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Magazin Mitbestimmung

Callcenter: Kostendruck am Telefon

Ausgabe 09/2013

Die drohende Insolvenz der Walter Services GmbH, Deutschlands zweitgrößten Anbieters von Callcenter-Dienstleistungen mit über 6000 Beschäftigten, wirft ein Schlaglicht auf den ruinösen Wettbewerb und die Schnelllebigkeit der Branche. Von Carmen Molitor

Im Juni gab es gute Nachrichten für die Beschäftigten der Walter Services GmbH: Nach Warnstreiks und einer Schlichtung, die Ex-Bundesfinanzminister Hans Eichel leitete, hatte die Geschäftsführung einem neuen Tarifvertrag zugestimmt. Für die 18 tarifgebundenen deutschen Standorte des internationalen Konzerns war damit eine stufenweise Erhöhung des Grundlohns von 7,60 Euro auf 8,50 Euro pro Stunde bis 2014 unter Dach und Fach. Betriebsräte und ver.di-Vertreter hofften auf ruhigeres Fahrwasser beim zweitgrößten deutschen Callcenter-Dienstleister, der 2009 als Erster in der Branche mit ver.di einen Entgelttarifvertrag ausgehandelt hatte. Doch seit Juli steht Walter Services vor der Zahlungsunfähigkeit. Weil es laut Firmenleitung „massive Volumenrückgänge im Kernsegment Telekommunikation“ gegeben habe, beantragte der Konzern beim Amtsgericht Karlsruhe Gläubigerschutz durch ein Schutzschirmverfahren. Es bietet eine Art Notbremse vor der Regelinsolvenz, schützt Unternehmen drei Monate vor Vollstreckung und ermöglicht eine Sanierung, über die kein externer Insolvenzverwalter, sondern die Geschäftsleitung selbst entscheidet. Außerdem erspart der Schutzschirm der Firma die Auszahlung von Löhnen und Gehältern; die Arbeitsagentur streckt das Geld vor und bezahlt die Beschäftigten.

Dass Walter Services in die Pleite rutschen könnte, erfuhren am 24. Juli zuerst die Betriebsräte und einen Tag später die Beschäftigten. „Wir waren komplett überrascht davon“, berichtet der Vorsitzende des Betriebsrats am Firmenhauptsitz Ettlingen und stellvertretende Konzernbetriebsratsvorsitzende, Marc Bachmann. „Bei uns in Ettlingen sind die Beschäftigten in einer Art Schockstarre. Wobei der Schock nicht allzu tief sitzt, denn Walter Services war in den vergangenen Jahren immer mal wieder in bewegtem Fahrwasser und vor zwei Jahren schon mal quasi insolvent. Wir sind also ein bisschen daran gewöhnt.“

Die letzten ernsten wirtschaftlichen Turbulenzen endeten 2011 damit, dass die Hedgefonds H.I.G. Capital und Anchorage Capital den Callcenter-Dienstleister übernahmen und seine angehäuften Schulden auf null brachten. 2012 verbuchte die Walter Services GmbH laut „CallCenterProfi-Ranking 2013“ ein Nettoroheinkommen (Umsatzerlöse ohne Mehrwertsteuer) von 184 Millionen und behauptete damit den zweiten Platz unter den großen Spielern in der Branche.

RUINÖSER WETTBEWERB

Wie kann es sein, dass das Unternehmen, das sich im Juni noch wirtschaftlich in der Lage sah, einen Stufentarifvertrag mit höheren Stundenlöhnen zu unterschreiben, quasi über Nacht einen Schutzschirm braucht? Wachsende Planungsunsicherheit und der ruinöse Wettbewerb in der Branche könnten die Hintergründe sein, vermutet Ulrich Beiderwieden, Bundesfachgruppenleiter im Fachbereich „Besondere Dienstleistungen“ bei ver.di. „Generell gibt es die Tendenz, dass die Verträge zwischen Auftraggebern und Callcenter-Dienstleistungsunternehmen wesentlich kürzer laufen als früher“, sagt der Gewerkschafter. „Statt drei Jahren Laufzeit sind heute Jahresverträge üblich. Zudem gibt es immer wieder Klauseln, dass eine fristlose Kündigung möglich ist, wenn bestimmte Anforderungen nicht erfüllt werden.“ Die Auftraggeber können die Preise immer mehr drücken, beobachtet Ulrich Beiderwieden. Das ruinöse Rennen um die Aufträge gewinnt, wer möglichst billig ist.

