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Magazin Mitbestimmung

Debatte: Stärker soziale Bewegung sein

Ausgabe 06/2013

Karin Pape, Europa-Koordinatorin der Frauennetzwerke WIEGO und IDWN in Genf, sieht sich durch Klaus Dörres Analysen in ihrer gewerkschaftlichen Arbeit mit Hausangestellten bestärkt.

Klaus Dörre spricht in seinem Artikel von der „Transformation des Arbeitsmarktes in ein Wettkampfsystem“. Mir scheint, dass wir alle das Ausmaß dieser strukturellen Veränderung unterschätzen. Während für den globalen Süden schon immer gilt: „Informal is normal“, ist der Angriff auf einigermaßen abgesicherte Arbeitsverhältnisse im globalen Norden zwar nicht neu, wird aber erst jetzt zur Kenntnis genommen. Die Antwort der internationalen Gewerkschaftsbewegung – Organisationsfreiheit und Kollektivverhandlungen – ist zwar richtig, garantiert aber noch lange nicht faire Arbeitsbedingungen. Dafür sind zusätzlich politische Lösungen notwendig. Doch sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen in den letzten Jahrzehnten systematisch zuungunsten arbeitender Menschen verändert worden, und die Gewerkschaften können dies mit Tarifpolitik allein unmöglich korrigieren.

Der „Doppelcharakter“ der Gewerkschaften bestand immer darin, Ordnungsmacht und Gegenmacht zu sein. Für beide Funktionen ist Voraussetzung, dass die arbeitenden Menschen sich in den Gewerkschaften organisieren, damit die Verhandlungs- und Durchsetzungsmacht gestärkt wird. Doch die Mitgliederbasis ist geschrumpft, obwohl sich die Verhältnisse zunehmend verschlechtert haben. Wie kommen Gewerkschaften aus dem Teufelskreis heraus? Dörre sagt, dass Gewerkschaften sich wieder stärker als „soziale Bewegung“ begreifen müssen und „im Bündnis mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren neue Machtressourcen außerhalb der Betriebe und Unternehmen erschließen, um im prekären Sektor handlungs- und konfliktfähig zu werden“. Gelungen ist dies bei den Hausangestellten. Ein breites Bündnis von Gewerkschaften, NGOs, Regierungsvertretern, ILO-Vertretern, sogar von Arbeitgebervertretern und nicht zuletzt von organisierten Hausangestellten selbst hat es 2011 geschafft, dass die ILO das Übereinkommen 189 zum Schutze von Hausangestellten verabschiedet hat. Dieses soll nun auf Antrag von SPD und Grünen auch der Bundestag ratifizieren.

Es gab einige Hindernisse zu überwinden, damit der Forderung der Hausangestellten: „Wir wollen für uns selber sprechen“, entsprochen werden konnte. Durch harte Überzeugungsarbeit konnte erreicht werden, dass Vertreterinnen von Hausangestellten-Gewerkschaften als gleichberechtigte Delegierte zusammen mit Arbeitgeber- und Regierungsvertretern am Verhandlungstisch saßen. Ein für die ILO ungewöhnlicher Vorgang, da hier normalerweise nur die Experten zusammenkommen.

Erfahrungen haben gezeigt, dass Gewerkschaften immer dann Hausangestellte erfolgreich organisieren konnten, wenn diese bereits als Gruppe organisiert waren – oft in Migrantenorganisationen, aber auch in Kirchengemeinden oder NGOs. Denn auch für Hausangestellte gilt: Man kann sie nicht am Arbeitsplatz organisieren.

Hausangestellte haben viele Probleme, bei denen andere Institutionen möglicherweise besser helfen können. Schon deshalb sind breite Bündnisse vonnöten – und Strukturen innerhalb von Gewerkschaften, die sich jenseits ausgetretener Pfade bewegen. So kann es schon sehr hilfreich sein, wenn Gewerkschaftshäuser am Wochenende zugänglich sind, sodass sich Hausangestellte treffen können. Dort könnten auch Sprachkurse stattfinden. Erfahrungen in Europa haben auch gezeigt, dass es gerade Migrantinnen sind, die sich in Selbsthilfegruppen organisieren. Wenn Dörre bemerkt, dass „Gewerkschaften (…) als potenzielle Träger alternativer Gesellschaftskonzeptionen kaum wahrgenommen (werden)“, so ist hier ein konkretes Feld, wo es hilfreich wäre, wenn Gewerkschaften die politische Agenda besetzen.

Eine systematische, auch grenzüberschreitende Vernetzung all derer, die bereits Erfahrungen in der Organisation dieser „Unorganisierbaren“ gemacht haben, ist dringend geboten. Damit – um mit Dörre zu sprechen – „Organisationslernen“ stattfinden kann. Diese Plattformen können dann genutzt werden, Veränderungsstrategien zu entwickeln, die neue Politiken auch in Organisationshandeln umsetzen.

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