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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Die UAW hat viel dazugelernt“

Ausgabe 05/2013

Sozialwissenschaftler Michael Fichter, 64, recherchierte vor Ort Probleme und Potenziale der US-Automobilgewerkschaft. Die Fragen stellte Bernd Kupilas.

Herr Fichter, VW will einen Betriebsrat in Chattanooga installieren. Was bedeutet das für die amerikanischen Gewerkschaften?
Nach dem Arbeitsrecht in den USA kann es keinen Betriebsrat geben, ohne dass zuvor die Gewerkschaft anerkannt wurde. Aber die Einrichtung eines Betriebsrats zusätzlich zur gewerkschaft­lichen Vertretung könnte, wenn das Modell in den USA Akzeptanz fände, eine tief greifende systemische Veränderung mit sich bringen. Es würde die betriebliche Interessenvertretung stärken und die Rolle der Gewerkschaften stabili­sieren. Die Auto­gewerkschaft UAW tritt seit Langem in Gesprächen mit VW für ein solches Modell ein. Ich hoffe nur, dass das ­VW-Management keinen Rückzieher macht. Sonst würde es sich mit seiner Charta­ der Arbeitnehmerrechte unglaubwürdig machen.

Sie waren 2012 im Auftrag der IG Metall in den USA, haben sechs Standorte von ausländischen Herstellern besucht und mit vielen Vertretern der UAW gesprochen. Wie ist ihr Eindruck?
Sehr positiv. Das ist eine engagierte und professionelle Truppe, die legen sich mächtig ins Zeug. Bob King hat als Vorsitzender die Organisation kräftig reformiert, der hat den Laden umgekrempelt. Die UAW spricht die Leute an und will mit der Botschaft überzeugen: Mit Gewerkschaft können wir unser Leben besser gestalten. Sie geht in die Gemeinden, taucht ins öffentliche Leben ein, sucht Verbündete.

Die UAW wird also basisdemokratischer?
Ja. Und wenn sie diese Botschaft auch noch verbreitet, dann kann sie Erfolg haben. Die UAW hat viel dazugelernt.

Ein Beispiel, bitte!
In Tuscaloosa im Bundesstaat Alabama gab es eine Abstimmung über eine Zulassung der Gewerkschaft bei Faurecia, dem französischen Sitzehersteller, der auch Mercedes beliefert. Die UAW hat die Abstimmung gewonnen, weil sie sehr präzise die Probleme der Menschen angesprochen hat. Sie hat gefragt: Was bewegt Euch? Wie können wir etwas verbessern? Und sie hat gelernt, wie man geschickt gegen Manager vorgeht. Dazu gibt es eine nette Episode: Faurecia ist nach der Internationalen Rahmenvereinbarung von Daimler gehalten, die gewerkschaftliche Vereinigungsfreiheit, eine ILO-Kernarbeitsnorm, einzuhalten. Darüber hat die UAW die Beschäftigten informiert. Nun hatten die Manager den Beschäftigten vor der Abstimmung immer wieder gesagt: Mercedes will die Gewerkschaft nicht bei uns haben. Wenn die Gewerkschaft ins Haus kommt, könnte unseren Liefervertrag gefährdet sein. Auf einer Versammlung ist dann ein Beschäftigter aufgestanden, die unterschriebene Rahmenvereinbarung in der Hand, und hat gesagt: „Aber die Vereinigungsfreiheit ist hier anerkannt!" Danach benutzte das Management dieses Argument nicht mehr.

Vor einigen Monaten hat ausgerechnet der Bundesstaat Michigan, das traditionelle Zentrum der US-Autoindustrie, schärfere Gewerkschafts-Gesetze erlassen. Was bedeutet das für die UAW?
Das ist ein schwerer Schlag. Die Gewerkschaft muss damit rechnen, im Kernland der amerikanischen Autoindustrie Mitglieder zu verlieren. Der Schritt kommt für die UAW nicht überraschend. Der republikanische Gouverneur Rick Snyder hat – gegen den erbitterten Widerstand der Gewerkschaften – ein so genanntes „Right to work“-Gesetz unterschrieben. Und es ist durchaus möglich, dass weitere Staaten folgen.

„Recht-auf-Arbeit-Gesetz“? Das müssen Sie uns erklären.
„Right to work“-Gesetze sind vor allem in den Bundesstaaten im Süden der USA verbreitet. Sie besagen: Beschäftigte werden nicht automatisch Mitglied der Gewerkschaft, wenn sie in einem gewerkschaftlich organisierten Betrieb arbeiten. Das ist ihr gutes Recht, denkt man. Aber in Amerika läuft das so ab: Beschäftigte stimmen darüber ab,  ob die Gewerkschaft sie vertreten soll. Stimmt eine Mehrheit mit Ja, darf die Gewerkschaft alle Beschäftigten vertreten und für sie Tarifverträge abschließen. Das gilt nun nicht mehr: Gewerkschaftsgegner können nun ihr „Recht“ in Anspruch nehmen, keinen Gewerkschaftsbeitrag zu zahlen. Das ist natürlich eine Schwächung.

Wie können die Gewerkschaften, wie kann gerade die UAW darauf reagieren?
Die UAW wandelt sich, sie muss Überzeugungsarbeit leisten, dass es sinnvoll ist, in die Gewerkschaft einzutreten, vor allem wenn diese Gesetze weiter um sich greifen und Mitglieder in den organisierten Betrieben von General Motors, Ford oder Chrysler nicht mehr automatisch nachwachsen. Sie muss das vor allem auch tun, um endlich im Süden der USA Fuß zu fassen, dort wo auch die deutschen Hersteller und andere internationale Konzerne neue Werke aufgemacht haben.