„Die Dienstleister müssen dann sehen, wie sie mit ihrer Belegschaft die Arbeit zu diesen Preisen überhaupt umsetzen können.“ Der Kostendruck wird an die Beschäftigten weitergereicht, die oft mit Grundlöhnen zwischen sechs und sieben Euro die Stunde, Teilzeit- und Jahresverträgen abgespeist werden. Davon lässt sich kaum leben: 33 Millionen Euro habe der Staat laut ver.di allein 2011 an Aufstocker aus der Callcenter-Branche gezahlt. Ein Mindestlohn von 8,50 Euro sei überfällig, fanden jüngst 6700 Unterzeichner einer ver.di-Unterschriftenaktion an 52 Callcenter-Standorten. Doch die Gründung eines Arbeitgeberverbandes als Verhandlungspartner für ver.di lässt auf sich warten. Und jetzt ist ausgerechnet der einzige tarifgebundene Dienstleister dieser Branche ins Trudeln geraten, bei dem dieser Mindestlohn greifbar nah ist.

Erste Schwierigkeiten bei Walter Services deuteten sich 2012 an, als der Dienstleister einen Hamburger Standort mit fast 300 Beschäftigten schloss. Bei den Tarifverhandlungen sei ver.di auf die wirtschaftliche Situation eingegangen, betont Beiderwieden. „Wir haben eine Laufzeit von drei Jahren vereinbart, um dem Arbeitgeber zu signalisieren: Wenn wir diese Schritte gemeinsam in Richtung 8,50 Euro gehen können, dann geben wir ihm durch einen längerfristigen Abschluss auch Planungssicherheit bei der Steigerung der Personalkosten. Der Arbeitgeber war damals davon ausgegangen, dass die Gespräche mit Kunden über neue Aufträge auf einem sehr guten Weg sind und er teilweise sogar Preiserhöhungen durchsetzen kann.“ Es kam anders: Kurz nach Abschluss des Tarifvertrages erklärte die Geschäftsführung, dass Kunden angekündigt haben, Aufträge zurückzufahren. Die Krise war da.

Wie es mit der Umsetzung des Tarifvertrages weitergeht, müssen die Betriebsräte und ver.di mit neuen Verhandlungspartnern klären. CEO Klaus Gumpp und sein Finanzchef Sascha Zaps verließen im Juni das Unternehmen, die Geschäftsleitung wurde komplett umstrukturiert. Joachim Hofsähs, seit Januar für das operative Deutschlandgeschäft zuständig, übernahm das Ruder. Es gebe aber positive Signale des neuen Managements, sagt Beiderwieden: „Die Neuen haben gesagt, dass sie zu dem Tarifvertrag stehen.“ Er geht deshalb davon aus, dass „alles so umgesetzt wird, wie es im Tarifvertrag steht. Auch das Zukunftskonzept, an dem die Geschäftsführung und die Sanierungsgesellschaft arbeiten, wollen sie mit uns und den Betriebsräten intensiv beraten.“

Während des Schutzschirmverfahrens geht der Betrieb an allen Standorten wie gewohnt weiter. Ob der Sanierungsplan in erster Linie auf die Verbesserung der Einnahmen oder auf den Abbau von Kosten setzen wird, ist Ende August unklar. Betriebsrat Marc Bachmann hat angesichts der Tatsache, dass in Callcentern über 70 Prozent der Kosten Personalkosten sind, eine Theorie: „Die größte Musik wird auf der Kostenseite spielen“, vermutet er. „Es wird eine Kombination aus dem Versuch sein, den Lohn zu drücken und Arbeitsplätze abzubauen.“ Ob das bedeute, dass Standorte mit weniger Personal auskommen müssten oder ganz geschlossen würden, werde sich zeigen.

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