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HBS Böckler Impuls

Mindestlohn: Ausnahmen für Arbeitslose unzulässig

Ausgabe 06/2014

Beim Mindestlohn sind teilweise weitreichende Ausnahmen im Gespräch. Einer rechtlichen Prüfung würden die meisten Vorschläge nicht standhalten.

In der Mindestlohndebatte spielen nicht nur sozialpolitische und ökonomische Argumente eine Rolle, sondern auch juristische Aspekte. Umstritten ist unter anderem, inwieweit Ausnahmen rechtlich zulässig wären. Andreas Fischer-Lescano, Professor am Zentrum für Europäische Rechtspolitik der Universität Bremen, hat sich in einem Gutachten für das WSI und den DGB mit dieser Frage auseinandergesetzt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Ausnahmeregelungen nur für ehrenamtlich Tätige, Azubis und Praktikanten zu rechtfertigen wären. Andere Personenkreise wie Langzeitarbeitslose oder Jugendliche vom Mindestlohn auszuschließen, wäre rechtlich unzulässig.

Das Grundgesetz steht nach Fischer-Lescanos Analyse einem flächendeckenden allgemeinen Mindestlohn nicht im Wege. Im Gegenteil sei der Schutz menschenwürdiger Arbeitsbedingungen verfassungsrechtlich geboten. Da der so genannte Gleichheitssatz in Artikel 3 die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem verbiete, wären Ausnahmen nur unter strengen Voraussetzungen möglich. Der Rechtswissenschaftler nennt drei Gruppen, die für Sonderregelungen in Frage kämen: Wer sich ehrenamtlich engagiere, habe in der Regel keine Erwerbsabsicht und sei daher nicht als Arbeitnehmer zu betrachten. Ähnlich verhalte es sich mit Praktikanten und Azubis, bei denen der Qualifikationserwerb im Vordergrund stehe. Allerdings, mahnt der Autor, müsse der Gesetzgeber Ausnahmen eng fassen. Er sollte sicherstellen, dass Ehrenämter nicht als verdeckte Arbeitsverhältnisse missbraucht werden. Für Nebentätigkeiten von Azubis müsse der Mindestlohn ebenso gelten wie für Praktikanten, die kein ausbildungsrelevantes Pflichtpraktikum absolvieren.

Pauschale Ausnahmen für Studierende wären laut dem Gutachten verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Denn wer neben dem Studium Geld verdiene, befinde sich in einem Arbeitsverhältnis. Das Argument, dass Studierende nicht schutzwürdig seien, weil sie ihren Unterhalt typischerweise auch durch elterliche oder staatliche Unterstützung bestreiten könnten, hält Fischer-Lescano nicht für überzeugend. Umfragen zufolge sei mehr als die Hälfte der Hochschüler auf Erwerbsarbeit wirtschaftlich angewiesen, nicht zuletzt aufgrund unzulänglicher BAföG-Sätze. Daher gebe es keinen vernünftigen Sachgrund, Studierende von einem allgemeinen Mindestlohn auszuschließen.

Ähnliches gelte für Rentner. Befürworter von Ausnahmeregelungen machen geltend, dass Ruheständler bereits durch ihre Altersversorgung abgesichert seien, also keinen Schutz brauchten. Tatsächlich, so der Jurist, sei aber eine wachsende Zahl Älterer von Armut betroffen und auf staatliche Grundsicherung angewiesen. Zudem sei besonders die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ausgesprochen streng, was Altersdiskriminierung angehe.

Forderungen nach Ausnahmen für Jugendliche und Berufsanfänger werden oft damit begründet, dass niemand dazu verleitet werden sollte, statt einer Lehrstelle einen besser bezahlten Aushilfsjob anzunehmen. Das Problem: Internationale Erfahrungen mit entsprechenden Differenzierungen beim Mindestlohn deuten laut Fischer-Lescano darauf hin, dass die Steuerungswirkung eher begrenzt ist. Zudem unterminierten Ausnahmeregelungen für Jugendliche die Bekämpfung von Lohndumping.

Da Befristung allein nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts keine Schlechterstellung beim Entgelt rechtfertigen kann, wären Ausnahmen für Saisonarbeiter ebenfalls unzulässig – genauso wie Sonderregeln für Taxifahrer oder Erwerbslose. Das gebiete das Grundgesetz: „Die Basislinie zur Sicherung würdiger Arbeitsbedingungen gilt auch für die Arbeitsverhältnisse Langzeitarbeitsloser. Sie gilt branchenübergreifend.“

Auch wenn es um Sonderregelungen für Teilzeit oder Minijobs geht, kann der Rechtswissenschaftler keinen legitimen Zweck im Sinne des Artikels 3 erkennen. Weil überdurchschnittlich viele Frauen in solchen Beschäftigungsformen arbeiten, wären Ausnahmen kaum mit Artikel 157 des Vertrags über die Arbeitsweise in der Europäischen Union vereinbar, der sogar verdeckte Formen von Geschlechterdiskriminierung beim Entgelt verbiete.

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