Kann man wirklich vom „gewerkschaftsfeindlichen Süden“ der USA sprechen?
Im Süden der USA hat die Industrialisierung viel später eingesetzt. Das war immer eine stark ländlich geprägte Region. Dann siedelten sich dort Firmen wie zum Beispiel General Motors an, weil es billige Arbeitskräfte gab – und keine Gewerkschaften. Die Jobs, die so – in gewerkschaftsfreien Autobetrieben – entstanden, waren immer noch besser als alles andere, was es da unten sonst gab. Unterschwellig schwang immer die Drohung mit: Wir können auch in andere Bundesstaaten gehen. Und Mexiko ist auch nicht weit. Die Regierungen der Südstaaten unterstützten die Firmen – mit Steuernachlässen, neuen Infrastrukturen und Qualifizierungsmaßnahmen. Und sie sagten: Ihr braucht Euch nicht zu fürchten, dass die Gewerkschaften Euch folgen. So breitete sich schon in den 50er-Jahren die „Right to work“-Gesetzgebung aus, die es den Gewerkschaften dort schwer macht.

Berichten die Gewerkschafter auch über Schikanen?
Die Gewerkschaftswahlen nach dem Bundesgesetz sind keine fairen Wahlen. Der Unternehmer hat alle Möglichkeiten, diese Wahl zu beeinflussen. Er kann Pflichtversammlungen abhalten, er kann Einzelgespräche führen. Da wird oft mit subtilen Mitteln gearbeitet, auch gedroht. Die Gewerkschaft hingegen kann nicht so einfach mit den Leuten reden. Sie hat keinen Zugang zu den Beschäftigten in den Betrieben. Sie kann nicht mal einen Tapeziertisch vor der Kantine aufstellen. Sie muss die Beschäftigten zu Hause besuchen, wenn sie mit ihnen sprechen will. Deshalb fordern die Gewerkschafter den gleichen Zugang. Sie fordern Gleichheit der Waffen.

Wie kann diese aussehen?
Die UAW hat im Januar 2011 ihre Prinzipien für faire Gewerkschaftswahlen veröffentlicht. Die prinzipielle Aussage ist: Wir sind nicht gegen eine Abstimmung unter den Beschäftigen, wir wollen nur, dass sie fair abläuft. Das ist ein sehr selbstbewusster Schritt, der nur mit einem Neuanfang geht. Denn lange Zeit hat die UAW in Selbstzufriedenheit geschwelgt und sich wenig um aktive Mitgliedergewinnung gekümmert. Die Haltung war: „Wir sind stark, wir sind gut.“ Dann kam die Autokrise, und alles brach zusammen.

Die UAW pflegt seit einiger Zeit wieder enge Kontakte zur IG Metall, UAW-Vorsitzender Bob King kommt oft nach Deutschland, und auch deutsche Betriebsräte, etwa bei Volkswagen, haben einen guten Draht nach Amerika.
Ja, und mit ihrer Offensive, international Anschluss zu finden, liegt die UAW völlig richtig. Walter Reuther, der langjährige Vorsitzende der UAW nach dem Krieg, wusste noch, wie wichtig internationale Zusammenarbeit von Gewerkschaften ist. Das ist dann in den 70er- und 80er-Jahren verloren gegangen. Bob King hat das wiederbelebt. Sein Motto lautet: „Die deutschen Firmen sind uns wichtig.“

Was interessiert die UAW an Deutschland?
Das Modell der Betriebsräte stößt dort auf großes Interesse, wie man jetzt am Beispiel Volkswagen in Chattanooga sieht. Wie gesagt: Betriebliche Gremien, die Gewerkschaftsaufgaben wahrnehmen, sind in den USA gesetzlich verboten, denn ihre Unabhängigkeit vom Arbeitgeber wäre nicht gewährleistet. Aber interessanterweise gibt es in UAW-Tarifverträgen etwas Ähnliches wie Betriebsräte: die Joint Committees. Das sind Ausschüsse im Betrieb mit Vertretern der Gewerkschaft und des Managements. Aber die Grundlage für diese Joint Committees ist kein Gesetz, sie sind tarifliche Einrichtungen. Es gibt sie also nur dort, wo eine Gewerkschaft schon im Betrieb vertreten ist.

Wie wichtig sind die Südstaaten für die Zukunft der UAW?
Entscheidend. Wenn die UAW dort nicht in die Betriebe kommt, wird sie große Probleme haben. Mit der Zahl der Mitglieder, die sie hat, kann sie auf Dauer nicht überleben. Ohne den Autosektor ist die UAW keine schlagkräftige Organisation. Die UAW organisiert ja noch andere Berufsgruppen, vor allem im öffentlichen Dienst, weil es da einfacher ist, Mitglieder zu gewinnen. Also sind auch Hebammen, Assistenten an den Universitäten oder Sozialarbeiter Mitglied der UAW. Aber die Autoindustrie ist nun mal das Kerngeschäft einer Autoarbeiter-Gewerkschaft.  

Was können die Gewerkschaften von Barack Obama in seiner zweiten Amtszeit als US-Präsident erwarten?
Ich denke, dass sie ganz zufrieden sein können, wenn Obama das bestehende Gesundheits- und Rentensystem gegen Forderungen nach massiven Kürzungen verteidigt und eine menschenwürdige Lösung für die Millionen von ImmigrantInnen durchsetzt. Die Gewerkschaften machen sich auch für eine Anhebung des Mindestlohns und für eine gerechte Steuerpolitik stark, und Obama ist erklärtermaßen auch dafür. Vieles wird davon abhängen, inwieweit es Obama gelingt, die radikale Blockierertruppe in der konservativen Republikanischen Partei zu isolieren.

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