliche Probleme bereiten?
Nein, davon gehen wir nicht aus.

Erwarten Sie also einen positiven Effekt durch den Mindestlohn?
Zumindest in der Hinsicht, dass die Marktbedingungen dann für alle gleich sind. Inwiefern die Branche die dadurch insgesamt gestiegenen Kosten gegenüber den Kunden im Einzelhandel wird durchsetzen können, ist allerdings eine andere Frage.

Westfleisch - eine Genossenschaft mit Betriebsrat

Die Westfleisch-Gruppe ist mit einem Jahresumsatz von rund 2,5 Milliarden Euro (2013) die Nummer drei der deutschen Fleischindustrie, nach Tönnies und Vion und vor Danish Crown. Die 1928 gegründete Genossenschaft mit Hauptsitz in Münster zählt rund 4000 Mitglieder, überwiegend Landwirte, und beschäftigt nach eigenen Angaben derzeit rund 2000 Mitarbeiter fest. Hinzu kommen vor allem saisonal rund 2000 Vertragsarbeitnehmer. Westfleisch schließt seit 2007 Tarifverträge mit der NGG; zudem gibt es einen Betriebsrat.

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