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Magazin Mitbestimmung

Analyse: Niemand plant, die Mitbestimmung einzuschränken

Ausgabe 09/2013

Anders als in früheren Jahren profiliert sich keine Partei mit mitbestimmungsfeindlichen Plänen. Selbst die FDP blendet das Thema aus. Ein Blick auf die Wahl- und Regierungsprogramme. Von Marie Seyboth und Rainald Thannisch

Allgemeinplätze von der Union: CDU und CSU verweisen in ihrem Regierungsprogramm darauf, dass das Zusammenspiel von Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräten sowie Arbeitgebern sich ebenso wie die Tarifautonomie gerade in der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise bewährt habe. Wörtlich heißt es: „Für uns bleiben Sozialpartnerschaft, Tarifautonomie und Mitbestimmung wesentliche Grundlagen unserer sozialen Marktwirtschaft.“ Diese Äußerung stellt – so allgemein sie auch sein mag – einen wesentlichen Unterschied zu dem Regierungsprogramm von 2009 dar, in dem keinerlei Aussagen zur Mitbestimmung oder zu Betriebsräten zu finden waren.

Dennoch bleibt Raum für Spekulationen, ob und wie eine unionsgeführte Regierung wichtige Zukunftsfragen der Mitbestimmungspolitik angehen wird. Zum Thema Werkverträge wird – auch hier wieder in sehr allgemeinen Worten – darauf hingewiesen, dass diese ein „wichtiges Instrument am Arbeitsmarkt“ seien. Gerade deshalb sei mit den Sozialpartnern sicherzustellen, dass diese nicht missbraucht werden, „um bestehende Arbeitsregeln und Lohnuntergrenzen zu unterlaufen“. Auf die großen Herausforderungen der Unternehmensmitbestimmung, die in der Harmonisierung des Gesellschaftsrechts in Europa und in der grenzüberschreitenden Mobilität der Unternehmen liegen, geben CDU und CSU keine Antworten.  

Kein Thema für die FDP: Die Unverbindlichkeit im Wahlprogramm von CDU und CSU wird vom „Bürgerprogramm“ der FDP noch getoppt. Die Partei verzichtet konsequent darauf, Aussagen zur Mitbestimmung zu treffen. Stattdessen spricht sie sich für eine Stärkung der Aktionärsrechte aus: „Deshalb wollen wir beispielsweise den Einfluss der Hauptversammlung auf die Vergütung des Managements stärken, indem wir Vergütungen der Vorstände oberhalb bestimmter Rahmenvorgaben und Beträge an die Zustimmung durch die Gesellschafter knüpfen.“ Doch wer sind die Gesellschafter? Die meisten Aktien gehören nationalen und internationalen institutionellen Anlegern. Im DAX 30 werden 62 Prozent der Aktien von institutionellen Investoren wie Banken, Versicherungen, Pensions- oder Hedgefonds sowie Private-Equity-Gesellschaften gehalten. Wer die Rechte der Gesellschafter stärken will, sollte zugeben, dass er die Rechte der Finanzinvestoren stärken und die der demokratisch gewählten Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat schwächen will. 

