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HBS Böckler Impuls

Löhne: Mehr Ungleichheit, weniger Aufstiege

Ausgabe 07/2013

Während die Unterschiede zwischen Arm und Reich zunehmen, hat die Lohnmobilität abgenommen. Frauen haben noch schlechtere Aufstiegschancen als Männer.

Vom Tellerwäscher zum Millionär: Dass jeder die Chance auf sozialen Aufstieg hat, gehört zu den zentralen Verheißungen der Marktwirtschaft. Einkommensunterschiede erscheinen so weniger unfair. Bodo Aretz vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat nachgerechnet, wie es tatsächlich um die Aufstiegschancen von Beschäftigten bestellt ist. Das Ergebnis: Bei wachsender Ungleichheit hat die Lohnmobilität in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen. In der weiblichen Arbeitnehmerschaft sind die Unterschiede noch größer und für Frauen ist es noch schwerer aufzusteigen als für Männer.

Aretz’ Studie beruht auf der Stichprobe der Integrierten Arbeitsmarktbiografien (SIAB) der Bundesagentur für Arbeit, die zwei Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland umfasst. Als Maß für die Ungleichheit hat der ZEW-Forscher Perzentile verglichen. Das 85. Perzentil der Lohnverteilung entspricht dem Wert, unter dem die Löhne von 85 Prozent aller Beschäftigten liegen, befindet sich also ziemlich weit oben auf der Lohnskala. Dieser Wert hat bei westdeutschen Männern von 1975 bis 1992 real deutlich zugenommen. Die Löhne des 15. und 50. Perzentils wuchsen in diesem Zeitraum ebenfalls, allerdings weniger stark. Das heißt: Die Lohnungleichheit ist vor allem in der oberen Hälfte der Lohnverteilung größer geworden. Bei den Frauen hatten alle drei Lohngruppen in diesem Zeitraum ähnliche Einkommenssteigerungen zu verzeichnen.

Seit Anfang der 1990er-Jahre haben sich die Löhne bei beiden Geschlechtern zunehmend auseinanderentwickelt: Beim 85. Perzentil waren real weiterhin Zuwächse zu verzeichnen. Die Löhne der mittleren Einkommensgruppe hingegen stagnierten in Westdeutschland zwischen 1992 und 2008. Und die Reallöhne des 15. Perzentils sind sogar gesunken – um 20 Prozent bei den männlichen und 10 Prozent bei den weiblichen Beschäftigten. Ein ähnlicher Rückgang war bei den Geringverdienern in Ostdeutschland zu verzeichnen.

Wie stark die Lohnschere sich geöffnet hat, wird auch deutlich, wenn man die Einkommen der unteren und der oberen Lohngruppe ins Verhältnis setzt: Bei westdeutschen Männern waren die Löhne des 85. Perzentils 1975 noch 1,8-mal so hoch wie die des 15. Perzentils. Bis 2008 stieg der Unterschied auf das 2,7-fache. Damit sind die Männer bei der Ungleichheit fast mit den Frauen gleichgezogen: Hier stieg die Rate von 2,2 im Jahr 1975 auf 2,8 im Jahr 2008. Noch dramatischer war die Entwicklung in den neuen Bundesländern: 1992 entsprach die Lohnhöhe des 85. Perzentils bei männlichen Beschäftigten dem 1,8-fachen des 15. Perzentils. 2008, also nur 16 Jahre später, war es das 2,5-fache. Bei den Frauen wuchs der Quotient von 2,0 auf 3,0. Anders als im Westen kam es also zu einer Zunahme der Geschlechterdifferenz.

Wie sich die Lohnmobilität entwickelt hat, verrät ein Blick auf den Anteil der Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres von einem Fünftel der Lohnverteilung in ein anderes wechseln. Dieser Anteil betrug 1976 in Westdeutschland etwa 28 Prozent bei beiden Geschlechtern, 2008 nur noch 18 Prozent. Das heißt: Die Durchlässigkeit nach oben und unten ist geringer geworden. Im Osten nahm die Lohnmobilität insbesondere während der 1990er-Jahre erheblich ab: 1992 stiegen 38 Prozent der Arbeitnehmer und 30 Prozent der Arbeitnehmerinnen in der Lohnverteilung auf oder ab, 2000 waren es nur noch 22 beziehungsweise 17 Prozent. Wenn zusätzlich Veränderungen innerhalb der Lohngruppen berücksichtigt werden, zeigt sich: Für beide Geschlechter hat sich die Lohnmobilität seit den 1990er-Jahren verringert. Für Männer waren die Werte allerdings während des gesamten Beobachtungszeitraums höher als für Frauen. Das Gleiche gilt für die Langzeitmobilität, also die Entwicklung über 10, 15 oder 20 Jahre.

Aus seiner Analyse zieht Aretz den Schluss, dass es wichtig sei, die Situation der Geringverdiener im Auge zu behalten. Denn zunehmende Ungleichheit bei abnehmender Lohnmobilität bedeute, dass es auf Dauer weniger Beschäftigten gelingt, dem Niedriglohnsektor zu entkommen. 

  • Seit Anfang der 1990er-Jahre haben sich die Löhne zunehmend auseinanderentwickelt. Zur Grafik

Bodo Aretz: Gender Differences in German Wage Mobility, ZEW Discussion Paper No. 13-003, Januar 2013.

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