SPD - Klares Ja zur Mitbestimmung: Die SPD bekennt sich in ihrem „Regierungsprogramm“ ausdrücklich zur Mitbestimmung. Dort heißt es: „Wir wollen mehr Demokratie im Betrieb. Mitbestimmte Unternehmen sind auch wirtschaftlich erfolgreicher. Mitbestimmung ist ein wesentliches Element unserer Vorstellung von Wirtschaftsdemokratie und hat sich bewährt. Wirtschaftsdemokratie durch Mitbestimmung erfüllt die Forderung des Grundgesetzes: ‚Eigentum verpflichtet.‘ Wir wollen die Mitbestimmung – auch auf europäischer Ebene – stärken und eine Flucht aus der Mitbestimmung wirkungsvoll verhindern.“ Konkret spricht sich die SPD bei der Unternehmensmitbestimmung für einen gesetzlichen Mindestkatalog zustimmungspflichtiger Geschäfte und für die Absenkung der Schwellenwerte der paritätischen Mitbestimmung auf 1000 Beschäftigte aus. Damit werden zentrale mitbestimmungspolitische Forderungen des DGB aufgenommen. Positiv ist hervorzuheben, dass die SPD eine „Flucht vor der Mitbestimmung“ durch ausländische Unternehmen mit Sitz in Deutschland verhindern will, indem die Unternehmensmitbestimmung auch für diese Unternehmen gelten soll. Diese Forderung unterstützt die Gewerkschaften und ist ein wichtiger Schritt in Richtung „soziales Europa“. Denn die Unternehmensmitbestimmung ist Ausdruck der Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit, sie steht für eine an sozialen, nachhaltigen und ökologischen Belangen ausgerichtete Unternehmenspolitik. Diese Prämissen müssen für alle Kapitalgesellschaften, die in Deutschland tätig sind, gelten, unabhängig von ihrer Rechtsform.

Schade ist, dass die SPD in ihrem Regierungsprogramm darauf verzichtet, wie vom DGB gefordert, weitere Elemente der erfolgreichen Montanmitbestimmung in das Mitbestimmungsgesetz von 1976 aufzunehmen. Im Regierungsprogramm findet sich kein Hinweis auf die Einführung einer neutralen Person in den Aufsichtsrat und auch keine Forderung nach einem Vetorecht der Arbeitnehmerbank bei der Bestellung des Arbeitsdirektors im Mitbestimmungsgesetz. Damit fällt es hinter einen Antrag der SPD-Bundestagsfraktion vom 16. Juni 2010 zurück, in dem beide Forderungen bereits erhoben wurden.

Die SPD will durch eine stärkere Beteiligung der Betriebsräte prekäre Beschäftigung zurückdrängen. Dies gilt insbesondere für Umfang und Dauer von Leiharbeit, befristeter Beschäftigung und Werkverträgen im Betrieb. Beim Einsatz von Fremdbeschäftigten fordert die SPD, die frühzeitigen Beratungs- und Verhandlungsrechte des Betriebsrats auszuweiten und das Zustimmungsverweigerungsrecht bei dem Einsatz von Fremdpersonal zu verbessern. Außerdem sollen die Mitbestimmungsrechte bei der Weiterbildung und beim Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ausgeweitet werden. Im Bereich der Vorstandsvergütung fordert die SPD die Begrenzung der steuerlichen Absetzbarkeit von Vorstands- und sonstigen Managergehältern auf 500.000 Euro und eine Festschreibung im Aktiengesetz, dass Unternehmen nicht nur den Aktionären, sondern auch den Arbeitnehmern sowie dem Wohl der Allgemeinheit verpflichtet sind. Damit greift die Partei eine zentrale gewerkschaftliche Forderung auf.

Unterstützung auch bei den Grünen: Die Partei Bündnis90/Die Grünen fordert, das bewährte Recht von Beschäftigten und Gewerkschaften, sich an betrieblichen und unternehmerischen Entscheidungen zu beteiligen, zu bewahren und auszubauen. Positiv ist auch ein Passus, wonach die Mitbestimmungsrechte „der sich verändernden Arbeitswelt gerecht werden“ müssen. Das gelte für den Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen im Betrieb. Konkret fordern die Grünen, dass Leiharbeitnehmer die gleichen Rechte ­haben sollen wie Festangestellte und dass die Betriebsräte in den Entleihbetrieben eine „verbesserte Mitbestimmung“ erhalten sollen. Weiterhin wird die Ausweitung der Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte bei Umstrukturierungen gefordert, ohne jedoch genauer auf die Forderungen einzugehen.

Bei der Unternehmensmitbestimmung fordert die Partei genau wie die SPD, die Reichweite der paritätischen Mitbestimmung auf Unternehmen ab 1000 Beschäftigten auszuweiten, ebenso die Geltung der Unternehmensmitbestimmung auch für ausländische Rechtsformen. Die Europäischen Betriebsräte sollen gestärkt und die grenzüberschreitende Mitbestimmung zum Kernstück des Europäischen Sozialmodells gemacht werden. Bedauerlicherweise spricht sich die Partei jedoch auch – genauso wie die FDP – dafür aus, dass die Vergütung von Vorständen börsennotierter Unternehmen zukünftig der verbindlichen Zustimmung der Hauptversammlung unterliegen soll. Die Grünen sollten berücksichtigen, dass sich die Aktionärsdemokratie schnell als Mythos entpuppt, da viele Hauptversammlungen von institutionellen Investoren dominiert werden, die üblicherweise nicht im Verdacht stehen, sich für eine Begrenzung der Vorstandsvergütung auszusprechen.

Die Linke - von der Mit- zur Selbstbestimmung: Die Linke fordert in ihrem Wahlprogramm eine „Demokratisierung der Wirtschaft“ u. a. durch eine Ausweitung der Mitbestimmungsrechte auf betrieblicher und Unternehmensebene sowie die Beteiligung der Beschäftigten am Produktivkapital. Die Partei fordert, dass ohne Zustimmung des Betriebsrates künftig keine Leiharbeit nachgefragt werden darf und keine Werkverträge vergeben werden dürfen. Zudem erklärt die Linke, Initiativen unterstützen zu wollen, die die „weißen Flecken der Mitbestimmung, wie Betriebe ohne jegliche Mitwirkung der Beschäftigten“, beseitigen sollen. Diese Forderung erscheint auch aus gewerkschaftlicher Sicht als sinnvoll, weil nach aktuellen Daten des IAB nur 43 Prozent der Beschäftigten in West- und 36 Prozent der Beschäftigten in Ostdeutschland (in privatwirtschaftlichen Betrieben ab fünf Beschäftigten) in einem Betrieb mit Betriebsrat arbeiten. 

Unter der Überschrift „Wirtschaft demokratisieren: von der Mitbestimmung zur Selbstbestimmung“ fordert die Partei über die Erweiterung der Mitbestimmungsrechte (u. a. durch die Ausdehnung der Mitbestimmungsgesetze auf Scheinauslandsgesellschaften und die Absenkung der Schwellenwerte) hinaus die Schaffung überbetrieblicher Branchenbeiräte, in die Unternehmen, die Wissenschaft, Umwelt- und Konsumentenverbände sowie Gewerkschaften einbezogen werden sollen. Managergehälter sollen auf das 20-Fache der untersten Lohngruppe des jeweiligen Unternehmens beschränkt werden. Die Linke legt im Gegensatz zu den anderen Oppositionsparteien einen stärkeren Schwerpunkt auf die Umsetzung wirtschaftsdemokratischer Konzepte. Diese gehen deutlich über die gesetzliche Mitbestimmung hinaus.  

Ein Blick in die Zukunft: Man kann also festhalten, dass keine der derzeit im Bundestag vertretenen Parteien offen Pläne verfolgt, die einen Abbau der Mitbestimmung vorsehen. Während die FDP das Thema schlichtweg ignoriert, bekennen sich CDU/CSU, SPD, Bündnis90/Die Grünen sowie die Linke ausdrücklich zur Mitbestimmung, wobei sich die derzeitigen Oppositionsparteien klar für eine Anpassung der Mitbestimmung an aktuelle Herausforderungen wie die Zunahme von Werkverträgen und die „Flucht vor der Mitbestimmung“ einsetzen. Eine Umsetzung dieser Forderungen bietet einiges Potenzial, um die stets, wenn auch langsam wachsende mitbestimmungsfreie Zone in der Wirtschaft zu verkleinern. Die vorliegenden Wahlprogramme bieten daher eine gute Grundlage für die längst überfällige Diskussion zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Mitbestimmung.

Marie Seyboth ist Leiterin der Abteilung Mitbestimmungspolitik und Justiziarin beim DGB-Bundesvorstand.  Rainald Thannisch arbeitet in der gleichen Abteilung tätig als politischer Referent

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